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Patisserie: Aus Schwer mach Leicht

Gaston Lenôtre erfand die Welt der Patisserie neu. Er starb mit 88 Jahren nach langer Krankheit

Die kulinarische Welt kennt viele Stars, die mit Einsatz und Fantasie Neues schaffen – aber nur wenige Charismatiker, die sie von Grund auf verändern. Careme, Escoffier, Bocuse, das ist die Ahnenreihe der wichtigsten. Aber auch Gaston Lenôtre gehört dazu. Jener Bäcker aus der Normandie, der 1957 nach Paris kam und die Welt der Patisserie neu erfand. Am Donnerstag ist er im Alter von 88 Jahren nach langer Krankheit in seinem Wohnort Sologne in Zentralfrankreich gestorben.

In aller Regel sind die erfolgreichsten und bekanntesten Köche ihrer Zeit nicht auch die fachlich besten. Lenôtre war anders. Sein unbestrittener Ruf als größter Zauberer des Süßen hinderte ihn nicht daran, geschäftlich immense Erfolge zu feiern, er gründete Filialen in den USA, Japan und Saudi-Arabien – bis er sich 1985 mit einem Projekt in Amerika übernahm und alles an den Hotelkonzern Accor verkaufen musste. Seinem Ruf tat auch das keinerlei Abbruch.

Gaston Lenôtre war familiär vorbelastet: Sein Vater, Chef-Saucier in einem Grand-Hotel, führte ihn in die Welt der feinen Küche ein. 1947 machte er sich mit einer Bäckerei in der normannischen Provinzstadt Pont-Audemer selbstständig, wechselte aber zehn Jahre später nach Paris; dort schuf er später auch die Grundlagen des modernen Catering.

In den späten 60ern begründete er seinen Weltruhm auf eine einfache, aber schwer zu realisierende Art: Er nahm dem auf traditionellen Rezepten beruhenden französischen Backwerk alles Schwere. Als er begann, steckten die Patissiers des Landes ihren Ehrgeiz in Schaustücke, in Schwäne aus Blätterteig, mehrstöckige Cremetorten und Eiffeltürme aus Schokolade. Lenôtre erfand auf der Grundlage der Tradition alles neu. Die „Genoise“, unser „Biskuit“, verdrängte in seinen Torten und Törtchen die fetten Butterteige, die massiven Cremes ersetzte er durch geschlagene Sahne und schaumige Eimassen, reduzierte den Zuckeranteil, kreierte leichte Obsttorten, fruchtige Gelees und Sorbets. Aus den großen Schaustücken wurden unter seinen Händen kleine, animierende Portionen, die wie nichts über die Ladentheke gingen: die luftigen „Macarons“, die Schokoschnitte „Opéra“ das „Financière“-Törtchen, heu te Klassiker in jeder besseren Konditorei. Für diese Arbeit war mehr erforderlich als nur genialische Inspiration, denn beim Zuckerbacken gelingt, anders als beim Kochen, nichts ohne wissenschaftlich präzise Arbeit, ohne exaktes Abmessen und genaues Temperieren.

Diese Erkenntnisse gab der großzügige, stets freundliche Meister gern weiter. 1971 gründete er seine Pariser Meisterschule, durch die die größten Köche der Gegenwart gingen, Alain Ducasse, Eckart Witzigmann. Sein Freund Paul Bocuse, noch mehr Geschäfts- als Kochgenie, nahm ihn mit in die Welt, gründete mit ihm die Disneyland-Restaurationsbetriebe in Florida. Als das KaDeWe 1975 eine Filiale gründen durfte, die erste überhaupt außerhalb von Frankreich, war das nicht nur ein Privileg für das Kaufhaus, sondern auch ein Impuls für das alt backene Berliner Konditorenhandwerk.

Lenôtre blieb Berlin verbunden, ließ sich sehen, als das KaDeWe seine neue siebte Etage eröffnete, feierte hier seinen 70. Geburtstag im Zelt von „Pomp Duck“, und er war 2006 ein letztes Mal in der Stadt, als 80 Köche der Vereinigung „Traditions & Qualité“ ein großes Fest im „Wintergarten“ feierten. Sein Vermächtnis bleibt – ein Unternehmen mit 52 Filialen in 13 Ländern mit Tausenden von Mitarbeitern.

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