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Petros Markaris (75) ist der populärste Schriftsteller Griechenlands. International bekannt wurde er durch seine Kriminalromane.

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Griechenland: „Wir haben in fiktivem Reichtum gelebt“

Kampfgeist und Kultur: Der griechische Schriftsteller Petros Markaris im Interview - über den verlorenen Mittelstand, den Moloch Staat und neue Hoffnungen mitten in der Krise.

Herr Markaris, bevor Sie Schriftsteller wurden, haben Sie Volkswirtschaft studiert. Wagen Sie eine ökonomische Prognose: Wo steht Griechenland im Jahr 2020?

Ich sehe ein Land, das einen Sprung nach vorne schafft, wie Anfang der 1980er-Jahre.

Zurück in die Zukunft?

Zurück zu einer neuen Hoffnung, die Griechenland trotz aller Härten und Schmerzen nach vorne bringt. Anfang der 80er hatte das Land die Militärdiktatur hinter sich und war gerade in die Europäische Gemeinschaft aufgenommen worden. Es waren Jahre des Aufbruchs und der Hoffnung. Leider haben wir diese Hoffnung verspielt.

Inwiefern?

Das Land hat ökonomisch von Europa enorm profitiert. Aber es hat diesen Profit leichtfertig verschwendet. Griechenland hat in einer Welt des fiktiven Reichtums gelebt, weil es seinen Wohlstand auf Pump finanziert hat. Man bekam plötzlich für alles ganz leicht einen Kredit, der ununterbrochen erneuert wurde - bis man zu der Überzeugung kam: den zahlen wir nie zurück. Ich hoffe, dass die Griechen aus diesen Fehlern lernen.

Im Moment sieht es so aus, als hoffe die Regierung lediglich auf weitere Kredite und mehr Zeit.

Die Regierung hat den Fehler gemacht, der Bevölkerung nie die ganze Wahrheit zu sagen. Man hat immer nur versucht, die Leute zu beruhigen. Das hat falsche Hoffnungen geweckt – und jetzt glaubt niemand mehr an eine bessere Zukunft. Die Leute haben den Mut verloren.

Diese Woche hat das Parlament in Athen ein weiteres Sparpaket verabschiedet. Wird das Land kaputt gespart?

Griechenland bekommt keine Wachstumsperspektive. Es wird gespart und gespart und gespart. Wohin das führt? Ich weiß es nicht. Ich bin nicht sehr optimistisch.

Hat Griechenland noch die Kraft, aus eigenem Antrieb zu wachsen?

Die Griechen sind von Natur aus optimistisch. Gibt man ihnen eine ernst zu nehmende Aussicht auf einen Arbeitsplatz, auf wirtschaftliches Wachstum, dann fassen sie auch wieder Mut. Im Moment haben sie ihn leider nicht.

Am härtesten vom rigiden Sparkurs getroffen werden die kleinen Unternehmer und Kaufleute, die „ehrlichen Griechen“, wie Sie sagen. Gibt es überhaupt noch einen griechischen Mittelstand?

Der griechische Mittelstand ist ruiniert. Das ist sehr traurig, weil er ein Glück für unser Land war, das bis weit in die 80er Jahre ja ein armes Land war. Der Mittelstand war das Rückgrat unserer Wirtschaft. Griechenland hatte nie eine erfolgreiche Großindustrie. Es waren die kleinen und mittleren Betriebe, die mit der Drachme gar nicht schlecht gewirtschaftet haben. Wenn auch nicht vergleichbar mit dem deutschen Mittelstand.

Und dann kam der Euro und hat alles zerstört?

Der Euro war für die griechischen Mittelständler zu teuer. Aber das größere Problem ist, dass sich die griechische Wirtschaft abhängig gemacht hat vom korrupten Parteien- und Staatsapparat. Sie hat ihre Selbstständigkeit und Innovationskraft dabei eingebüßt. Der größte Profiteur der vergangenen 30 Jahre ist der Moloch Staat. Er hat Griechenland ruiniert.

"Ich habe einen Alptraum, der ,Goldene Morgenröte' heißt"

Korruption und Misswirtschaft in Griechenland machen es den europäischen Steuerzahlern nicht eben leicht, weiteren Hilfen zuzustimmen.

