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Kreuzfahrtunglück: Ist der Kapitän schuld am Schiffbruch der "Costa Concordia"?

Dem Kapitän wird fahrlässige Tötung vorgeworfen, er soll zu nah an den Felsen vorbeigefahren sein. Er habe sie nicht sehen können, sagt der Kommandant.

Noch dauert die Rettung an. Bei dem Schiffbruch der „Costa Concordia“ vor der toskanischen Küste sind – nach dem Stand von Sonntag – fünf der 4229 Personen an Bord ums Leben gekommen. 15 Personen werden noch vermisst. Nur weil der Kapitän nach dem Auffahren auf Felsen das beschädigte Schiff noch in allernächste Nähe zur Inselküste manövrierte, erklärte der italienische Zivilschutz, sei eine noch größere Tragödie verhindert worden.

Wie geht es den Passagieren?

Die von der „Costa Concordia“ geretteten Personen sind nach der mehr als sechsstündigen Rettungsaktion in der Nacht zum Samstag am Wochenende auf verschiedene Hotels verteilt worden. Die meisten der 3216 Touristen aus aller Welt traten am Sonntag per Flugzeug bereits den Heimweg an – unter ihnen auch der allergrößte Teil der 569 Deutschen, von denen etwa zehn wegen leichter Verletzungen kurzzeitig im Krankenhaus behandelt worden waren. Das Unternehmen „Costa Kreuzfahrten“ teilte am Sonntagnachmittag mit, unter den bis dahin noch vermissten Personen seien „nach Lage der Dinge“ keine Deutschen mehr. Das Außenministerium in Berlin sprach am Sonntagnachmittag allerdings von „einigen noch ungeklärten Fällen“. Noch könne man nicht davon ausgehen, dass sämtliche deutschen Passagiere das Unglück überlebt hätten.

Wer ist schuld an dem Unglück?

Der Kapitän ist verhaftet worden. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 52-Jährigen ein „allzu verwegenes Fahrmanöver“ und mehrfache fahrlässige Tötung vor – sowie die Tatsache, dass er als Kommandant zu früh von Bord gegangen ist: Nachdem die „Costa Concordia“ am Freitag gegen 21 Uhr 30 eine Klippe gestreift hatte und gekentert war, hatte der Kapitän das Schiff gegen 23 Uhr 30 verlassen; die letzten Passagiere wurden erst gut fünf Stunden später gerettet.

Als Ursache des Unglücks gilt, dass sich das Schiff nicht auf seiner normalen Route befand, auf der es die Unglücksstelle vor der „Isola del Giglio“ in etwa fünf Kilometern Entfernung hätte passieren müssen. Vielmehr hatte es sich bis auf 150 Meter der felsigen Küste genähert. Das Wetter scheidet als Erklärung für den ungewöhnlichen Kurs aus: Es war zum Zeitpunkt des Unglücks hervorragend.

Vielmehr deutet sich an, dass eine dichte Vorbeifahrt der „Costa Concordia“ an der Insel Giglio häufiger vorgekommen sein könnte. Nach Angaben der örtlichen Lokalzeitung „Il Tirreno“ zum Beispiel am 14. August 2011. Das beweise ein Schriftwechsel zwischen dem damaligen Kommandanten und dem Bürgermeister der Insel, Sergio Ortelli. Der Bürgermeister bedankt sich darin am Folgetag für das „wunderbare Schauspiel der Vorbeifahrt“.

Der genaue Grund für die allzu große Nähe zur Küste bei der Vorbeifahrt am Freitag – technisches oder menschliches Versagen – bleibt offen bis zur Auswertung der „Black Box“ des Schiffes, die wie der Flugschreiber bei einem Flugzeug alle Daten über die Route und die Geschehnisse auf der Kommandobrücke aufzeichnet. Die Box ist geborgen und könnte nach Auskunft der Staatsanwälte „schon in wenigen Tagen“ Erklärungen liefern.

Der Kapitän der Costa Concordia versichert derweil, die Granit-Klippen, die nur wenige Zentimeter über die Wasseroberfläche ragen, nach Aussagen der Inselbewohner aber „scharf sind wie Messer“, seien auf den Seekarten nicht verzeichnet gewesen. Den Inselbewohnern freilich sind sie als „Le scole“ sehr wohl bekannt.

Experten halten die Selbstverteidigung des Kapitäns für unglaubwürdig.

Waren die Felsen tatsächlich nicht auf der Seekarte eingezeichnet?

Diese Hypothese wird von Experten rundweg zurückgewiesen, auch wenn noch nicht alle Ermittlungen in Italien abgeschlossen sind. „In Deutschland beispielsweise vermessen wir die Küsten regelmäßig, wir schauen sogar, ob sich Wracks bewegen oder andere Hindernisse“, sagte Susanne Kehrhahn-Eyrich, Sprecherin des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie, das Seekarten für Nord- und Ostsee herausgibt. Auch ein Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger sagte dem Tagesspiegel, er halte es für unwahrscheinlich, dass die Seekarten in Italien nicht ausdrücklich ausweisen, wie nah sich ein Schiff einem Küstenabschnitt nähern darf. Ulrike Windhövel vom Deutschen Havariekommando in Cuxhaven betonte: „ Geräte können Gefahren registrieren, aber es braucht natürlich Menschen, die lesen, was sie aufgezeichnet haben.“ Der italienische Verteidigungsminister, Giampaolo Di Paola, der selbst Admiral ist, spricht bereits recht offen von einem „großen menschlichen Fehler“. „Schiffe dieser Dimension dürfen nicht so dicht an eine Küste heranfahren, die als felsig bekannt ist“, sagte er.

Drohen Umweltprobleme?

Die winzige „Isola del Giglio“, vor der die „Costa Concordia“ kenterte, gehört wie Elba und fünf weitere, teils unbewohnte, Mini-Inseln zum „Archipel der toskanischen Inseln“; sie sind als besonders schützenswert ausgewiesen. Gegenüber an der toskanischen Festlandsküste liegt das Natur- und Vogelschutzgebiet des Monte Argentario.

Aus diesem Grunde schauten Umweltschützer ebenso wie Tourismusverantwortliche am Wochenende mit großer Sorge auf die Tanks, in denen die „Costa Concordia“ 2380 Tonnen Schiffsdiesel mit sich führt. Obwohl die Klippen die beiden Seiten des Schiffs auf jeweils 70 Meter aufgerissen haben, scheinen die Tanks bislang aber unversehrt. Das Abpumpen des Treibstoffs soll nach letztem Stand der Informationen am Montag beginnen.

Was passiert mit dem Wrack?

Was mit dem Schiff selbst passiert, bleibt zunächst völlig offen. Die Küstenwache befürchtet laut Nachrichtenagenturen einen vollständigen Untergang. Das Kreuzfahrtschiff befinde sich derzeit an einer 30 Meter tiefen Stelle, könne aber in tieferes Gewässer abrutschen und vollständig sinken, sagte ein Sprecher in der Nacht zum Sonntag.

Die „Costa Concordia“ ist mehr als 290 Meter lang und 38 Meter breit. Sie hat ein Nominalgewicht von 112 000 Tonnen. Wenn sie nicht sinkt, soll sie demnächst entweder abgeschleppt oder vor Ort zerlegt werden.

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