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Explosion im beschädigten Atomkraftwerk in Fukushima. Erneut sammelt sich Wasserstoff.

© Reuters

Atomkraftwerk in Fukushima: Kernschmelze droht

Nach dem Jahrhundert-Erdbeben in Japan wächst die Angst vor dem Super-GAU. In dem beschädigten Atomkraftwerk in Fukushima gab es eine Explosion. Der ehemalige Chef der Atomaufsicht in Deutschland sieht keine Chance mehr für eine Kontrolle des Meilers.

In dem beschädigten japanischen Atomkraftwerk in Fukushima hat sich am Samstag eine Explosion ereignet. Es habe Explosionsgeräusche gegeben, danach sei weißer Rauch aufgestiegen, berichtete der TV-Sender NHK. Fernsehbilder deuten darauf hin, dass Teile der Gebäudehülle von Fukushima 1 weggebrochen sind. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Kyodo wurden vier Menschen verletzt.

Laut ARD hat es in dem beschädigten Atomkraftwerk in Fukushima eine Kernschmelze gegeben. Das sagte die Nationale Behörde für Kernkraftsicherheit dem ARD-Korrespondent Robert Hetkämper. Eine Bestätigung hiefür gibt es noch nicht.

Japans Premierminister Naoto Kan hat sich besorgt über die Lage nach dem Atomunfall gezeigt, jedoch nicht von einer Kernschmelze im beschädigten Atomkraftwerk gesprochen. Die Explosion vom Nachmittag werde zu keinem größeren radioaktiven Leck führen, sagte sein Regierungssprecher Yukio Edano.

Unmittelbar vor der Explosion hatte es den Berichten zufolge eine Erschütterung gegeben. Nach dem verheerenden Erdbeben und dem Tsunami hatte sich die Lage in dem Meiler durch den Ausfall des Kühlsystems dramatisch zugespitzt. In der Nähe des Atomkraftwerks sei radioaktives Cäsium festgestellt worden, berichtete Kyodo am Samstag unter Berufung auf die Atomsicherheitskommission.

Die japanische Regierung hat den Evakuierungsradius um die beschädigten Kernkraftwerke Fukushima Eins und Zwei von 10 auf 20 Kilometer ausgeweitet.

In dem vom schweren Erdbeben in Japan betroffenen Atomkraftwerk Fukushima I war zuvor ein Grad an Radioaktivität gemessen worden, der tausend Mal über dem Normalwert liegt. Kyodo berichtete, eine Sicherheitskommission habe dies im Kontrollraum Nr. 1 des Akw Fukushima I gemessen und berief sich auf die nationale Atomsicherheitsbehörde.

Der ehemalige Chef der Atomaufsicht in Deutschland, Wolfgang Renneberg, sieht in Japan keine Chance mehr für eine Kontrolle des Meilers Fukushima 1. "Das ist das klassische Szenario, das den sogenannten Super-GAU umschreibt", sagte Renneberg. Eine Kühlung des Reaktors sei offenkundig nicht mehr möglich, die Batterien zur Versorgung des Systems müssten am Samstagmorgen erschöpft gewesen sein. Japan bliebe offenkundig nur noch der Katastrophenschutz wie Evakuierungen oder das Verteilen von Jod-Tabletten. "Das sind aber keine Maßnahmen mehr, um den Reaktor zu kontrollieren." Aufgrund der großen Entfernung werde Deutschland aber von Radioaktivität praktisch nicht getroffen werden. China und Russland seien dagegen gefährdet.

Ausmaß der Schäden wird sichtbar

Einen Tag nach dem Beben der Stärke 8,9 und dem verheerenden Tsunami, der bis weit ins Land hinein Schiffe, Häuser, Autos und Menschen mitgerissen hatte, wurde das Ausmaß der Schäden sichtbar. Tausende Häuser waren zerstört, Raffinerien brannten. Bislang konnten laut Polizei mehr als 430 Leichen geborgen werden. In Krankenhäusern wurden Hunderte Verletzte behandelt. Etwa 210.000 Menschen verloren ihr Zuhause.

In weiten Teilen Japans bebte die Erde auch am Samstag. Die Menschen im Großraum Tokio wurden von einer neuen schweren Erschütterung aufgeschreckt. Auch in der Provinz Nagano gab es starke Nachbeben. Das japanische Fernsehen zeigte Bilder von großflächigen Überschwemmungen an der Küste. Viele Menschen verbrachten die eiskalte Nacht frierend im Freien auf den Dächern umfluteter Häuser.

In einer Hafenstadt im Nordosten Japans werden noch 10.000 Menschen vermisst. Wie der öffentlich-rechtliche Sender NHK am Samstag berichtete, geht es um den Ort Minamisanriku in der Präfektur Miyagi.

Das gewaltige Beben hatte Japan am Freitag gegen 14.45 Uhr Ortszeit (6.45 Uhr MEZ) erschüttert. Das Zentrum der Erdstöße lag 24,4 Kilometer unter dem Meeresboden, 130 Kilometer östlich der Stadt Sendai und knapp 400 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Tokio. An der Ostküste der japanischen Hauptinsel Honshu fielen Gebäude wie Kartenhäuser zusammen, eine Wasserwand raste ins Landesinnere und riss alles mit sich, was ihr im Weg stand.

