zum Hauptinhalt
325645_0_ab37c4db.jpg

© dpa

Naturkatastrophe: Mehr als 200 Tote nach Erdbeben in Chile

UPDATE Eines der schwersten jemals gemessenen Erdbeben hat Chile erschüttert und mehr als 200 Menschen das Leben gekostet. Hunderte Menschen werden noch unter den Trümmern vermutet. Außerhalb Japans und Russlands wurde die Tsunami-Warnung inzwischen überall wieder aufgehoben.

"Ich dachte, es sei das Ende der Welt", sagt ein offensichtlich noch unter Schock stehender Chilene in der Großstadt Concepción. Er hat das Erdbeben der Stärke 8,8 am frühen Samstagmorgen überlebt, aber sein Hab und Gut liegt in Trümmern. "Wir rannten im Schlafanzug aus dem Haus. Draußen im Dunkeln konnten wir uns kaum auf den Beinen halten, so stark hat die Erde gebebt", berichtete ein Mann in der Hauptstadt Santiago de Chile.

Ein mächtiges Erdbeben hatte kurz zuvor das ganze Land erschüttert. Um 3.34 Uhr Ortszeit hatte es Millionen Menschen aus dem Schlaf gerissen, viele stürzten in Panik auf die Straßen. Infolge des Erdstoßes, dessen Epizentrum nach Angaben der US-Erdbebenwarte 90 Kilometer vor der Küste Zentralchiles lag, sind nach offiziellen Angaben mindestens 122 Menschen ums Leben gekommen. Allerdings hieß es, dass diese Zahl wohl noch steigen werde, da wohl viele Menschen unter dem Schutt begraben wurden. Die südchilenische Küstenstadt Concepción, die immerhin ungefähr 200.000 Einwohner hat, traf es am härtesten, sie liegt in Trümmern. Staatspräsidentin Michelle Bachelet rief die Menschen auf, Ruhe zu bewahren und zu Hause zu bleiben. Die betroffene Region wurde zum Katastrophengebiet erklärt.

Die gewaltigen Erdstöße im Meer verursachten außerdem einen Tsunami mit bis zu 1,32 Meter hohen Wellen. Die Behörden hatten daher Alarm für alle Küstenorte bis hinauf nach Peru ausgelöst. Nach Angaben von Innenminister Edmundo Pérez Yoma blieb es jedoch bei einer mittleren Flutwelle, die keine nennenswerten Schäden anrichtete. Aber auch so weit entfernte Gebiete wie die zu Chile gehörende Osterinsel mit den weltberühmten Moai-Steinfiguren, Hawaii oder Japan richteten sich vorsorglich auf eine Flutwelle ein, die derzeit quer über den Pazifik rollt. Auf der Inselgruppe Juan Ferández etwa 600 Kilometer vor der Küste Chiles überspülte die Flutwelle bereits die Hälfte eines kleinen Ortes.

"Der Tsunami wird sich über den gesamten Pazifik ausbreiten", sagte der Erdbebenexperte Rainer Kind vom Geoforschungszentrum in Potsdam. "Ich vermute allerdings, dass die Zerstörungen nicht so stark sein werden. Um auf der gegenüberliegenden Seite des Pazifik anzukommen, braucht der Tsunami viele Stunden."

Es handelte sich weltweit um eines der stärksten jemals registrierten Erdbeben. Das stärkste je gemessene hatte eine Magnitude von 9,5 und ereignete sich 1960 ebenfalls in Chile. Damals starben mehr als 1600 Menschen. Chile liegt am sogenannten "Pazifischen Feuerring", einem hufeisenförmigen Vulkangürtel am Rande des Pazifiks. Etwa 90 Prozent der Erdbeben weltweit ereignen sich innerhalb des Feuerrings. Die Richter-Skala, auf der die Stärke angegeben wird, ist nicht metrisch – ein Punkt mehr auf der Skala bedeutet eine zehnfach höhere Stärke. Nach Angaben des Leiters des Seismologischen Instituts der Universität von Chile, Sergio Barrientos, waren die Stöße mit einer Stärke von 8,8 etwa 50 mal stärker als diejenigen, die am 12. Januar Haiti in die Katastrophe stürzten. Dennoch kamen glücklicherweise viel weniger Menschen ums Leben.

