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Panorama: Türmer gesucht

Die Stadt Münster bietet einen Job an – 298 Stufen geht es hoch zum Arbeitsplatz.

Münster - Wer diese Stelle haben will, muss gut zu Fuß sein. 298 Stufen geht es hinauf zum Arbeitsplatz, der hoch oben im Turm in der Lambertikirche in Münster liegt. Türmer wird der Job deshalb auch genannt, 20 Jahre lang hat ihn Wolfram Schulze ausgeübt. Jetzt wird ein Nachfolger für den 69-Jährigen gesucht – doch Trittfestigkeit allein reicht als Qualifikation für einen der wohl ungewöhnlichsten Dienstorte Deutschlands nicht aus. Abends von 21 Uhr bis Mitternacht tritt der Türmer alle halbe Stunde hinaus auf den schmalen Balkon und bläst in jeweils vier Richtungen in sein Horn, um die Zeit mitzuteilen. Neunmal um neun Uhr, dann zehn-, elf- und zwölfmal zur vollen Stunde, zweimal zur halben. Der Türmer hat Tradition in der nordrhein-westfälischen Stadt. 1379 wurde er erstmals urkundlich erwähnt und diente damals nicht nur als Zeitansager. Vor allem sollte er hoch über den Dächern der Stadt Brände rechtzeitig entdecken und melden. Noch heute ist der Türmer der Feuerwehr unterstellt.

Auch Schulze meldet sich telefonisch bei der Wache zum Dienstantritt, sobald er die Stufen hochgekraxelt ist. Mehrere Brände hat er bereits als erster gesehen, erzählt er: „Einmal gab es ein Feuer in einem Pferdestall, die Tiere konnten alle gerettet werden.“ Wenn Schulze jetzt zum 1. Januar 2014 aus Altersgründen aufhört, will Münster sich die Tradition auch weiter leisten. Der Nachfolger soll „Kenntnisse der Stadtgeschichte, der Architektur, des kulturellen Lebens und des aktuellen Geschehens der Stadt Münster“ mitbringen, heißt es in der Stellenanzeige. Englischkenntnisse wären wünschenswert. Und dann sind noch zwei spezielle Dinge gefragt: Die „Fähigkeit zum Alleinsein“ und – selbstverständlich – schwindelfrei sollte der Türmer sein.

Warum, das hat Schulze bereits erlebt. Einmal gab es einen so heftigen Schneesturm, dass der Turm ganz eingeschneit war. Als der Orkan Kyrill 2007 über das Land fegte, habe der Turm geschwankt, dass er sich wie „ein Kapitän auf einem sinkenden Schiff“ gefühlt habe, erzählt Schulze. Auch eine „Frostbeule“ dürfe der neue Türmer nicht sein. „Wärmer als 14 Grad wird es da oben fast nie.“ Wer das aushält, wird mit den guten Seiten des Jobs belohnt. Der Blick vom 75 Meter hohen Turm über das flache Münsterland ist wunderschön, schwärmt Schulze. Die Kirche steht am Prinzipalmarkt, mehrfach ist sie schon im „Tatort“, in „Wilsberg“ zu sehen gewesen. Schulze hat es sich dagegen in einer Dienststube gemütlich gemacht. Ein Sofa und ein Schreibtisch gibt es hier, auch Bücher hat der gelernte Weber viele mitgebracht. Bezahlt wird der „Halbnachtsjob“ mit 18,23 Wochenstunden Arbeitszeit nach der Entgeltgruppe 03 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst.

Sein Gewicht hat Schulze übrigens in den vergangenen 20 Jahren gehalten. 62 Kilogramm. Sonja Álvarez

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