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Tricky, bekannt geworden als loses Mitglied der Band „Massive Attack“, in einem Café in seiner neuen Heimat Neukölln.

©  Mike Wolff

Der britische Musiker wohnt jetzt in Berlin: Neukölln ist Trickys Welt

Er hat in London gelebt, in New York und Paris, doch nirgendwo wurde Tricky heimisch. Nun hat es den Trip-Hop-Star nach Berlin verschlagen – und er ist produktiv wie lange nicht.

Er werde nicht nach draußen gehen heute, heißt es kurz vor dem Moment, da wir mit Tricky rausgehen wollen. Treffpunkt ist ein Café in der Emser Straße, unweit der Wohnung gelegen, die der britische Popstar vor sechs Monaten bezogen hat. Einer wie er in einer Gegend wie der?

Trickys Neukölln, das wäre einen Rundgang wert. Durch nasskalte Straßen am unteren Ende der Hermannstraße. Zeigen Sie uns Ihren Supermarkt und das Stehcafé für den Morgenespresso. Wo ist Ihr Gym? Und wie halten Sie es hier überhaupt aus?

Aber der Popstar will nicht. Und ein Popstar ist er: Miterfinder des Trip-Hop, dieser Zeitlupenversion von Hip-Hop, die Tricky 1991 als Mitglied von Massive Attack in die Welt zu setzen half. Das Debüt der Band („Blue Lines“) gilt als bestes britisches Album der 90er Jahre. Trickys erste Soloplatte vier Jahre später begründete einen Ruf als dunkler Großmeister der Paranoia. Seine Musik, gespeist aus Bildern der Gewalt, sexueller Abhängigkeit und einem finsteren, kranken Humor. Nach der Trennung von seiner langjährigen Muse Martina Topley-Bird, mit der er eine 21-jährige Tochter hat, versank er tiefer in seiner eigenen Welt, die er als Existenz im Underground empfindet. Das Wort Popstar hasst er und sagt: „fame is a disease“, Ruhm ist eine Krankheit. Oder auch: „a fuckin’ nightmare“, ein verdammter Albtraum.

Krankheit und Albtraum – das läuft auf Fieberwahn hinaus. War es ein solcher, der ihn in diese Gegend Berlins geführt hat, die wie ein einziger großer Hinterhof und bestimmt nicht das ist, was man reizvoll nennen würde?

„Ich habe die Stadt zunächst nicht verstanden“, sagt Tricky, nachdem er pünktlich im Café erschienen ist, etwas nervös oder vielleicht auch nur fröstelnd. Eine Mütze auf dem Kopf, die seinen kahlen Schädel winzig aussehen lässt, hat sich der 47-Jährige auf einen Stuhl gepflanzt, die Arme auf dem Tisch verschränkt. Sein Gesichtsausdruck? Der eines Kämpfers: scheue, dunkle Augen in einem furchtlosen, sehnigen Gesicht. Berlin nicht verstanden also. Was war so schwer daran?

Bei früheren Besuchen, wenn er für ein Konzert an der Spree weilte oder um Interviews zu geben, sei es jedes Mal bitterkalt gewesen und er sei im Hotel geblieben. „Die Stadt sah schrecklich dunkel und verlassen aus, als würde überhaupt nichts passieren.“ Dann, im Sommer 2014, hatte er zwei freie Tage und wanderte durch die Straßen. „Was mich entspannt, ist, einfach herumzulaufen. Das konnte ich nirgendwo so gut wie hier.“

Er spricht mit dem breiten Akzent westenglischer Dockarbeiter

Als David Bowie 1995, auf dem Höhepunkt des Trip-Hop, eine psychedelische Lobeshymne auf Tricky im „Q“-Magazin veröffentlichte, da beschrieb er ihn als einen, „der als Gruppe allein unterwegs ist“. Ein schönes Bild für die einsame Wucht dieses Musikers, der mit dem breiten Akzent westenglischer Dockarbeiter spricht, als Adrian Thaws hineingeboren in eine Familie aus Schwerkriminellen. Sein Großvater saß viele Jahre im Knast, ebenso einer seiner Großonkel. Ein Onkel und ein Cousin wurden auf der Straße erschossen. Was ein düsteres Licht auf Trickys Behauptung wirft, in seinem Viertel in Bristol habe man noch den Zusammenhalt der Familien gespürt. Er war als Kind Zeuge, wie seine Großmutter ihrer Tochter den Arm in der Tür brach. Es war normal, dass man einander schlug, mit dem Messer attackierte und ständig anschrie. Er selbst verbrachte einige Monate in einer Besserungsanstalt, nachdem er falsche 50-Pfund-Noten in Umlauf gebracht hatte. Unter seinen Freunden hieß er bald „tricky kid“.