Und das trotz mehrerer Nachbeben mit Stärken von bis zu 6,9 auf der Richter-Skala. Die wesentlich solidere Bauweise in dem hoch entwickelten Land konnte offensichtlich die Wiederholung einer Totalzerstörung wie in Haiti verhindern. Die Schäden an der Infrastruktur jedoch sind enorm. Historische Bauten wie Kirchen oder alte Kolonialhäuser, aber auch der moderne internationale Flughafen in Santiago wurden schwer beschädigt. Der Flugbetrieb wurde für mindestens drei Tage unterbrochen. Neben Autobahnbrücken, die wie von Riesenhand verbogen und zerschlagen erschienen, lagen Autos auf dem Dach. Wohnhäuser stürzten ein und geborstene Gasleistungen sorgten für Explosionsgefahr. Auch ein wichtiges Glasfaserkabel für die Datenübertragung wurde zerstört und behinderte den Internetzugang sogar bis in die ferne argentinische Hauptstadt Buenos Aires.

In Santiago wurden Teile der Altstadt in Trümmer gelegt. «Ich spürte die Erdstöße und konnte mit meinem Sohn gerade noch ins Freie rennen, bevor ein Teil des Hauses zusammenstürzte», sagte eine Frau in der Avenida Matta, einer der ältesten Straßen der Hauptstadt. Die Reste der einst stolzen Gebäude vom Anfang des 20. Jahrhunderts sind nun im Trümmerstaub eingehüllt. Eine andere Frau steht in Tränen aufgelöst vor ihrem Haus. «Die Fassade ist weggebrochen, plötzlich waren die Türen und die Fenster weg.» Sie kann ihre Wohnung zwar noch sehen, aber wegen Einsturzgefahr wohl nicht mehr betreten. Am schwersten betroffen war hingegen nach Fernsehberichten die Stadt Concepción, wo kaum eine Straße ohne Zerstörungen blieb.

Auch in anderen Landesteilen gab es Zerstörungen, deren genaues Ausmaß aber zunächst nicht bekannt war. Aus Temuco, der Hauptstadt der Region Araucanía, gab es Berichte über zusammengestürzte Häuser. Das örtliche Krankenhaus musste evakuiert werden.

Das Beben hat auch die Zugänge zu mindestens einem Bergwerk verschüttet. Die Straßen zur Los-Bronces-Mine seien unpassierbar, teilte das dortige Sicherheitspersonal mit. Sprecher für die staatlichen Gruben El Teniente und Andina waren zunächst nicht zu erreichen. Chile stellt 34 Prozent der weltweiten Kupferproduktion her und ist damit der größte Kupferproduzent. Viele der wichtigsten Bergwerke liegen im Norden, während das Beben eher den Süden des langgestreckten Staates traf.

Die Europäische Union ist zu raschen Hilfe für Opfer des Erdbebens in Chile bereit. In einer Erklärung der zuständigen EU-Kommissarin Kristalina Georgiewa in Brüssel heißt es, die Kommission stelle derzeit fest, welche Art von Hilfe benötigt werden könne.

Aus Angst vor weiteren Nachbeben trauen sich viele Menschen nicht mehr in ihre Wohnungen. Dabei kann diese Gefahr noch länger anhalten. In den kommenden Tagen, Monaten, wenn nicht sogar Jahren müsse mit zum Teil schweren Nachbeben gerechnet werden, sagte Jochen Zschau vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ. "Einige davon könnten noch stärker als das Beben von Haiti sein." An den Rändern der tektonischen Platten hatten sich über einen langen Zeitraum starke Spannungen aufgebaut, die sich nun schlagartig entladen hätten, sagte der Wissenschaftler. Dabei seien enorme Bewegungen in Gang gesetzt worden.

Quelle: ZEIT ONLINE, AFP, dpa, Reuters

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false