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Wunderbare Warenwelt. Einer von zuletzt 470 Intershops.

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Erinnerungen an die DDR: Gregor Gysi, Heike Drechsler und der Intershop

Die Läden konnten von außen noch so schäbig aussehen – drinnen glitzerte die Warenwelt des Westens. Ein Sehnsuchtsort, geliebt und gehasst.

Natürlich ging es ums Geld: Die DDR brauchte dringend Devisen, als am 14. Dezember 1962 Vertreter der Mitteldeutschen Schlafwagen AG (Mitropa) und der Deutschen Genußmittel GmbH die Intershop GmbH gründeten.

An Grenzübergängen, Transitstrecken und Bahnhöfen konnten Reisende aus dem Ausland gegen Auslandswährungen in den Intershops fortan Westprodukte kaufen: Nahrungsmittel, Kleidung, Kosmetik, Schmuck, aber auch Technik und Autos. Geöffnet war 365 Tage im Jahr.

Bereits Mitte der 60er Jahre gab es in der DDR mehrere Dutzend Verkaufsstellen, 1977 bereits 271 Läden. Für den Erfolg waren auch die Preise verantwortlich, die leicht unter denen im Westen lagen. Dabei wurden viele der angebotenen Waren in der DDR und nicht im Ausland gefertigt. Westfirmen ließen in der DDR günstig produzieren und stellten im Gegenzug einen Teil der Produktion zum Verkauf zur Verfügung.

Für die Versorgung der Geschäfte mit Waren war die Forum Außenhandelsgesellschaft mbH verantwortlich, die zum von Alexander Schalck-Golodkowski geleiteten Bereich Kommerzielle Koordinierung (KoKo) im Ministerium für Außenhandel gehörte. Zu Spitzenzeiten arbeiten hier 900 Mitarbeiter.

Waren die Intershops anfangs nur für Reisende aus dem Westen gedacht, durften ab 1974 auch DDR-Bürger Devisen besitzen und in den Geschäften ausgeben. 1979 wurden „Forumschecks“ eingeführt – DDR-Bürger mussten ihre Devisen bei der Staatsbank gegen die Schecks eintauschen. Eine Möglichkeit für den Staat, ausländische Währungen schon abzugreifen, bevor das Geld ausgegeben wurde.

Vom ideologischen Standpunkt aus waren die Läden für die Parteispitze schwer zu legitimieren, schließlich belegten sie Tag für Tag die mangelnde Kaufkraft der Ost-Mark. Doch wenn es um Devisen ging, wurde Honecker zum Pragmatiker. „Bekanntlich kommen zu uns im Jahr etwa 9,5 Millionen Gäste aus kapitalistischen Ländern, die bei uns essen, zum großen Teil übernachten und selbstverständlich auch Geld in den Taschen haben. Durch die Intershop-Läden haben wir die Möglichkeit geschaffen, dass diese Devisen bei uns im Lande bleiben“, zitierte ihn 1978 die „Zeit“.

Als 1989 die Mauer fiel, gab es 470 Intershops. In jeder DDR-Kreisstadt wurde einer betrieben. Zur Staatssanierung reicht es trotzdem nicht, auch wenn die DDR mit den Intershops mehr verdiente als durch Häftlingsfreikäufe und Westkredite: Zwischen 1971 und 1989 waren es 14,3 Milliarden D-Mark. Die Schulden an den Westen betrugen allerdings schon Ende der 1970er Jahre 20 Milliarden D-Mark.

Woran sich der Politiker Gregor Gysi erinnert

Wunderbare Warenwelt. Einer von zuletzt 470 Intershops.
Wunderbare Warenwelt. Einer von zuletzt 470 Intershops.

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Der Status des Besonderen

GREGOR GYSI, Politiker (Die Linke)

Der Intershop war etwas Besonderes, und die Ostdeutschen liebten ihn, wenn sie Westgeld hatten, und konnten ihn nicht ausstehen, wenn sie kein Westgeld hatten. Zu Weihnachten konnte man aber mit einem schon geringen Westgeldbetrag Kindern eine ungeheure Überraschung bereiten, wie das heute kaum noch möglich ist, weil es den Status des Besonderen nicht mehr gibt.

