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Charmante Kritik. Anke Engelke live vor 120 Millionen TV-Zuschauern.

© dpa

Eurovision Song Contest: Anke Engelkes große Ehrenrettung

Wie Anke Engelke und die schwedische Siegerin Loreen beim Eurovision Song Contest das Regime in Baku ein bisschen kritisierten.

Aserbaidschan, das Land, wo Tee und Zuckersirup fließen – dieses Image sollten die Einspielfilmchen vermitteln, die beim Finale des Eurovision Song Contest (ESC) zwischen die Musikbeiträge geschaltet wurden. Dass die Staatsmaschine in dem Südkaukasusland eher mit Erdöl geschmiert wird, dass Präsident Ilham Alijew autoritär herrscht, dass Millionen Aserbaidschaner in Armut leben – davon war bei dem Hochglanzspektakel am Samstagabend nichts zu sehen.

Umso größer war im Nachhinein das Lob für Anke Engelke. Als sie per Live-Schaltung nach Hamburg die deutsche Punktevergabe übermittelte, nutzte sie die Gelegenheit zu einer verpackten Kritik am Regime. Charmant lächelnd sagte sie live vor 120 Millionen Zuschauern: „Heute Abend konnte niemand für sein eigenes Land abstimmen. Aber es ist gut, abstimmen zu können. Und es ist gut, eine Wahl zu haben“, sagte sie. Das aserbaidschanische Moderatorenduo versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Engelke weiter: „Viel Glück auf deiner Reise, Aserbaidschan! Europa beobachtet dich!“ Dann ging sie zur Punktevergabe über.

Für ihre klaren Worte wurde sie sofort auf Twitter und in den sozialen Netzwerken gefeiert. Auch ihr Sender ist durchaus einverstanden damit, dass die 46-jährige Moderatorin der weichgespülten Inszenierung zumindest eine kleine Kante verpasste. „Anke Engelke hat mit ihren klaren, klugen und charmanten Worten die Ehre des ESC gerettet“, sagte ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber. NDR-Intendant Lutz Marmor erklärte, Engelke habe genau den richtigen Ton getroffen: „Danke, Anke!“ Engelke selbst wollte sich nicht weiter äußern.

Tatsächlich schien die PR-Strategie der Regierung in Baku aufzugehen: Die Fernsehshow war perfekt, zivil gekleidete Sicherheitsleute saßen auf den Tribünen der „Kristallhalle“, um etwaige Protestdemonstrationen zu verhindern. Schon im Vorfeld waren bei Demonstrationen gegen Präsident Alijew Dutzende Menschen festgenommen wurden. Anke Engelkes Auftritt dürfte einige Zuschauer daran erinnert haben, dass die pompöse Fassade eklatante demokratische Defizite verdeckt.

Etwas subtiler spielten Finnen und Schweden bei der Punktevergabe auf die problematische Situation in Baku an. So machte der Grusel-Rocker Lordi seine Ansage vor einem Hintergrund aus wechselnden Postkartenmotiven, Sonnenuntergängen und Wasserfällen, die sehr an die Hochglanzidyllen der aserbaidschanischen Einspielfilmchen erinnerte. Und die schwedische Moderatorin Sarah schlüpfte in die Rolle ihrer Comedy-Figur Lynda Woodruff und lobte mit übertriebener Begeisterung, geballten Fäusten und hysterischem Applaus die „amazing, amazing show“. Kleine Irritationen, aber immerhin.

In Bildern: Die Kandidaten des ESC

Unter den ESC-Teilnehmern war es die spätere Siegerin Loreen, die sich am offensivsten mit der Opposition in Aserbaidschan solidarisiert hatte. Am Mittwoch hatte sie Vertreter der Organisation „Sing for democracy“ getroffen. Daraufhin wurde der schwedische Botschafter ins Außenministerium einbestellt, wie Medien berichteten. Die Forderung: Loreen solle sich auf ihre Musik konzentrieren und nicht in innere Angelegenheiten des Landes einmischen. Aber sie Sängerin ließ sich nicht den Mund verbieten: Nach ihrem Sieg wurde sie gefragt, was ihr ausdrucksstarker Tanz denn bedeute. Es gehe um die Freiheit, keine Regeln zu haben, antwortete die 28-Jährige. Und darum, dass man machen könne, was man wolle, alles erreichen könne. „Sei, was du bist“ – auch diese Worte haben in Aserbaidschan einen kritischen Klang.

In Bildern: Aserbaidschan vor dem ESC

Loreen sagte, dass sie die Aserbaidschaner weiter unterstützen wolle. „Wie? Auf jede Weise, die ihr wollt.“ Die Bürgerrechtlerin Lejla Junus lobte, dass Loreen sich als einzige Künstlerin im Gegensatz auch zu den Organisatoren von der Europäischen Rundfunkunion mit dem Besuch bei der Opposition klar zu demokratischen Grundwerten bekannt habe. Junus kritisierte am Montag, dass die Halbmarokkanerin von regierungstreuen Medien in Baku als „Drogenabhängige“ und „Prostituierte“ verunglimpft werde.

Deutsche berichteten der Nachrichtenagentur dpa, sie seien auf Schritt und Tritt von Sicherheitsleuten umgeben gewesen. Überteuerte Hotels und allgegenwärtiger Nationalismus hätten auf die Laune geschlagen. „Wir machen drei Kreuze, wenn wir im Flieger sitzen und wieder nach Hause dürfen“, sagte ein Fan aus München.

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