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Verluste. Die Konsumnachfrage der vermögenden Chinesen, die Aktien halten, könnte nach dem Kurssturz sinken.

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Börsenabsturz in Peking und Schanghai: China verlässt das Glück

Die Börsen in Peking und Schanghai haben ein Drittel ihres Wertes verloren. Der Staat greift ein - aber nur mit mäßigem Erfolg. Die Investoren werden nervös.

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Es war wie ein Rausch. Über Monate haben die Chinesen im immer größeren Stil Aktien gekauft. Je höher die Kurse stiegen, desto mehr Geld floss in den Markt. Ob Großanleger oder Kleinsparer: Alle wollten teilhaben – bis die Stimmung plötzlich kippte. So groß die Euphorie zuvor war, so groß war zuletzt die Panik. Innerhalb von drei Wochen hat der chinesische Leitindex SSE Composite 30 Prozent seines Wertes verloren. Diese Woche rutschten die Kurse in China so stark ab wie seit 20 Jahren nicht mehr. Am Donnerstag konnten die Behörden den Ausverkauf zwar vorerst stoppen, der Leitindex legte wieder zu. Dennoch bleibt die Verunsicherung groß. Ist das nur ein kurzes Aufatmen? Steht die große Krise erst noch bevor?

„Um Entwarnung zu geben, ist es zu früh“, sagt Sandra Heep, vom Mercator Institute for China Studies in Berlin. In den letzten Wochen hätten sich die chinesischen Aktienkurse immer wieder mal für kurze Zeit erholt, seien dann aber weiter abgestürzt. Und das allen staatlichen Eingriffen zum Trotz. Denn um den Kursrutsch in den Griff zu bekommen, haben die Behörden Anlegern zuletzt immer mehr Vorgaben gemacht.

Absturz. Der wichtigste Aktienindex der chinesischen Börse hat ein Drittel seines Wertes eingebüßt.
Absturz. Der wichtigste Aktienindex der chinesischen Börse hat ein Drittel seines Wertes eingebüßt.

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So dürfen Händler an den chinesischen Terminbörsen derzeit nicht mehr auf fallende Kurse wetten. Wer zudem mehr als fünf Prozent an einem Unternehmen hält, darf diese Anteile im nächsten halben Jahr nicht verkaufen. Gleichzeitig haben die Behörden Banken und Versicherungskonzerne dazu aufgerufen, mehr Aktien zu erwerben und so die Kurse nach oben zu treiben. Von einer freien Kursbildung kann in China derzeit also keine Rede sein. Zumal über die Hälfte der Aktien noch immer vom Handel ausgesetzt sind.

Die Frage ist nur, wie lange das gut geht. Analysten haben durchaus Zweifel daran, ob es dem Staat gelingen kann, den Markt langfristig in den Griff zu bekommen. Denn je mehr die Behörden eingreifen, desto stärker ist das Signal, dass etwas schief läuft. So haben die Anleger auf die ersten Vorgaben des Staates auch nicht so reagiert, wie sich das die Regierung in Peking gewünscht hatte. Viele Investoren seien danach erst recht in Panik geraten, heißt es beim AMP Capital China Growth Fund, dem größten australischen Fonds, der ausschließlich in chinesische Aktien investiert.

Mehr freies Unternehmertum soll helfen

Zumal Staatschef Xi Jinping eigentlich in Aussicht gestellt hatte, künftig weniger und nicht mehr in den Markt einzugreifen. Denn eigentlich treibt Xi die Liberalisierung der Wirtschaft voran. Mehr freies Unternehmertum soll dem Land helfen, langfristig weniger abhängig von Exporten zu werden. Im Zuge dieser Wirtschaftsreformen hat Xi auch angeordnet, Staatsunternehmen zu privatisieren – unter anderem, indem sie an die Börse gebracht werden. Weil das nur funktioniert, wenn es genug Anleger gibt, die die Anteilsscheine kaufen, hat der Staat in den vergangenen Monaten den Aktienmarkt stärker für Privatpersonen geöffnet. Viele Kleinsparer haben das dankbar angenommen. Denn bei den Banken bekommen Chinesen kaum Zinsen auf ihre Ersparnisse. Und in Immobilien wollten viele ihr Geld angesichts des überhitzten Wohnungsmarktes nicht mehr stecken.

Auf diese Weise floss allerdings zu schnell zu viel Geld in den Markt. Etliche Anleger haben Aktien auf Pump gekauft. Der Staat hat das noch befeuert, indem er seinen Bürgern erlaubte, ihre Immobilien zu beleihen, um Aktien zu kaufen. Als dann Panik einsetzte, mussten viele Anleger schnell Aktien verkaufen, um nicht in die Überschuldung zu geraten. Das hat die Kurse dann erst recht gedrückt.

"Psychologische Signalwirkung nicht unterschätzen"

Jetzt betreibt die chinesische Regierung Schadensbegrenzung. Denn es besteht durchaus die Gefahr, dass die Börsenturbulenzen auch das Wirtschaftswachstum weiter drosseln könnten. „Man darf die psychologische Signalwirkung eines solchen Kurssturzes nicht unterschätzen“, sagt Wissenschaftlerin Heep. Ausländische Unternehmen dürften sich nun zwei Mal überlegen, ob sie in China investieren. „Bleibt strukturelles Wachstum aus und zieht auch der Binnenkonsum nicht wieder an, könnte das schwache Wirtschaftswachstum in China sogar einen Dominoeffekt auf andere Schwellenländer haben“, warnt Gary Herbert vom Vermögensverwalter Brandywine Global.

Eine weltweite Finanzkrise dürfte der Crash in China allerdings so schnell nicht auslösen, meinen Experten. Dafür ist der chinesische Finanzplatz noch immer international zu isoliert. Schließlich hat China erst im vergangenen Jahr begonnen,sich für internationale Anleger zu öffnen: Seit November können Investoren in chinesische Aktien investieren – und das nur über Broker in Hongkong.

Die Folgen für die deutsche Wirtschaft

Auch für die deutsche Wirtschaft sind die Folgen zumindest auf absehbare Sicht überschaubar. Der Absturz „dürfte in der deutschen Konjunktur keine Bremsspuren hinterlassen“, sagte DIHKAußenhandelschef Volker Treier. Sorgen manchen sich allerdings die deutschen Autohersteller. Denn kaufen die vermögenden Chinesen aufgrund der Verluste am Aktienmarkt weniger deutsche Produkte, würde das die Automobilkonzerne empfindlich treffen. Vor allem Volkswagen – in China mit mehr als 20 Prozent Marktführer – müsste dann größere Einbußen verkraften. „Für VW ist die aktuelle Situation eine Belastungsprobe“, sagte der Duisburger Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer. „Wenn China kippt, hat VW ein Problem.“ Der Wolfsburger Konzern verkauft mehr als jedes dritte Auto in der Volksrepublik, wo bereits an 19 Standorten produziert wird.

Dort aber schwächt sich das Wachstum schon jetzt ab, heißt es beim deutschen Autoverband VDA. Das Plus bei den Neuzulassungen der deutschen Autobauer in China lag im Mai nur bei 3,3 Prozent. „Wir können froh sein, wenn wir in diesem Jahr noch ein Wachstum von fünf Prozent erreichen“, schätzt Stefan Bratzel, der das Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach leitet. mit rtr

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