Einmal habe ich als Anwalt Verkäufer des Intershop verteidigt: Weil sich die Preise regelmäßig änderten, mussten immer die Fernsehgeräte, die oben im Verkaufsraum und unten im Lager standen, gezählt werden. Die Zähler machten aber eine Pause zwischen dem Zählen oben und dem Zählen unten. In der Pause wurden dann Fernsehgeräte entweder hoch- oder runtergetragen, je nachdem, ob die Preise gestiegen oder gesunken waren. Die Differenz steckten sich dann die Verkäufer ein – immerhin keine schlechte Idee.

"Das Eau de Intershop ist unerreicht"

INGO BACH, Tagesspiegel-Redakteur

Mancher vor 1989 geborene Westler verbindet die DDR mit dem Duft von Desinfektionsmitteln in den Zügen der Reichsbahn. Und mancher Ostler verbindet die DDR – oder besser die Sehnsucht nach dem, was jenseits ihrer Grenzen lag – mit einem ganz speziellen Duft, wie ihn nur ein „Intershop“ mixen konnte.

Sobald man diese Läden betrat, schlugen über einem die Wellen eines intensiven Geruchs zusammen. Es war eine immer gleiche Kreation aus der Essenz frischen Plastiks, Radios und Kassettenrekordern, von folienverpackten Schokoladenriegeln und Kaugummikugeln (natürlich mit Sammelbildchen), von Waschmitteln, Seifen, Parfums und schließlich dem Geruch von Zehn-D-Mark-Scheinen, die zigfach in der schwitzigen Hand umgedreht wurden, bis endlich die Wahl getroffen war. Selbst die brüchigste Baracke, in denen die Intershop-Filialen oft untergebracht waren, wurden so ein Tor gen Westen.

Klar, es gibt auch heute Super-Supermärkte, die alle möglichen Produkte im Programm haben und deshalb auch diese Geruchsmixtur hervorbringen müssten. Doch sie tun es nicht, wahrscheinlich, weil sie einfach zu groß sind und ein „Eau de Intershop“ nur in kleinen vollgestellten Zimmerchen die Konzentration erreicht, die nötig ist. Wahrscheinlich sind die intensiven Duftstoffe aus den 80ern auch längst aus den Waschmitteln verschwunden, weil sie Allergien oder Hautirritationen auslösen könnten. So manche Seifenmarke, die damals en vogue war, ist heute nicht mehr zu finden. Aber vielleicht kann so ein Geruch auch nur dann entstehen, wenn das, was da duftet, fast unerreichbar ist.

Wie die Sportlerin Heike Drechsler die Geschäfte erlebt hat

Wunderbare Warenwelt. Einer von zuletzt 470 Intershops.
Wunderbare Warenwelt. Einer von zuletzt 470 Intershops.

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Zweiklassengesellschaft

HEIKE DRECHSLER, Leichtathletin, Gesundheitsmanagerin

Es gab in der DDR einen Witz über die Intershops: Wer in den Läden einkaufen konnte, feierte das „Money-Fest“, dem Rest blieb das „Manifest“. Das erste Mal in einem Intershop war ich wohl so mit elf, zwölf Jahren. Wir waren neugierig, also bin ich mit ein paar Schulfreunden hinein. Mal umschauen. Ich habe meine Mutter gefragt, warum wir dort nicht einkaufen können, aber sie hat nur gesagt, dass wir dafür kein Geld haben.

Wenn ich später Westgeld hatte, dann habe ich es meistens gespart, bis ich das Land verlassen konnte. Dank der Sportschule konnte ich ja gelegentlich reisen. Aber nach Wettkämpfen wie den Olympischen Spielen in Seoul gab es für Medaillen auch mal Forumschecks, die man in den Intershops einlösen konnte. Zu Weihnachten habe ich mir dann mal eine Tafel Schokolade oder Kaffee gegönnt.

Einmal habe ich mitbekommen, wie jemand im Intershop einen Mazda aus dem Katalog geordert hat. Das fand ich zuerst kurios, aber wenn man drüber nachdenkt, stimmt einen diese Zweiklassengesellschaft, die es gab, eher traurig.

„Zwei Keksstangen umhüllt von Karamell, ja wirklich, gleich zwei“
ULF LIPPITZ, Tagesspiegel-Autor
Jede Sommerferien fuhr ich zu meiner Oma. Und jedes Mal machten wir einen Ausflug in die nächstgelegene Stadt: nach Schwerin. Keiner dieser Ausflüge war komplett ohne einen Besuch im Intershop. Das war ein Ritual, unser Champs-Élysées-Moment. Wenn wir mit dem Zug am Bahnhof ankamen, von den Gleisen in das Hauptgebäude gingen, führte links eine Treppe hinauf in die erste Etage, in einen beinahe versteckten Raum, in dem der Intershop lag.