Es ist nicht einfach, das weiß ich. Es gibt ja genug Probleme in Europa, nicht nur in Griechenland, sondern auch in Spanien, Portugal, Italien....

Sie haben kritisiert, dass Griechenland als EU-Mitglied keine „Kultur des Reichtums“ entwickelt hat. Muss das Land nun eine „Kultur der Armut“ lernen?

Es gab eine solche Kultur bereits im Griechenland der 50er und 60er Jahre. Damals besaß das Land Kräfte, die dabei geholfen haben, die Armut zu bekämpfen und gleichzeitig kulturelle Werte zu bewahren, ein hohes kulturelles Niveau. Die Griechen haben hart dafür gearbeitet. Und sie haben gespart, um sich etwas leisten zu können. In den Zeiten des fiktiven Reichtums auf Kredit nach dem EU-Beitritt haben wir diese Werte einfach über Bord geworfen, weil wir glaubten, sie nicht mehr zu brauchen. Jetzt müssen wir zurück in die Armut – aber ohne diese Werte. Das ist das Problem.

Ginge es den Griechen besser, wenn sie eine neue Drachme hätten?

Es ist wie bei einem Labyrinth: Niemand hat Griechenland gezwungen, hinein zu gehen. Jetzt ist das Land aber drin - und findet den Ausgang nicht mehr.

Welche Konsequenzen hat die Krise für Ihre Arbeit? Finden Sie in Athen noch Gehör?

Ohne mich zu wichtig zu nehmen: Ja, ich werde gehört. Die Leute sprechen mich auf der Straße an und sagen mir: Sie sagen die Wahrheit, Sie haben recht. Aber einige Freunde, Schriftsteller, Künstler und ich, wir sind zu machtlos gegen diesen Moloch, gegen den Staatsapparat, die Politik, den öffentlichen Dienst, die Gewerkschaften. Wir sind zu wenige.

Entzieht der Sparkurs der Kunst und Kultur die materielle Grundlage?

Ja. Es wird immer zuerst bei der Bildung und bei der Kultur gekürzt. Aber das ist nicht nur ein griechisches Phänomen. Das sieht man leider überall. Aber es gibt auch eine Gegenbewegung: Vor allem am Theater arbeiten junge Künstler, junge Ensembles, die sich sehr intensiv mit der griechischen Krise beschäftigen.

Das klingt nicht nach Resignation.

Bei mir persönlich sicher nicht. Und vielen meiner Landsleute muss man Mut machen. Die Leute müssen kämpfen. Sie müssen verstehen, dass man die Armut nur bekämpfen kann, wenn man zunächst akzeptiert, dass man arm ist. Erst dann kann man etwas dagegen tun. Was ich in Griechenland allerdings beobachte, ist noch immer ein Klagelied über den verlorenen Reichtum, der ein fiktiver Reichtum war.

Ist es auch die Klage über verlorene Privilegien?

Viele, die jeden zweiten Tag zu Demonstrationen auf die Straße gehen, tun dies, weil sie um ihre Privilegien fürchten. Ich kann das durchaus verstehen. Aber es gibt einen viel größeren Teil der Bevölkerung, der diesen kämpferischen Geist aufgegeben hat. Einen Geist, der nicht um Privilegien kämpft, sondern gegen die schwierigen Umstände, die Armut, damit etwas wieder auf die Beine kommt. Die Demonstrationen werden immer kleiner, weil diese Menschen den Mut verloren haben. Sie sind erschöpft. Sie glauben nicht mehr daran, dass der Protest Wirkung zeigt. Die Regierung hat die Kontrolle über die Finanzen des Landes verloren. Und der Troika ist es egal, ob demonstriert wird oder nicht. Das ist ein sehr vernünftiges Argument - und ein sehr trauriges.

Haben Sie Angst davor, dass Griechenland, dass die griechische Gesellschaft ins Chaos stürzt?

Ich habe einen Alptraum, der "Goldene Morgenröte" heißt, die neue Nazi-Partei. Solange der kämpferische Geist fehlt, solange der Sparkurs weitergeht und das Land keine Perspektive bekommt, wird diese Neonazi-Partei Zulauf haben.

Petros Markaris (75) ist der populärste Schriftsteller Griechenlands. International bekannt wurde er durch seine Kriminalromane. Markaris lebt in Athen.

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