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Chris Howland im Juli am Harmonium in seinem Haus in Rösrath.

© dpa

Zum Tod von Chris Howland: Bye, bye, Mr. Pumpernickel

Brite, Butler, Botschafter der Vinylkultur: Mit Chris Howland starb ein Urgestein bundesdeutscher Medienunterhaltung. Das Publikum liebte seinen gebrochenen Akzent, der dünkelhafte deutsche Bildungsfunk hatte allerdings lange Probleme mit ihm.

Zweimal war er zur rechten Zeit am rechten Ort. Diesen beiden Zufällen verdanke sich im Grunde seine Karriere, sagte der Brite Christopher Howland einmal. Der Rest habe sich dann so ergeben. Der erste Zufall war die Einberufung: Als der Rekrut Howland in Hamburg stationiert wurde, war der Krieg schon vorbei. Der gelernte Imker diente nicht an der Waffe, sondern am Mikrophon, beim britischen Soldatensender BFS. Selbst Sohn eines BBC-Redakteurs, lernte er hier das Moderieren und den Umgang mit Schallplatten. Noch bevor sein Wehrdienst endete, beschloss Howland in Deutschland zu bleiben. Er trank sich mit zwei Gläsern Gin Mut an, marschierte in den Sender NWDR und stellte sich mit den Worten vor: „Ich bin derjenige, auf den Sie gewartet haben.“ Der zweite Zufall: Vor ihm saß Christian Törsleff, der einige Jahre zuvor versucht hatte, die Deutschen mit anglophoner Jazz-Musik zu demokratisieren – und gescheitert war. 1953 war es an der Zeit für einen neuen Versuch, denn inzwischen hatte der deutsche Rundfunk die jungen Hörer weitgehend an die alliierten Sender verloren, die mit Swing und Jazz lockten. Törsleff willigte ein und eine der eigenwilligsten deutschen Rundfunkkarrieren nahm ihren Lauf.

Die junge Generation der fünfziger und sechziger Jahre kämpfte noch keine sprachpuristischen Kämpfe gegen das „Denglisch“, sondern schätzte die gebrochenen Akzente von Entertainern wie Bill Ramsey oder Chris Howland als kosmopolitisches Kolorit einer amerikanisierten Kultur. Viele Deutsche gaben sich in jenen Jahren englische Pseudonyme – wie „Ted“ Herold oder „Charly Cotton“. Chris Howland machte es umgekehrt: Er wurde zu „Heinrich Pumpernickel“. Unter diesem Pseudonym sagte er als „Schallplatten-Jockey“ in der Sendung „Rhythmus der Welt“ Musiktitel an. In den Spielpausen riss er Witze der harmlosen Art. Howlands Sendung galt intern als mutiges Experiment, denn er beherrschte zwar den Umgang mit moderner Abspieltechnik auf Vinyl, nicht aber die deutsche Sprache. Anmoderationen wie sein berühmtes „Sitsen sie bekwäm? Dann fanger isch arn“, waren das Resultat einer Art phonetischen Lautschrift, die seine Sekretärin für ihn aufgeschrieben hatte. Dazu kam eine Batterie an seltsamen Geräuschen, Wasserfällen, Explosionen und Pferdegetrappel. Im damaligen staatstragenden Medium war derlei Nonsens ein krasser Stilbruch. Hatte man vor 1950 den Rundfunk gewissermaßen mit gestärkter Hemdbrust gemacht, so öffnete sich der dünkelhafte öffentlich-rechtliche Bildungsfunk nur zögerlich dem Geschmack breiterer Schichten und jüngerer Generationen. Howland war einer der wichtigsten Neuerer. „Jeansfunk“ nannte er seinen Radio-Stil denn auch einmal.

Der weitere Weg des Platten-Jockeys folgte keinen Zufällen mehr, sondern den vorgezeichneten Pfaden der eben erst entstehenden deutschen Medienlandschaft und Unterhaltungsindustrie: Auf Schallplatten wie „Das hab ich in Paris gelernt“ (1958) oder „Hämmerchen Polka“ (1961) bewies Howland einmal mehr, dass man in Deutschland auch ohne Singstimme und Taktgefühl als Sänger Karriere machen konnte. Daneben reüssierte er als Komödiant im deutschen Kinofilm: In fünf Karl-May-Verfilmungen gab Howland den skurrilen Briten, mal als exzentrischer Schmetterlingssammler, mal als Butler Archie, der den altenglischen High Tea in wüster Umgebung formvollendet serviert: im Lande des Schut, ebenso wie im wilden Kurdistan. Erfolgreich war er auch als Fernsehbotschafter des britischen Humors. Howland importierte neue Reality-Formate wie „Vorsicht Kamera“ ins deutsche Fernsehen. Reagierten die Deutschen in ersten Leserbriefen „not amused“, so erreichten die Fernsehstreiche mit versteckter Kamera bald Rekordquoten. Seine Rundfunkkarriere endete jedoch abrupt, als es Ende der Sechziger zum Streit über ein angebliches Zuviel an englischsprachiger Musik kam: Dem Pophistoriker Detlef Siegfried zufolge sperrte sich Howland damals gegen „treudeutsche“ Formate, und wurde deshalb vom NDR abgesetzt.

Bei einem kurzen Zwischenspiel in England, so schrieb er in seinen 2009 erschienen Memoiren „Yes, Sir!“, sei er unterdessen als Kollaborateur angefeindet worden. Howland wurde zeitweise Hotelier auf Mallorca, gründete dort einen deutschsprachigen Sender und ließ sich schließlich im Rheinland nieder. Seiner Liebe zur Schallplatte blieb er dort bis zum Schluss treu: Im WDR moderierte der passionierte Pop-Kenner wöchentlich die Sendung „Spielereien mit Schallplatten“.

Mr. Pumpernickel wurde 85 Jahre alt. Am Sonnabend starb in seinem Wohnort bei Köln nicht nur ein Wegbereiter der DJ-Kultur und einer der prominentesten Vertreter des Vinyl-Zeitalters. Als Pionier hiesiger Fernsehunterhaltung gehört dem Briten ein prominenter Platz in der deutschen Medien- und Popgeschichte.

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