Er war das Reich der kleinen Dinge, ein vollgestellter Verkaufsraum mit Matchbox-Autos, Schokoriegeln und Kaugummis. Wahrscheinlich hat jeder Späti heute ein größeres Sortiment, damals war die bunte Glitzer- eine unerhörte schillernde Warenwelt. Meine Oma ließ mich durch den höchstens zwölf Quadratmeter großen Raum wandern, die Augen klebten an den Vitrinen und suchten das eine Produkt, was sich mit einer D-Mark kaufen ließ. Denn für so viel Geld durfte ich mir was aussuchen, jedes Mal, in jeden Ferien, fast zehn Jahre lang.

Meine Oma hatte ihre Prinzipien, in der DDR gab es keine Inflation, und die Preise schienen sich in meiner Erinnerung nie zu erhöhen. Und jedes Mal griff ich doch wieder zu einem Raider, zu dieser goldenen Verpackung mit den signalroten Buchstaben, zwei Keksstangen umhüllt mit Karamell, ja wirklich, zwei gleich! Eine aß ich gleich auf dem Bahnhofsvorplatz, die zweite gönnten meine Oma und ich uns später, wenn wir im Zoo waren, auf einer Bank unter den Bäumen saßen und vorsichtig den Riegel herausholten. Das war unser Augenblick des Glücks, vor uns die Giraffen, im Mund die schmelzende West-Schokolade.

Wie der Schriftsteller Thomas Brussig mal einen Tausender fand

Wunderbare Warenwelt. Einer von zuletzt 470 Intershops.
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„Pah, wenn die wüssten!“
THOMAS BRUSSIG, Schriftsteller
Als ich zehn war, habe ich mal sehr viel Geld gefunden, einen Tausender. Er lag in einem Lüftungsschacht am S-Bahnhof Alexanderplatz, und ich brauchte einen halben Nachmittag, den Schein herauszuangeln. Er war schmal und braun, aber es war ganz zweifellos ein Tausender, und zweifellos Westgeld, schließlich stand da was von „Banco Italia“ oder so. Meinen Eltern sagte ich nichts davon, denn ich wollte sie reich beschenken.

Was kann man mit einem Tausender Westgeld kaufen? Ich ging in den Intershop im Hotel „Stadt Berlin“, um mir ein Bild zu verschaffen. Da standen Farbfernseher, in allen möglichen Größen, wenn auch zu sehr komischen Preisen: 499 oder 699 oder sogar 999. In den DDR-Läden kosteten die Dinge 3,45 oder 1,72 oder, wenn es sich um einen Farbfernseher handelte, 3765. Ich hatte, wenn ich diese Preise sah, immer einen Mann mit einem spitzen Bleistift vor Augen, der genau ausrechnete, was eine Ware wirklich wert war. Das war doch was Reelles, nicht so ein Muschebubu wie diese Intershop-Preise.

Eigentlich hatte ich in einem Intershop nichts zu suchen; gerade als Kind sollte ich mich nicht von den Verlockungen des Westens verderben lassen. Ein Intershop von innen war einfach mal ein K.-o.-Argument gegen den Realsozialismus. Die maßregelnden Blicke der Verkäuferinnen ignorierte ich, bis ich schließlich zu hören bekam: „Na du, das ist wohl eher nicht dein Laden.“ Pah, wenn die wüssten!

Ich ging mit einem hochmütigen Blick, aber am nächsten Tag kehrte ich mit drei meiner Freunde zurück. Mein Plan war, den Karton mit dem Fernseher auf zwei Roller zu hieven und ihn so nach Hause zu schieben. Wenn was zu schleppen ist, wollten wir zu viert anfassen. Ich steuerte direkt den Verkaufsstand mit den Fernsehern an und zeigte: „Den!“ Weil mir die Verkäuferin einen Blick zuwarf, dem ich entnahm, dass sie einem Zehnjährigen niemals einen Farbfernseher verkaufen werde, präsentierte ich mein Geld. Was in den nächsten zwei, drei Minuten geschah, ist im Orkus einer gnädigen Amnesie gelandet; meine Erinnerung setzt erst da wieder ein, als ich mit meinen Freunden Tic Tac und Haribo-Schaumerdbeeren futternd über den Alex zog.