Seit er seine Heimat Bristol an der englischen Westküste verlassen hat, lebte er in Birmingham, Manchester, London, New York, New Jersey, Los Angeles und Paris. Nirgendwo schlug er Wurzeln. In New York hätte es klappen können, sagt er. Beim Anflug auf den Flughafen JFK sah er die Lichter der Stadt in der Dunkelheit funkeln und spürte sofort ein Gefühl von Verbundenheit. Auf der Brooklyn Bridge brachte ihn der Blick auf die Skyline von Manhattan beinahe um den Verstand. Doch drei Jahre später schaute er bei Fahrten über die Brooklyn Bridge nicht einmal mehr aus dem Taxifenster. In New Jersey saß er auf vier Hektar Land mit Blumen und Bäumen, doch bald schon nahm er keine Notiz mehr davon. In seinem Pariser Lieblingscafé verstand er sofort, warum es so viele Maler an die Seine gezogen hatte, deren Bilder nun im Louvre gegenüber hingen. Aber als er nur noch hinging, um Kaffee zu trinken, geriet er in Aufbruchstimmung. „Wenn ich mich zu langweilen beginne, sitze ich in der Falle und muss fort.“

Die ehemalige Fabriketage nennt er sein "kleines Atelier"

Tricky lebt eher zurückgezogen. Als er neulich in einem Café erkannt wurde, ging er nicht wieder hin.
Tricky lebt eher zurückgezogen. Als er neulich in einem Café erkannt wurde, ging er nicht wieder hin.

© Mike Wolff

Zuletzt erwog er, sich in London niederzulassen. Aber sein Manager schüttelte den Kopf und sagte, es sei eine gute Stadt für Leute, die sich für Mode interessierten und vor Clubs fotografieren lassen wollten, Arm in Arm mit Musikmanagern, um eigene Songs im Radio gespielt zu bekommen. Wolle er auf einmal Teil einer Szene sein, da es ihm doch immer egal gewesen sei? Der Manager hatte Recht.

Tricky bewohnt jetzt in der Nähe des S-Bahnhofs Hermannstraße ein „kleines Atelier“, wie er die ehemalige Fabriketage nennt. Hinterhof. Kaum möbliert. Er habe keine Besitztümer, sagt Tricky, außer einem Sandsack zum Boxen, eine Goldkette und Klamotten, davon allerdings einige. Sogar sein Kühlschrank sei leer. Er kauft jeden Tag von neuem ein.

Als Musiker ist Tricky heute wieder so produktiv wie zu Beginn seiner Karriere. Berlin besänftigt seine Dämonen aus der Vergangenheit. Tricky, der unerwünschte Sohn: Zurückgesetzt und verlassen musste er sich vorkommen, nachdem seine Mutter Maxine Suizid begangen hatte. Da war er vier Jahre alt. „No time to crawl / ’Cause my mother go / To the other side / She chose suicide“, singt er auf seinem neuen Album „Skilled Mechanics“, das vergangene Woche erschienen ist. Und wenn das weniger zornig klingt als in vergangenen Phasen, dann weil es für ihn „nichts zu bedauern“ gibt.

