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Wirtschaft: Hauptstadt-Biene

Keiner isst so viel Honig wie die Deutschen. Doch der wird hierzulande kaum produziert. Berliner Imker wollen das ändern.

An einem Mittwoch im Mai steht Ilse Aigner auf dem Dach des Berliner Doms und setzt zur Rettung der Bienen an. Hinter der CSU-Ministerin kleben Wolken am Fernsehturm, vor sich hat sie zwei Bienenstöcke. Die Kästen sind von der Initiative „Bee Berlin“ in luftiger Höhe angebracht, um den Bienen einen innerstädtischen Schutzraum zu bieten. Aigner hat sich den Standort ausgewählt, um für den Bienenschutz zu werben.

Neben Ilse Aigner steht Uwe Marth, der Imker, und kümmert sich darum, dass die Tiere den prominenten Besuch nicht zu sehr unter Druck setzen. Oder umgekehrt. Zwei Völker leben auf dem Berliner Dom, insgesamt knapp 40 000 Bienen. Marth, 56 Jahre alt, bläst in eine Rauchpfeife, um die Bienen in ihren Stöcken zu halten.

Die Landwirtschaftsministerin greift derweil zu einem Tablet. Ihr Ministerium wolle die heimische Bienenhaltung fördern und hat daher eine App entwickelt. „Wir wollen jedermann zum Bienenexperten machen“, sagt sie. Es gebe in der kostenlosen App unter anderem einen „virtuellen Balkon“, den man testweise bepflanzen kann. Aigner wischt über das Tablet; dann schweben virtuelle Bienen aus der linken Bildschirmecke zu virtuellen Blumenstauden in der rechten Bildschirmecke. Zeitgleich ist eine ganz reale Biene aus dem Stock gekrabbelt – und verfängt sich nach kurzem Rundflug im Haar der Ministerin. Imker Marth fährt behutsam mit seinen Fingern in Aigners Haarsträhne und pflückt die Biene heraus. Dann setzt er das kleine Wesen lächelnd am Bienenstock ab.

„Eigentlich muss man sich Bienen wie Menschen vorstellen“, sagt Marth, „also nicht die einzelne Biene, aber das Volk.“ Die Temperatur, in der es brüte, die Effizienz, mit der es sich versorge. Marth kann über Bienen den ganzen Tag staunen, nachdenken, philosophieren. Sie seien „ein Superorganismus“. Über das Wort staunt er beim Aussprechen selbst, als sei es eine seltene Blume, die er am Wegrand entdeckt.

Doch trotz aller Liebe: Seit Jahrzehnten nimmt weltweit die Bienenpopulation ab. In Deutschland hat sich die Anzahl der Bienenvölker von 1,2 Millionen Anfang der neunziger Jahre heute fast halbiert. Jede zweite der heimischen 560 Wildbienenarten ist mittlerweile bestandsgefährdet. Vor allem über den Winter sterben viele Völker am Befall durch die Varroa-Milbe, ein aus Asien eingewanderter Parasit. Durch Flurbereinigung, Monokulturen in der Landwirtschaft und den Einsatz von Pestiziden gibt es nicht ausreichend Nahrung für die Bienen. Zudem fehlt es an Nistplätzen wie hohlen Baumstämmen. „Aufgeräumte Landschaften“ statt wilde Blumenwiesen, sagt Professor Hans-Hinrich Kaatz (siehe Interview links), sorgen dafür, dass die Wildbiene fast ausgestorben ist. Ihr Artgenosse, die gezüchtete Honigbiene, sei nun allein vom Geschick der Imker abhängig. Eine App, wie sie das Landwirtschaftsministerium anbietet, ist da zunächst nur ein kleiner Honigtropfen im Kampf gegen das Bienensterben.

Ein heißer Tag Ende Juni, kurz vor den Sommerferien. Es ist Schulschluss in der Carl-Orff-Grundschule in Berlin-Schmargendorf. Eine Gruppe Hortkinder drängelt sich um einen Schuppen und greift nach Handschuhen. Imker Marth steht ohne Schutzkleidung daneben. Er hat in der Grundschule eines seiner zwölf Völker. Die Kinder assistieren ihm bei seinen Besuchen mit gespielter Geschäftigkeit.

„Imkern in der Stadt wird zunehmen“, sagt Marth. Berlin habe bereits gut 1000 Imker mit durchschnittlich vier Völkern. Durch Kurse der Universitäten und Imkervereine gebe es gute Einstiegsmöglichkeiten: „Wir haben in Berlin jedes Jahr gut 200 bis 250 Interessierte.“ Marth, der dem Imkerverein Lichterfelde vorsitzt, sagt allerdings auch, dass davon nur wenige dauerhaft dabei bleiben. Oder gar wirtschaftlich arbeiten können: Rund 300 Kilo Honig produziert ein Bienenvolk im Jahr. Ein Zehntel davon kann ein Imker abschöpfen, den Rest braucht das Volk zur Ernährung und um über den Winter zu kommen. „Wer davon leben will, braucht also schon 400 bis 500 Völker.“

Oder einen Verein, der beim Vertrieb hilft. Berliner Honig will genau dieser Verein sein. „Niemand gibt sich in Deutschland Mühe, die Honigproduktion zu fördern“, sagt Annette Müller, „also gibt es jetzt uns.“ Uns sind Annette Müller und ihr Partner Jens-Michael Lehmann. Die beiden imkern seit 2009 und führen 20 Völker. 2010 haben sie Berliner Honig gegründet, ein Unternehmen, das den Honig von insgesamt 50 Imkern in und um die Hauptstadt vermarktet. „Nachhaltigkeit und regionaler Anbau werden für den Verbraucher wieder interessant“, sagt Müller, „nur beim Honig greifen alle zum gepantschten Importprodukt“.