"Mein Eis, sofort, unverzüglich"

KATRIN SCHULZE, Tagesspiegel-Redakteurin

Zugegeben, wir waren privilegiert. Unsere Verwandtschaft aus Hamburg schickte regelmäßig Pakete mit Cola, Süßigkeiten, Kaffee und Klamotten in die brandenburgische Provinz. Doch nicht alles ließ sich in ein Paket stecken. Eis zum Beispiel. Eis, also richtiges West-Eis, blieb eine Rarität – mein persönliches Sehnsuchtsprodukt. Alles begann mit dem ersten Ausflug in den Intershop, an dessen Ende ich mir ein Eis aus der Truhe fischen durfte. Ed von Schleck sollte es sein. Erdbeer-Vanille am Plastikstiel. Toll. Es gab nur ein Problem: Von nun an sollte es immer Ed von Schleck sein.

Wenn meine Eltern gewusst hätten, was sie mit dem einen Intershop-Besuch anrichten würden, sie wären wohl für immer nur in den Konsum gegangen. Klar bekamen wir auch im Konsum Eis und auch bei Kaffee-Peter, dem örtlichen Bistro, nur schmeckte mir das plötzlich nicht mehr. Ich weiß nicht, ob es wirklich am Geschmack des Westens lag oder eher an der Tatsache, dass ich Ed von Schleck so selten haben durfte. Immer nur, wenn wir ein paar Taler Westgeld gesammelt hatten und mit unserem Trabi zum Intershop nach Berlin-Schönefeld düsten, was nicht sehr häufig der Fall war. In der Zwischenzeit quengelte und winselte ich, und ein Mal weinte ich sogar, weil ich kein West-Eis haben durfte.

Erst ein gewisser Günter Schabowski erlöste mich und machte, ich war gerade sieben Jahre alt, meinen großen Wunsch wahr: Ich konnte mein Eis haben, sofort, unverzüglich. Immer. Die Sehnsucht war gestillt. Kurze Zeit später hatte ich mich dann aber auch schon überfuttert. Es war aus mit mir und Ed. Bis heute habe ich’s nie wieder mit ihm probiert.

Was Nachrichtensprecherin Susanne Daubner mit Lux-Seife verbindet

„Lux-Seife lagerte ich im Kleiderschrank“
SUSANNE DAUBNER, Nachrichtensprecherin
Intershops waren praktisch für DDR-Bürger, die durch Verwandtschaft oder Freunde aus dem Westen über D-Mark verfügten. Die anderen drückten sich an den Schaufenstern die Nasen platt. Man konnte zwar auch auf dem Schwarzmarkt an D-Mark gelangen, der Kurs war aber hoch, 1:25. Das wenige Geld, das ich hatte, legte ich vorwiegend in Lux-Seife an, die natürlich nicht benutzt wurde, sondern im Kleiderschrank landete. Von dem Duft wollte ich solange wie möglich etwas haben, dem Duft nach Freiheit. Auch wenn Freiheit eigentlich nichts mit Konsum zu tun hat – aber in diesem Moment eben doch.

Wunderbare Warenwelt. Einer von zuletzt 470 Intershops.
Wunderbare Warenwelt. Einer von zuletzt 470 Intershops.

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„Gary Moore in einem dieser Mistläden – ein Wunder“
TORSTEN HAMPEL, Tagesspiegel-Reporter
Westgeld war nicht dafür da, um im Intershop ausgegeben zu werden. Jedenfalls nicht in dem, der sich im Erdgeschoss des Interhotels meiner Heimatstadt Halle befand. Westgeld war zu wertvoll, um es für den Unfug zu verschwenden, den dieser Laden vorhielt, für Jacobs-Kaffee oder Persil oder Wrigley’s Spearmint. Ich habe es – wenn mich nicht alles täuscht – für sinnvoller erscheinende Sachen benutzt.

Die Lackierer im nahen Chemiekombinat Buna bestochen zum Beispiel, damit sie das graue Vorderradschutzblech meines Motorrades schön orangerot machten. Bis ich dann mal in die große Nachbarstadt Leipzig kam, in den Intershop im Hotel Astoria. Sie hatten Schallplatten da. Dutzende, eine davon war Gary Moores „Wild Frontier“. „Over the Hills and Far Away“ ist da drauf, und eine schöne „Friday on My Mind“-Coverversion. Ich mochte das sehr damals, und dass so eine tolle Platte in einem dieser Mistläden stand, hielt ich für ein Wunder.

