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Er könnte nun doch noch belangt werden: Sekten-Funktionär Hartmut Hopp (Archivaufnahme aus den achtziger Jahren).

© Marcelo Hernandez/dpa

Sekte "Colonia Dignidad": Der Tod ist ein Meister aus Krefeld

Zwangsarbeit, Folter, Mord: Einer der letzten deutschen Funktionäre der christlichen Sekte in Chile könnte doch noch belangt werden. Heute startet ein Film über die Kolonie.

Axel Stahl hat derzeit keinen leichten Job. Seit Wochen muss der Krefelder Oberstaatsanwalt Menschen aus ganz Deutschland näherbringen, was er eine „sperrige Materie“ nennt: Die juristische Aufarbeitung der chilenischen Sektensiedlung „Colonia Dignidad“ („Kolonie der Würde“). Deren ehemaliger Vizechef Hartmut Hopp war 2011 vor der chilenischen Justiz nach Krefeld geflohen.

Dort muss nun entschieden werden, ob ein Urteil aus Chile gegen ihn in Deutschland vollstreckt werden kann. Und weil der Regisseur Florian Gallenberger einen Film darüber gedreht hat, der am Donnerstag in die deutschen Kinos kommt, will es jetzt jeder ganz genau wissen. Was leicht auf die Leinwand zu bannen ist, stellt die Justiz – und damit Staatsanwalt Axel Stahl – vor eine Herausforderung.

"Dutzende Regimegegner wurden ermordet"

Nach Ermittlungen wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch floh der deutsche christliche Fundamentalist Paul Schäfer 1961 mit einigen Anhängern in die südamerikanische Republik. Auf einem riesigen Areal errichtete er eine abgeriegelte Kolonie, die sich über die Jahrzehnte zu einer Art faschistischem Zwergstaat mit bis zu 350 Einwohnern entwickelte. Er entführte Minderjährige dorthin und ließ sie Sklavenarbeit verrichten. Körperliche Züchtigung und sexuelle Übergriffe kamen laut Augenzeugen oft vor. Seinen Anhängern versprach er ein „urchristliches Leben im gelobten Land“.

Weil sie gute Kontakte zur chilenischen Putschregierung unter Augusto Pinochet unterhielten, blieben Schäfer und seine Mitstreiter vom chilenischen Staat unbehelligt. Ehemalige Bewohner berichten, das Gelände sei vom chilenischen Geheimdienst jahrzehntelang als Folterzentrum genutzt worden. An Gefangenen sollen medizinische Versuche vorgenommen worden sein, selbst sollen Kinder mit Elektroschocks gequält worden sein.

Außerdem wurden dort konventionelle, chemische und biologische Waffen hergestellt. Laut Experten des Forschungs- und Dokumentationszentrums Chile-Lateinamerika in Berlin (FDCL) wurden dort „hunderte chilenische Regimegegnerinnen und Regimegegner gefoltert und Dutzende ermordet“. Es soll vor allem Hartmut Hopp gewesen sein, der die engen Kontakte zum Pinochet- Regime unterhielt.

Nicht nur Chile zeigte kein Interesse an einer Strafverfolgung. Auch deutsche Politiker unternahmen lange nichts, um dem Treiben ihrer Landsleute ein Ende zu machen. Es soll eine regelrechte „Colonia“-Lobby gegeben haben. Dazu zählte auch Franz Josef Strauß, der der Colonia sogar einen Besuch abstattete. Bis Mitte der 90er Jahre hing ein signiertes Porträt des CSU-Politikers am zentralen Bau der Siedlung.

Selbst Franz-Josef Strauß kam zu Besuch

„Die Colonia Dignidad war keine Nazisekte“, heißt es in einem Dossier des FDCL von 2011. „Sie vertrat jedoch einen stark antikommunistischen Diskurs sowie Vorstellungen und Werte, die ihnen in rechtskonservativen sowie rechtsextremen Kreisen in Chile und Deutschland Sympathien verschafften.“ Im Dezember 1984 flüchtete ein hochrangiges Colonia-Mitglied aus der Enklave.

Nachdem der Mann der Bonner Staatsanwaltschaft umfassend Bericht über die schweren Menschenrechtsverletzungen erstattet hatte, wurden Ermittlungen gegen den Gründer Paul Schäfer eingeleitet. Eine von Außenminister Genscher in die Kolonie entsandte Delegation reiste 1987 unverrichteter Dinge wieder ab, nachdem ihr der Einlass verwehrt worden war.

Ein Jahr später befasste sich der Bundestag mit der Angelegenheit. Der heute in Krefeld lebende Hartmut Hopp trat damals als Vertreter der „Colonia Dignidad“ auf. „Colonia Dignidad“-Gründer Paul Schäfer wurde erst 2006 von der chilenischen Justiz belangt, zu einer Haftstrafe von 20 Jahren und zur Zahlung von umgerechnet rund 1,5 Millionen Dollar an elf Jugendliche verurteilt. Er starb im April 2010 mit 88 Jahren in einem chilenischen Gefängniskrankenhaus.

Oktoberfest in der ehemaligen Kolonie

Sein Stellvertreter Hartmut Hopp wurde im Jahr 2005 von den chilenischen Behörden festgenommen und wegen sexuellen Missbrauchs an Kindern und Freiheitsberaubung zu fünf Jahren Haft verurteilt. Daraufhin floh er nach Deutschland. Zusammen mit seiner Frau ließ er sich in Krefeld nieder, da dort ein Bekannter den gemeinnützigen Verein „Freie Volksmission“ betreibt.

Die „Colonia Dignidad“ besteht bis heute unter dem Namen „Villa Baviera“ („Bayerisches Dorf“) fort und lockt Touristen mit Oktoberfesten, Bier und Blasmusik. Staatsanwalt Axel Stahl hofft, sich im Verlauf des März ein Bild über den Fall Hartmut Hopp machen zu können. Könne das chilenische Urteil nicht vollstreckt werden, müsse geprüft werden, ob Hopp wegen in Chile begangener Taten in Deutschland angeklagt werden könne, sagt er. „Das ist aber schwierig bei Vorgängen, die vor etlichen Jahrzehnten am anderen Ende der Welt passiert sind.“

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