Im gesamten Pazifikraum waren nach dem Beben in etwa 50 Ländern zeitweise Tsunami-Warnungen ausgelöst worden. In Kalifornien wurde ein junger Mann von der Welle mitgerissen und ertrank. In Ecuador waren mehr als 260 000 Menschen aus küstennahen Regionen in Sicherheit gebracht worden, in Chile wurden ebenfalls Zehntausende Bewohner aus tief gelegenen Küstenstrichen in höheres Gelände gebracht.

Debatte um Atomkraft in Deutschland

Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) vermutet, dass es in dem japanischen Kernkraftwerk Fukushima zu einer Kernschmelze gekommen ist. "Anhand der uns vorliegenden Informationen neigen wir dazu, dass dort eine Kernschmelze im Gange ist", sagte Röttgen am Samstagmittag im WDR-Hörfunk. "Wir gehen davon aus, dass eine Gefährdung Deutschlands praktisch ausgeschlossen werden kann", sagte Röttgen beim Parteitag der NRW-CDU in Siegen. Dafür spreche einerseits die große Entfernung, andererseits trieben Winde bei der derzeitigen Wetterlage austretende Radioaktivität auf den Pazifik hinaus.

Röttgen wandte sich vor dem Hintergrund der "aktuellen Notlage" in Japan zugleich gegen "politische Diskussionen" über die Sicherheit und Laufzeit von Kernkraftwerken in Deutschland. "Ich halte das für völlig deplaziert", betonte der Minister. Vor der Siegerlandhalle, in der der Parteitag stattfindet, riefen Mitglieder der Umweltschutzorganisation Greenpeace zu einem Ausstieg aus der Atomenergie in Deutschland auf.

Auch der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck hatte eine Rückkehr zum Atomausstieg in Deutschland verlangt. "Ich will nicht mit einer so schlimmen Katastrophe Politik machen, aber gerade unter dem Eindruck eines solchen Risikos wünschen sich wohl alle vernünftigen Menschen ganz dringend, das es beim Ausstieg aus der nicht beherrschbaren Kernkraft bleibt", sagte der SPD-Politiker der "Leipziger Volkszeitung".

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel warnt davor, "das Leid der Japaner" für den "innenpolitischen Streit" zu instrumentalisieren. "Heute muss ein Tag des Innehaltens sein, nicht der parteipolitischen Auseinandersetzung", sagte Gabriel in Berlin. Unabhängig davon werde es "ganz sicher" zu einer internationalen Debatte über die Risiken der Atomenergie kommen.

Als Reaktion auf die drohende Atomkatastrophe hat der CSU-Bundestagsabgeordnete Josef Göppel eine Untersuchung und gegebenenfalls eine Nachrüstung deutscher Kernkraftwerke gefordert. "Es muss ausgeschlossen werden, dass die Notkühlsysteme im Ernstfall ähnliche Probleme mit der Stromversorgung bekommen", sagte der Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Umweltausschuss dem Tagesspiegel. Die Kernschmelze in Japan stelle die von der Koalition beschlossene Laufzeitverlängerung  infrage, sagte der Umweltpolitiker: "Der Druck wird steigen, Kernkraftwerke älterer Bauart planmäßig vom Netz zu nehmen." Göppel gehört zu den fünf Unionsabgeordneten, die gegen die Laufzeitverlängerung gestimmt hatten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat angesichts der Ereignisse alle Fraktionsvorsitzenden zu einer Telefonkonferenz am Samstagabend gebeten. Dies erfuhr der Tagesspiegel aus Regierungskreisen.

Die erste deutsche Hilfsmannschaft des Technischen Hilfswerks ist am Samstagmittag von Rheinland-Pfalz aus in Richtung japanisches Krisengebiet gestartet. Die Maschine mit 38 Helfern, drei Spürhunden und zwölf Tonnen Material an Bord hob gegen 13.30 Uhr vom Flughafen Hahn ab. Der Abflug hatte sich um fast eine Stunde verzögert, weil die Ladung wegen der Explosion in dem japanischen Kernkraftwerk zuvor noch sogenannte Dosimeter zur Messung radioaktiver Strahlung herbeigeschafft werden mussten.

In Berlin bauen Mitarbeiter angesichts des Katastrophe den japanischen Stand auf der Internationalen Tourismusbörse ITB ab. Das Auswärtige Amt rät von nicht erforderlichen Reisen in den Großraum Tokio und den Nordosten Japans ab. Darüber hinaus empfiehlt das Außenministerium auf seiner Internetseite, die Region um das beschädigte Kernkraftwerk Fukushima großräumig zu meiden. Der Krisenstab in Berlin und die Botschaft in Tokio seien weiter bemüht, Kontakt zu deutschen Staatsbürgern in Japan zu halten oder aufzunehmen, hieß es am Samstag. Am Freitag hatte der Krisenstab des Auswärtigen Amtes eine Telefonnummer eingerichtet (030/50003000), unter der sich besorgte Angehörige informieren können. (Tsp/dpa/AFP/rtr)

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