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Land unter. Auch zahlreiche Campingplätze in der Region – wie hier in Puget-sur-Argens – wurden überflutet und mussten evakuiert werden. Foto: Gerad Julien/AFP

© AFP

Panorama: Nach der Sintflut

Die Zahl der Todesopfer in Südfrankreich durch das heftigste Unwetter seit 1827 steigt auf mindestens 22

36 Stunden nach dem sintflutartigen Unwetter über dem Hinterland der Côte d’Azur in Südfrankreich war die Region auch am Donnerstag von Normalität weit entfernt. Die Zahl der Todesopfer durch das schwerste Unwetter in der Region seit mehr als 180 Jahren stieg auf 22. Und, wie der Präfekt Hugues Parant in Draguignan, dem schwer betroffenen Hauptort des Departments sagte, es sind weitere Opfer zu befürchten, weil noch Personen vermisst werden. Viele Menschen müssen in Notunterkünften hausen, tausende Haushalte waren weiter ohne Strom, zahlreiche Straßen gesperrt und Zugverbindungen unterbrochen. Feuerwehr und Zivilschutz waren mit Hochdruck dabei, mit Hilfe von Soldaten die Trümmer zu beseitigen. Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy will nach der ersten Phase der Rettungsarbeiten zu Beginn der kommenden Woche in das Katastrophengebiet reisen. Der Präsident hatte den Betroffenen zuvor sein Mitgefühl ausgedrückt und die Unterstützung der Regierung zugesagt.

Insgesamt 2000 Menschen waren im Verlauf der Rettungsoperationen von Hubschraubern aus oder in Schlauchbooten aus Notlagen befreit worden. Campingplätze waren evakuiert worden, ebenso ein Gefängnis mit etwa 500 Insassen sowie mehrere Krankenhäuser und Altenheime. Von den über 100 000 Haushalten, die nach dem Unwetter ohne Strom oder Telefon waren, warteten am Donnerstag noch 20 000 auf die Wiederherstellung ihrer Anschlüsse. In und um Fréjus wurden mindestens sieben Campingplätze geräumt, wie die Stadt mitteilte. Auch in der Ebene von Argens brachten die Helfer hunderte Anwohner und Urlauber in Sicherheit. Auf einem Zeltplatz wurde auch ein deutsches Ehepaar mit Kind per Hubschrauber gerettet, wie das Auswärtige Amt in Berlin mitteilte.

„Die Stadt ist im Schockzustand“, sagte Max Miselli, der Bürgermeister von Draguignan, am Donnerstag. In vielen Straßen stand das Wasser noch meterhoch. Übereinander geschobene Autos, Steine, Geröll und Schlamm versperrten den Zugang zu verwüsteten Häusern. „Zum Glück gibt es eine große Solidarität in der Bevölkerung“, erklärte der Bürgermeister der 37 000 Einwohner zählenden Stadt.

Bei dem schweren Gewitter, das sich über Draguignan und den Nachbarorten Trans-en-Provence, Les Arcs-sur-Argens und Roquebrune entlud, fiel innerhalb weniger Stunden mit 350 Liter pro Quadratmeter so viel Regen wie sonst während sechs Monaten. Derartige Unwetter seien um diese Jahreszeit „äußerst rar“, wie Etienne Kapikian vom Wetterdienst Météo France der Zeitung „Le Figaro“ sagte. Normalerweise seien die Frühsommer in dieser Gegend regenarm, während es im Herbst häufiger große Niederschläge gebe.

Nach Angaben des Wetterdienstes handelt es sich um das schlimmste Unwetter, das seit 1827 über dieser Gegend niederging. Doch wenn auch das Ausmaß außergewöhnlich erscheint, so ungewöhnlich kommt vielen die Häufung der Wetterkatastrophen in jüngster Zeit nicht mehr vor. Erst am 9. Juni hatte ein gewaltiger Hagelsturm bei Montbéliard in Ostfrankreich große Schäden angerichtet. Am 4. Mai war bei einem Sturm der Strand bei Nizza mit seiner berühmten Promenade des Anglais von einer sieben Meter hohen Wasserwelle überschwemmt worden. Am 26. Februar hatte die Sturmflut „Xynthia“ an der Atlantikküste mehrere Orte überschwemmt. 53 Menschen kamen ums Leben. In Erinnerung sind auch die Überschwemmungen, die 1992 Vaison-la-Romaine in der Provence und 1988 bei Nîmes im Departement Gard Verheerungen anrichteten.

„In 20 Jahren haben sintflutartige Unwetter 400 Tote in Frankreich gefordert“, heißt es in einer Untersuchung des französischen Senats. Sie war nach dem Sturm „Xynthia“ in Auftrag gegeben – und zufällig am Mittwoch vorgestellt worden. Hochwasser seien die „häufigste Art“ von Naturkatastrophen in Frankreich, heißt es darin. Gegenüber dieser potenziellen Gefahr verhalte sich Frankreich zudem „wenig sensibel“, schreiben seine Autoren. Als Gründe nennen sie die Bereitschaft der Gemeindeväter, von Hochwasser gefährdete Zonen als Baugebiete freizugeben sowie die unzureichenden Kontrollen bei der Erteilung von Baugenehmigungen. Schließlich fehlten in vielen Orten auch Alarmeinrichtungen, um die Bürger rechtzeitig zu warnen.

Letzteren Vorwurf muss sich der Bürgermeister von Draguignan nicht gefallen lassen. Die Stadt hat seit 2005 Vorkehrungen für den Notfall getroffen. Und als als der französische Wetterdienst am Dienstagnachmittag eine Sturmwarnung der zweithöchsten Kategorie herausgab, wurde die Bevölkerung sofort alarmiert. Doch dann kam alles viel schneller und viel heftiger, als vom Wetterdienst prognostiziert.

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