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Griechenland 2020, Szenario (2): Agrarstaat

Heute schon liegt der Exportanteil für landwirtschaftliche Produkte bei 22 Prozent.

Mehr als 40 000 Menschen kehrten in der Krise den Städten in Griechenland den Rücken und zogen zurück aufs Land. Dort bewirtschaften sie die Felder ihrer Eltern, versuchen sich im Anbau von Wein oder Bioprodukten. Was romantisch klingt, ist die Folge einer Arbeitslosenquote von 24 Prozent und einer schwachen Industrie, die kaum neue Jobs schafft. Griechenlands industrielle Wertschöpfung ist mit Zypern die niedrigste im Euro-Raum. Wenn Athen es nicht schafft, die Industrie zu stärken und Direktinvestitionen ins Land zu holen, bleiben den Griechen nur Oliven, Feta und Touristen. Doch was wären die Folgen, wenn Hellas zum Agrarstaat am Rande Europas würde?

Heute schon liegt der Exportanteil für landwirtschaftliche Produkte – in erster Linie Oliven, Öl, Milch, Käse und Backwaren – bei 22 Prozent. Eine Professionalisierung wäre nach Einschätzung von Ökonomen nötig, um den Sektor weiter auszubauen. „Die meisten landwirtschaftlichen Betriebe sind klein und wenig technisiert“, sagt Alexander Kritikos, Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Zudem gibt es Probleme mit der Regulierung, wie das Beispiel Wein zeigt. Viele Winzer in Griechenland halten sich nicht an die EU-Abstandsnorm bei Weinreben und an Erntehöchstmengen, weshalb sie ihre Tropfen nur mit dem Zusatz „Tischwein“ für die niedrigste Qualitätsstufe innerhalb der EU vermarkten dürfen. Zudem gelingt es vielen Olivenölherstellern trotz vergleichbarer Qualität nicht, in Europa so hohe Preise für ihre Produkte zu erzielen wie etwa Spanier oder Italiener. Resorts, Golfplätze, Privatkliniken – im Tourismus, der ebenfalls von vielen kleinen Betrieben geprägt ist, könnte das Land Nischen besetzen, um die Zahl der 16 Millionen Urlauber, die jedes Jahr kommen, zu erhöhen. „Im Gesundheits- und Luxusbereich liegen Chancen“, sagt Kritikos. Auch müsse man versuchen, in der Nebensaison bessere Auslastungen zu erreichen – etwa indem Heizungen in den Hotels installiert würden.

Generell sehen Ökonomen aber dramatische Folgen eines solchen industriefernen Szenarios. Die Zahl der Arbeitsplätze, die in den beiden Branchen entstehen könnte, sei begrenzt, zudem entstünden kaum Jobs für Hochqualifizierte. „Die Folge wäre die Abwanderung junger Talente, die das Land so dringend braucht“, sagt Kritikos. Die Schere zwischen Arm und Reich könnte weiter auseinandergehen, was wiederum den Zulauf zu extremen politischen Parteien verstärken dürfte. Kritikos Fazit: „Wenn Griechenland im Euro bleibt, kann der Aufholprozess nicht im Agrarbereich stattfinden.“

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