Bowies Namen zu erwähnen, ist keine gute Idee

An West-Berlin mochte David Bowie 1977, dass er sich unbehelligt bewegen konnte. Und er nahm sogar einen Song namens "Neukoln" auf, den anzuhören Tricky an Neukölln "bei Nacht" erinnert. Aber Bowies Namen zu erwähnen, ist keine gute Idee. Nicht jetzt. Dessen Tod habe ihn umgehauen, sagt Tricky und schluckt schwer. Wer steckt schon ungerührt weg, von Bowie selbst als derjenige verherrlicht zu werden, der seine Nachfolge antreten könnte? „Ich glaube nicht, dass ich mich je bei ihm für das bedankt habe, was er für mich getan hat. Ich meine, man braucht kein Bowie-Fan zu sein, um zu kapieren, dass ein Artikel von ihm über einen selbst eine großartige Sache ist, oder?“

Auch, wenn die Sache mit der Nachfolge gar nicht in Trickys Sinne war. „Die Anonymität zu verlieren, ist das Schlimmste, was einem passieren kann“, sagt er, „vollkommen unnatürlich. Ich will meine Musik machen, ohne dass mir Popularität in die Quere kommt.“

Meistens bleibt er in seinem Revier unerkannt. Als er in einem Café einmal von dem dortigen Hipster-Publikum dennoch identifiziert wurde, mied er es fortan.

Bowie war nicht der einzige Popstar, den es nach West-Berlin verschlug. Sein Kompagnon Iggy Pop war eine Zeitlang mit ihm da. Anfang der 80er folgten Nick Cave, der – von London gelangweilt – auf der Suche nach einer inspirierenden Szene war, sowie Martin Gore von Depeche Mode. In den 90er Jahren waren es U2, DJs wie Ricardo Villalobos und die kanadische Clique um Chilly Gonzales, mit Feist und Peaches, die in abbruchreifen Häusern in Mitte lebten und schnell kapierten, dass ihr Tatendrang kaum auf Widerstand stoßen würde. In den Nullerjahren kamen Musiker wie der Songwriter Erlend Oye, sie blieben nur kurz.

„Berlin ist eine visuelle Stadt“, sagt Tricky. „Man kann Botschaften auf Mauern lesen, ich meine, man kann ein Sofa auf dem Gehweg stehen sehen, daneben einen Fernseher und eine Stehlampe. Als würde die Einrichtung einer Wohnung, wenn man sie nicht mehr braucht, auf der Straße einfach zur Einrichtung aller. Totales Chaos. Gleichzeitig drückt das aber auch eine gewisse Gelassenheit aus.“

Trickys Berlin ist ein noch nicht gentrifiziertes, das es in Neukölln noch zu geben scheint. Denn er hält die Stadt für die letzte Metropole, die nicht abgewirtschaftet und sich Lifestyle-Phänomenen preisgegeben hat. Sein Lob klingt so: „Die Mode der Leute ist nicht an Geld gekoppelt. Sie mieten sich Wohnraum, statt ihn kaufen zu müssen und von Banken abhängig zu werden. Hinzu kommt, dass es eine familienfreundliche Stadt ist. Ich sehe jeden Tag so viele Väter, die mit Kindern auf dem Rad unterwegs sind, in Cafés gibt es Spielecken für Kinder. Und hier habe ich zum ersten Mal ein Plakat mit dem Konterfei des Todeskandidaten Mumia Abu Jamal in der Öffentlichkeit gesehen. Dabei wartet Jamal in Amerika auf seine Hinrichtung, ein schwarzer US-Bürger. Das hat mich umgehauen. Die Deutschen wissen, was in der Welt vor sich geht. Und viele kämpfen noch für Gerechtigkeit.“

Er dokumentiert seine spezielle Berlin-Romantik auf Instagram

Tricky lebt eher zurückgezogen. Als er neulich in einem Café erkannt wurde, ging er nicht wieder hin.
Tricky lebt eher zurückgezogen. Als er neulich in einem Café erkannt wurde, ging er nicht wieder hin.

© Mike Wolff

Tricky dokumentiert seine spezielle Berlin-Romantik auf Instagram, wo er regelmäßig Selfies und Momentaufnahmen veröffentlicht. Er in der Überwachungskamera des Supermarkts, er im zerkratzten Spiegel eines Fahrstuhls. Pfützen und Risse im Asphalt, von Graffiti übersäte Hauseingänge, Müll und Schmutz.