Die Großstadt haben Müller und Lehmann als perfekte Anbaufläche auserkoren. Ein Fünftel Berlins besteht aus Wald. Die unterschiedlichen Bäume – Kastanie, Linde, Ahorn, Robinie – erlauben eine große Blütenvielfalt, anders als die flächendeckenden Monokulturen der Agrarwirtschaft. Über acht Wochen lang können wir unsere Völker auf die Stadt loslassen, schwärmt Müller. „Auf dem Land bist du glücklich, wenn deine Bienen die zwei Wochen Raps voll ausnutzen können.“

85 000 Tonnen Honig essen die Deutschen im Jahr, mehr als jede andere Nation. Allerdings wird laut Landwirtschaftsministerium nur ein Fünftel des Honigbedarfs im Land selbst produziert. Mit Berliner Honig wollen Müller und Lehmann daher auch den regionalen Handel ankurbeln. Im vergangenen Jahr haben sie 20 Tonnen vermarktet. Damit sind sie zwar ein Zwerg im Honiggeschäft, aber „die Aufmerksamkeit steigt“, sagt Jens-Michael Lehmann. Das „Label Berlin“ locke selbst beim Onlineversand. Was heimische Produktion schwer mache sei die deutsche Honigverordnung. „Im Wettbewerb werden Importe deutlich begünstigt“, kritisiert Imkerin Müller. Denn die Herkunft des Honigs zu kennzeichnen, sei kein Muss. Es genügt die Angabe „Mischung aus EG- und Nicht-EG-Ländern“. In den Regalen stehen dann Gläser, die zwar heimische Imkerei suggerieren, aber tatsächlich verschiedene Honigsorten aus Osteuropa vermischen.

In Brandenburg wird Imkern von der Landesregierung gefördert. In Berlin jedoch müssen die Imker auf private Investoren wie die Veolia-Stiftung hoffen: Einen Landwirtschaftssenator führt die Hauptstadt nicht. Sämtliche Agrarbelange werden vom Senat für Verbraucherschutz an die Brandenburger Kollegen weitergegeben. Den Bären kümmert der Honig nicht.

Das Unternehmen Berliner Honig versucht daher, mehr als nur den Vertrieb seiner Hobbyimker zu optimieren – es will das Imkern hip machen. Der Stand des Berufsimkers sei „vom Aussterben bedroht“, sagt Müller. Auf der Unternehmenswebsite werden daher die Imker wie Rockstars vorgestellt: Der eine fährt die eigenen Völker mit dem Minibus durch das Land, um nach Blumenwiesen „zu jagen“, der nächste vergleicht den Bienensound mit dem der eigenen Percussionband. Mit „Honey Tastings“ zelebrieren Müller und Lehmann das Pollenprodukt wie einen edlen Wein.

Tatsächlich steigt die Zahl der Imker im Land wieder, von rund 80 000 Imkern 2008 auf heute knapp 90 000. Auch der Altersschnitt sank von 65 auf 57 Jahre. Doch auch wenn sich in den Imkerverbänden ein Generationenwechsel vollzieht – die Honigbiene selbst ist gefährdet. Immer mehr Imker halten immer weniger Völker. Drei aus zehn Bienenvölkern kommen im Schnitt nicht über den Winter, sagt Müller. „Wenn dir ein Volk stirbt, das ist eine sehr emotionale Sache.“ Die Imkerin schimpft daher vor allem über verantwortungslose Landwirtschaft: Viele Bauern würden nicht richtig mit Insektiziden umgehen und durch übermäßiges Besprühen ihrer Felder auch die Bienen gefährden.

Ende Mai haben die EU-Länder einen Beschluss der Kommission abgesegnet, zwei hochwirksame Insektizide, sogenannte Neonikotinoide, zu verbieten. Ab Dezember sollen die Verbote gelten. Nach zwei Jahren soll die Wirksamkeit des Insektizidstopps untersucht werden. Ein Innovationsrückschlag, urteilt Utz Klages vom Leverkusener Pharma- und Chemiekonzern Bayer. Das Unternehmen verwendet die beiden Neonikotinoide in den Pflanzenschutzmitteln seiner Agrarabteilung Bayer CropScience. Klages rechnet nun mit Umsatzeinbußen in Höhe von rund 80 Millionen Euro für das kommende Jahr. „Wir sind überzeugt, dass Neonikotinoide für Bienen sicher sind, wenn die Produkte verantwortungsvoll und vorschriftsmäßig eingesetzt werden.“ Der Deutsche Imkerbund hingegen plädiert für eine Ausweitung des Verbots auf sämtliche Nikotinoide. Die Pestizide seien Nervengifte, die das Kommunikationsvermögen, den Orientierungssinn und den Brutpflege-Instinkt der Bienen lähmen. „Das ist eine komplexe Lähmung des ganzen Volkes“, sagt Imker Marth. Dem Imker aus Schmargendorf sind selbst schon Völker verhungert. Wenn er im Frühjahr in die Stöcke schaut, dann ist das immer auch ein Bangen, ob seine Lieblinge es gut über den Winter geschafft haben.

Den beiden Völkern vom Berliner Dom ist das geglückt. „Die sind extrem stark aus dem Winter gekommen“, sagt Marth. Beim Besuch von Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner im Mai hätten sie bereits acht Waben ausgebaut. Für die Pollen mussten die Bienen gar nicht weit fliegen: Rund um den Neptunbrunnen stehen wunderschöne Kastanien zum Anfliegen.

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