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Wirtschaft: Überall ist Niemandsland

Die Griechen kennen noch immer kein Grundbuch. Bis 2020 soll eines geschaffen werden.

Athen - Als einziges Land in Europa hat Griechenland immer noch kein Kataster, also ein Register, das die Größe, Lage und Nutzung aller Flurstücke des Landes beschreibt. Seit zwei Jahrzehnten wird an einem solchen nationalen Grundbuch gebastelt. Bis 2020 soll es endlich fertig sein.

Der wievielte Anlauf ist es eigentlich? Auch Giannis Maniatis, der griechische Minister für Umwelt und Raumordnung, wird es kaum wissen. Aber Maniatis will ohnehin nicht zurückblicken sondern nach vorn. „Wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt, wir wollen sie korrigieren und vorangehen, schneller und besser organisiert“, sagt der Minister.

Fehler, aus denen man lernen kann, gibt es zur Genüge. 1995 begannen die Arbeiten an dem Kataster. Umgerechnet rund 150 Millionen Euro steuerte die EU damals als Starthilfe bei. Das Geld war schnell verbraucht, erledigt war aber kaum etwas. Inzwischen hat das Projekt unter dem Strich 1,2 Milliarden Euro verschlungen, davon hunderte Millionen EU-Gelder. Aber immer noch sind erst 35 Prozent des Landes erfasst.

Dass es für die meisten Landesteile kein Kataster gibt, ist ein Hemmschuh für die wirtschaftliche Entwicklung. Investoren müssen fürchten, dass ihnen ein anderer das Land, das sie für den Bau eines Betriebes gekauft haben, später streitig macht. Auch der Erwerb eines Ferienhauses in Griechenland kann jahrelange juristische Streitigkeiten nach sich ziehen. Denn die Besitzverhältnisse vieler Grundstücke sind so verworren wie die griechische Mythologie. Auch der Staat weiß gar nicht genau, wie viel Land ihm gehört. Das erschwert die jetzt angelaufene Privatisierung öffentlicher Liegenschaften, die eine wichtige Rolle beim Schuldenabbau spielen soll.

Dass es in Griechenland bisher kein Kataster gibt, hängt vor allem mit der vierhundertjährigen türkischen Besatzung zusammen, die Anfang des 19. Jahrhunderts endete. Erst danach konnte man in Griechenland mit dem Aufbau einer öffentlichen Verwaltung beginnen. Einzig auf dem Dodekanes existieren lückenlose, zuverlässige Grundbücher – eine Hinterlassenschaft der Italiener, die von 1912 bis 1943 über die Inselgruppe um Rhodos herrschten.

Im Rest des Landes gibt es hunderte regionale Grundbuchämter. Deren Bücher sind allerdings als Personenregister geführt. Man kann in ihnen zwar feststellen, welche Person über welchen Immobilienbesitz verfügt, jedoch nicht anhand eines bestimmten Flurstücks nach dessen Besitzer suchen. Überdies werden in den Registern die Grundstücke nach den Angaben der Eigentümer meist nur vage beschrieben. Oft werden Grundstücksflächen bewusst zu groß angegeben, weil von der Fläche abhängt, wie viele Quadratmeter man auf einem Stück Land bauen darf. Auch Bauern melden in der Hoffnung auf zusätzliche Agrarsubventionen häufig viel zu große Äcker, Obstplantagen und Olivenhaine.

Die chaotischen Eigentumsverhältnisse sind denn auch der Hauptgrund dafür, dass die Erstellung des Katasters so langsam vorankommt. Ständig gibt es Streit und Einsprüche. So wurden in der Hauptstadtprovinz Attika Grundstücke deklariert, deren Fläche unter dem Strich größer war als die gesamte Ausdehnung der Provinz. Die Erklärung ist einfach: Weil vielerorts mehrere Erben oder Nachbarn Ansprüche auf dieselben Liegenschaften erheben, wurden zahlreiche Grundstücke doppelt und dreifach gemeldet.

Trotz solcher Widrigkeiten ist Umweltminister Maniatis zuversichtlich, das Jahrhundertprojekt nun voranbringen zu können. Rund 16 Millionen Besitztitel gilt es zu klären und im Kataster festzuhalten. Dafür plant Maniatis 572 Millionen Euro ein – eine möglicherweise sehr optimistische Schätzung, wenn man bedenkt, dass die bisher erfassten 35 Prozent des Landes bereits 1,2 Milliarden verschlungen haben. Das Projekt werde 12 000 neue Arbeitsplätze schaffen, rechnet der Minister vor. Sieben Jahre hat Griechenland jetzt Zeit, die unendliche Geschichte des Katasters zu einem glücklichen Ende zu bringen – dann läuft die Frist der EU ab, die sich mit Fördermitteln aus den Strukturfonds an den Kosten beteiligt. Gerd Höhler

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