Selbst, wenn sich meine Vorlieben mal ändern sollten, wäre sie immer noch ein feines Tauschobjekt gewesen. Ein paar verchromte Motorradspiegel konnte man bestimmt dafür bekommen. Oder ein paar von diesen klobigen, schwarzen Wanderschnürschuhen, die die Leute von den Ost-Berliner Punk-Bands um diese Zeit trugen.

Ich fuhr zurück in die Heimatstadt und eruierte den Markt. Ich wollte auf Nummer sicher gehen. Nach ein paar Tagen – wahrscheinlich – kam ich wieder nach Leipzig. Die Platte war weg. Jedes Mal, wenn ich in Leipzig bin und das seit fast zwei Jahrzehnten leere, vergammelnde Astoria-Hotel sehe, denke ich daran. Es gehört einem Spekulanten.

Welche Gedanken sich Autor Jakob Hein zum Intershop gemacht hat

"Unwirkliche Dinge in den Händen"

JAKOB HEIN, Schriftsteller und Arzt

Nichts soll beschönigt werden aus dieser betongrauen, von Neonröhren beleuchteten Zeit. Aber immerhin machte sie uns zu wenig stolzen Besitzern eines Paradoxons: Die Realität des Surrealen, das fassbar Abstrakte. Denn die Waren des Westens waren ja nicht nur seltener, teurer oder besser, sie waren Illusionen.

So viel man auch arbeitete, so sehr man auch sparte – diese Schätze blieben für Geld unerreichbar. Einerseits. Andererseits öffnete man die nach Waschpulver duftenden Pakete aus Westdeutschland, nahm man der armen Oma die schweren Taschen am Grenzübergang ab (Gewichtheben für Senioren wäre eine weitere sichere olympische Goldmedaille für die DDR gewesen) – schon hielt man diese eigentlich unwirklichen Dinge in den eigenen Händen. Wie viele Gläser Nutella sind eingetrocknet zwischen Rügen und dem Erzgebirge, weil man ihnen niemals zu viel entnehmen wollte, um den Genuss nicht vorzeitig zu beenden? Durfte man sich täglich eine Scheibe Brot damit beschmieren oder war das nicht schon todsündige Gier?

Die Intershops und die Forumschecks, die dem Monopoly-Geld zum Verwechseln ähnlich sahen, waren ein irrealer Keil im Körper des sozialistischen Surrealismus. Offensichtlich handelte es sich um Läden eines Staats, in denen offensichtlich keine Waren dieses Staates verkauft wurden. Der Staat errichtete einen Intershop nach dem anderen und gleichzeitig wurde den Bürgern zu verstehen gegeben, dass sie sich dort nicht aufzuhalten hätten – wie ein Polizist bei einem Verkehrsunfall drängelt: „Hier gibt es nichts zu sehen.“ Die Intershops waren ein Trumpf im Ärmel politischer Diskussionen mit linientreuen Genossen, es bewirkte oft verlegenes Schweigen, immerhin.

Heute gibt es englische Brause, japanisches Seegras und polnischen Borschtsch überall in Berlin. Nichts soll beschönigt werden, aber gäbe es heute solche Läden mit unerreichbaren Waren ungeahnter Köstlichkeit, ich würde ab und zu dort vorbeigehen, kennerhaft die Unterlippe vorschieben und den fremden schönen Geruch einatmen.

„Wir liefen wie verzaubert herum“
YVONN BARTH, Artdirectorin
Leipzig, Anfang der 80er Jahre. Damals wohnten wir nicht weit von der Alten Messe entfernt, wo es einen Intershop gab. Zu Messezeiten verdiente sich mein Vater neben seinem Job beim Volkseigenen Betrieb noch etwas durch Taxifahren hinzu. Oft gab es dafür harte Währung, was wiederum eine wichtige Voraussetzung war, um im Intershop Monchichis kaufen zu können – und zwar die aus dem Westen.

Die DDR-Kopie der japanischen Affenpüppchen wollten wir nicht. Oft konnten wir aber nicht in den Laden. Und wenn, gab es dann häufig auch nur ein Eis für mich und meinen Bruder. Doch für uns Kinder war es ein Ort voller verlockender Waren, in dem wir wie verzaubert herumliefen. Nur mein Vater, hatte ich immer den Eindruck, war gegen diese magische Wirkung immun.

Wunderbare Warenwelt. Einer von zuletzt 470 Intershops.
Wunderbare Warenwelt. Einer von zuletzt 470 Intershops.

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