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Bauarbeiten am Bahnhof in Stuttgart.

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Exklusiv

Umstrittenes Bahnprojekt: Zustimmung zu Stuttgart 21 könnte für Bahn-Aufsichtsrat gefährlich werden

Erlauben die Bahn-Kontrolleure den Weiterbau von Stuttgart 21, drohen ihnen Probleme mit der Justiz. Denn dass der Bau niemals wirtschaftlich sein wird, ist jetzt schon klar.

Die Stuttgarter kommen. Am Montagabend wollen sie den Bahn-Tower am Potsdamer Platz belagern, mit einem „fetten Schwabenstreich“, wie sie auf Facebook ankündigen. Das bedeutet: marschieren, Parolen skandieren, Transparente gegen Stuttgart 21 in die Luft recken – das übliche Protestbrauchtum eben. Große Angst müssen die Angestellten des Staatskonzerns nicht haben, mehr als ein paar Dutzend Gegner des Tiefbahnhofs dürften es kaum werden.

Eher müssen sich die 20 Aufsichtsräte der Bahn, die sich am Dienstagmorgen treffen, Sorgen machen – über die Folgen ihrer Entscheidungen. Sie sollen Mehrkosten von bis zu 2,3 Milliarden Euro für den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs genehmigen. Doch damit begeben sie sich womöglich auf heikles Terrain: In einigen Jahren könnten sie Schadenersatz in Milliardenhöhe leisten müssen – schlimmstenfalls belangt die Justiz sie sogar wegen Untreue. Für den Vorstand gilt das ebenso.

Das Problem sind die aus dem Ruder laufenden Kosten. Schon jetzt ist klar, dass der Bau niemals wirtschaftlich sein wird – in einer Vorlage des Vorstands für den Aufsichtsrat ist von einer Rendite von minus 0,3 Prozent die Rede. Der Weiterbau rechnet sich demnach nur, weil ein Abbruch der Arbeiten noch teurer wäre – jedenfalls nach Ansicht der Bahn.

„Ein Aufsichtsrat darf nicht sehenden Auges dem Unternehmensinteresse schaden und ihm einen Nachteil zufügen“, sagt Hans-Peter Schwintowski, Wirtschaftsrechtler an der Berliner Humboldt-Universität. „Da macht er sich haftbar.“ Das sieht Michael Adams, Jura-Professor an der Universität Hamburg, ähnlich. Ein Votum für ein Minusgeschäft „wäre eine Pflichtverletzung. Und die führt zur Haftung“. Die Grünen im Bundestag haben bereits angekündigt, die Rolle der Bahn-Spitze überprüfen lassen zu wollen.

Auch die Bahn hat das Problem ausgemacht – und zu der Frage von großen Kanzleien Gutachten schreiben lassen. Eine Expertise der Mannheimer Sozietät Schilling, Zutt & Anschütz gibt nach Tagesspiegel-Informationen zwar Entwarnung. Doch im Bundesverkehrsministerium gibt es Zweifel an der Seriosität des Werks. Es weise „deutliche handwerkliche Schwächen“ auf, heißt es in einem internen Papier. Zudem entlaste es den Vorstand, „obwohl dieser dem Aufsichtsrat über Monate keinen Hinweis auf die bekannte Dimension des Problems gegeben und in dieser Zeit weitere Vergaben getätigt hat“. Damit habe er die Kosten für einen Aus- oder Umstieg „bewusst erhöht“.

Nun aber machen die Bahn-Manager Druck – und verlangen eine rasche Entscheidung über das Projekt. Dabei hat der Konzern weitere Alternativen zu Ausstieg oder Weiterbau nur oberflächlich durchrechnen lassen – etwa die Variante, nur einen Teil der Stuttgarter Ferngleise unter die Erde zu verlegen, wie es der Schlichter Heiner Geißler empfohlen hat. Genau deshalb könnte es eng werden für die Aufseher. „Stellt sich später heraus, dass es eine dritte Variante gegeben hätte, die deutlich günstiger gewesen wäre, dann wäre das sicherlich haftungsbegründend“, findet Klaus Nieding, Vizechef der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz.

Rechtsprofessor Schwintowski pflichtet ihm bei. Zwar könne der Aufsichtsrat nicht selber prüfen, sondern müsse den Vorstand beauftragen. Doch winke er etwas durch, „obwohl man erkennen kann, dass es nicht hinreichend durchdacht ist, kommt man in den Schadenersatzbereich“. Sein Kollege Adams geht noch weiter: Seit dem Fall JosefAckermann, der vor Gericht im Zuge der Mannesmann-Übernahme durch Vodafone wegen Untreue angeklagt wurde, müsse jeder Manager mit einer Anzeige wegen Untreue rechnen. „Im Vorstand oder Aufsichtsrat zu sitzen, ist ein gefährlicher Job geworden.“

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