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Biosprit, zweiter Versuch. Die Herstellungsprozesse für Kraftstoffe aus Algen und Abfall sind kaum ausgereift.

© picture alliance / dpa

Biosprit: Tank statt Tonne

Neue EU-Regeln sollen sicherstellen, dass weniger Lebensmittel zu Sprit werden. Steht E10 vor dem Aus?

Auf Zypern, das zurzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, treffen sich an diesem Montag die europäischen Energieminister. Auf der Tagesordnung ganz oben stehen die Erneuerbaren Energien und die Frage, wie sie bis 2030 gefördert und ausgebaut werden sollen. Der EU-Kommissar Günther Oettinger hat vor der Sommerpause entsprechende Gesetzesvorschläge zur besseren europäischen Nutzung von Wind- und Sonnenkraft präsentiert, die er nun den Kollegen erläutern wird.

Der Deutsche wird aber auch – und davon gehen seine Mitarbeiter fest aus – zu einem verwandten Thema Auskunft geben müssen. Die Rede ist von den vergangene Woche bekannt gewordenen Plänen seines Hauses, mit denen versucht werden soll, die langjährige Auseinandersetzung über die ökologische und soziale Sinnhaftigkeit von Biosprit zu beenden.

Angefangen hat der Streit 2009. Damals verabschiedete die EU als Teil ihres ambitionierten Klimaschutzpakets die Vorschrift, dass bis 2020 mindestens zehn Prozent der im Verkehrssektor verbrauchten Energie aus erneuerbaren Quellen stammen sollen. Ein zehnprozentiger Marktanteil für alternative Antriebe war damals und ist heute immer noch unrealistisch, weshalb die Regierungen in der EU und das Europaparlament eine Pflicht zur Beimischung von zehn Prozent Bioethanol im Benzin beschlossen. In der Folge wurde weltweit auf Agrarflächen die Produktion umgestellt oder Lebensmittel wurden zu Sprit verarbeitet. Gleichzeitig stieg weltweit die Zahl der Hungernden. Schnell erfanden Kritiker den Slogan „Tank statt Teller“.

Zum großen sozialen Fragezeichen kam ausgerechnet ein ökologisches hinzu: Ist die Umwelt- beziehungsweise CO2-Bilanz der Biomasse wirklich besser als im Vergleich zu fossilen Brennstoffen, wenn nicht nur die reine Verbrennung die Berechnungsgrundlage ist, sondern die Begleiterscheinungen des Anbaus einbezogen werden?

Es war Oettingers Energieabteilung in der Brüsseler EU-Kommission, die 2010 die Zertifizierung von Biosprit vorschlug und umsetzte. Insgesamt sieben Siegel in Europa garantieren, dass der hierzulande hergestellte, aber auch der importierte Biokraftstoff nicht von Flächen stammt, die zuvor kostbare Regenwald- oder Moorlandschaften waren. Was aber, wenn normale Felder für die Ethanolherstellung umgewidmet werden, aber trotzdem der Dschungel gerodet wird, um wieder Anbauflächen für Nahrungsmittel zu schaffen? „Es hat nicht gereicht, die direkte Landnutzung für Biosprit zu verhindern“, sagt eine EU-Beamtin: „Wir müssen auch die indirekte Landnutzung in unsere Gesetze einbeziehen.“ Zumal von der Kommission in Auftrag gegebene Studien tatsächlich ergeben haben, dass mancher „Biosprit“ eine schlechtere CO2-Bilanz hat als Dieselkraftstoff.

Der Änderungsvorschlag, den Oettingers Mannschaft zusammen mit der von EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard ausgearbeitet hat, unterscheidet nun zwischen Biosprit der ersten und der zweiten Generation, der nicht aus Lebensmitteln, sondern aus Abfall oder Algen hergestellt wird. Der Verbrauch des herkömmlichen Biosprits wird in der überarbeiteten Richtlinie bei fünf Prozent des Energiebedarfs im Transportbereich gedeckelt – was im Prinzip dem Ist-Zustand entspricht. Die dadurch entstehende Lücke zum bestehenden Gesamtziel von zehn Prozent soll nun mit dem neuartigen Biosprit erreicht werden. Das Problem: Die nötigen Herstellungsprozesse und Techniken existieren teilweise noch gar nicht oder sind kaum ausgereift.

Die EU-Kommission will deshalb ein Anreizsystem in der Richtlinie verankern. „Wir wollen mit unseren Vorschlägen Biokraftstoffe pushen, die aus Abfällen gewonnen werden“, sagte Oettinger dem Tagesspiegel. Dazu soll dieser neuartige Biosprit bei der Endabrechnung nicht mehr wie bisher schon nur doppelt, sondern sogar vierfach zählen. Ein Beispiel: Bliebe es in Deutschland bis 2020 dabei, dass weiterhin knapp fünf Prozent der Energiemenge für den Verkehrsbereich aus Lebensmitteln gewonnen würden, gälten die noch fehlenden fünf Prozent auch dann als erreicht, wenn nur 1,25 Prozent aus Algen und Abfällen gewonnen worden wären. Aus den Mitgliedsstaaten ist Brüssel bereits signalisiert worden, dass diese Zahl machbar sei. Es darf davon ausgegangen werden, dass im nun folgenden Gesetzgebungsverfahren zwischen den EU-Regierungen und dem Europaparlament die Frage auftauchen wird, ob es sich bei der Vervierfachung nicht doch eher um einen Rechentrick handelt.

Vielleicht um den Misserfolg des E10-Benzins an den Tankstellen aufzufangen und das Erneuerbare-Ziel in der Praxis nach unten zu korrigieren? Die Pflicht zur Beimischung von zehn Prozent Ethanol – geregelt in einer anderen Richtlinie – nämlich bleibt auf dem Papier bestehen. „Für das E10 ändert sich nichts“, bestätigt Oettinger entgegen entsprechender Forderungen von Umweltschützern. Wegen des vierfachen Anreizfaktors müssten im Jahr 2020 nur noch 6,25 Prozent Biosprit im Einsatz sein. Statt 90 Prozent Benzin und Diesel dürften es 93,75 Prozent sein.

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