Sehr weit gelangt er nicht über sein Viertel hinaus. Dort ist sein Sportstudio, in das er für seine „schmerzhaften“ Panatuken-Übungen geht. Im nahe gelegenen Supermarkt findet er die Lebensmittel, die er benötigt für seine Candida-Diät. Sie bewahrt ihn wegen einer extremen Hefe- und Zucker- Unverträglichkeit vor starken Stimmungsschwankungen. In Clubs geht er nicht mehr. „Wen treffe ich schon? Gar keinen. Ich fühle mich ganz wohl mit mir selbst. Es gibt kein Netzwerk. Ich brauche niemanden zu kennen, um an einem Ort heimisch zu werden.“

Zwar rät man ihm immer wieder, erzählt Tricky belustigt: Du brauchst eine Freundin. Aber er findet, dass sein Leben zu langweilig für eine Frau wäre. „Ich unternehme ja nichts. Mir reicht es, zu kochen, zu essen und kein Wort zu sagen. Oft kommt mir die zündende Idee für die Instrumentierung eines Stücks oder eine Textzeile, wenn ich gerade Gemüse schnipple.“ Welche Frau könnte da zurückstehen?

Er schaue Dokumentationen und rauche Gras, sagt er

Wie sehr sein Aufenthalt in Berlin Tricky verändert hat, verrät vielleicht am besten sein Amusement über die Tatsache, dass er jetzt stolzer Besitzer eines Fahrrads ist. Er habe davor 30 Jahre lang keines besessen. Nun radele er durch die Straßen, auf dem Rücken sogar einen Rucksack. Er sei schon der perfekte Berliner. „Ich denke, wenn dich etwas verändern kann, dann ist es zu deinem besseren. Berlin drängt mich dazu, Projekte erledigt zu bekommen. Wenn ich gelangweilt bin, raffe ich mich zu gar nichts auf.“ Aber Nichtstun sei „gefährlich“ für ihn, sagt er und meint: er schaue Dokumentationen und rauche Gras und warte auf den Ansturm der bösen Geister.

Er darf sich nicht fragen, ob ihm etwas fehlt. Das hat ihn nur in Bedrängnis gebracht. Sein legendäres Debütalbum „Maxinequaye“ ist nach der Mutter benannt, an die er keine konkrete Erinnerung besitzt. Der Song „Boy“ beschreibt jetzt die Reaktion seines Vaters, nachdem Adrian ihn im Telefonbuch ausfindig machte. „At twelve I met my dad / His name is Roy / He forgot my name / He called me ,Boy'“.

Aus diesen Worten spricht eine Dankbarkeit, wie Johnny Cash sie in „A Boy Named Sue“ formuliert hat, wo der Vater in dem Bewusstsein, nicht für den Sohn da sein zu können, diesem einen Mädchennamen verpasst, damit der sich durchzuschlagen lernt. Zu seinem Vater, der aus der Karibik stammt, hat Tricky erst in letzter Zeit eine Beziehung aufgebaut. „Mein Großonkel schrieb aus dem Knast einen Brief, in dem stand: ,Roy hat eine Menge Fragen zu beantworten.’“ Deshalb habe sich sein Vater von der Gangsterfamilie fern gehalten. „Ich betrachte meine Kindheit nicht als trostlos“, erklärt Tricky. „Sicher, ich bin ohne Eltern aufgewachsen, aber das hat mich zu dem gemacht, der ich bin. Es gab Menschen wie meine Großmutter, die mich niemals in ein Heim abgeschoben hätte.“

Dass er den schönsten Vierzeiler seiner Karriere über dieses Thema ausgerechnet in Berlin zustande gebracht hat, erklärt er mit der Ähnlichkeit der Stadt zu Bristol. Was „die Vibes“ betreffe. Auch Bristol hat eine starke proletarische Tradition, es gibt Lücken in Häuserblocks, Brachflächen und freien Raum, vieles ist nicht renoviert, es geht langsamer voran. Und man treffe eine Menge Hausbesetzer, die er „squad punks“ nennt.

„Mich hat in Berlin zuerst irritiert, dass die Menschen sich im Supermarkt unterhielten, während sie einkauften. Ich stand genervt in der Schlange mit meinen Gemüsetüten, darauf wartend, dass die Dame vor mir und die Kassiererin sich ausgetauscht hatten. Wie geht es Ihnen? - Och, … – Meine Güte, dachte ich. Das kann doch nicht… Heute bin ich derjenige, der die Leute vollquatscht: Hey, alles cool today? ... Ich werde wohl eine Weile bleiben.“

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