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© dpa

Ungebetene Anrufe: Telefonterror per Computer

Bürger beklagen sich über bis zu 250 ungebetene Anrufe am Tag. Erstmals geht die Netzagentur gegen Callcenter-Firmen vor

Der Ärger begann vor etwa zwei Jahren. Mehrmals pro Woche klingelte das Telefon von Detlef Müller, ohne dass sich am anderen Ende der Leitung jemand meldete. Vor einigen Wochen wurde es dann unerträglich: „Es klingelte fast täglich, bis zu vier Mal am Tag“, erzählt der 48-jährige Freiberufler aus Berlin-Moabit. Dass hinter den ominösen Anrufen Callcenter steckten, lag für Müller nahe. Denn hin und wieder war tatsächlich jemand dran: „Es kamen immer wieder Anrufe von Lottoanbietern, die behauptet haben, ich hätte irgendwo teilgenommen.“ Das sei aber frei erfunden, empört sich Müller. Schließlich meldete er seinen Fall der Verbraucherzentrale Berlin.

Dort ist das Problem bekannt: „Seit Juli hat die Zahl der Beschwerden stark zugenommen“, sagt Susanne van Cleve. Mehr als 100 Menschen pro Monat hätten sich zuletzt über solche Anrufe beschwert, schätzt die Verbraucherschützerin. Auch bei der Bundesnetzagentur, die für die Vergabe der 0180er- und 0800er-Nummern zuständig ist, liefen zuletzt haufenweise Beschwerden auf. Die Verbraucher berichteten von regelrechtem Telefonterror. Bis zu 70 Anrufe am Tag, bei denen das Telefon nur kurz klingelte, meldeten einige entnervt. „Im krassesten Fall hat die Telefonbox 250 Anrufe an einem Tag dokumentiert“, sagt Cord Lüdemann von der Bundesnetzagentur.

Die Behörde recherchierte und fand heraus, dass die Klingelattacken auf den Einsatz sogenannter „Predictive Dialer“ zurückzuführen sind. Dies sind Computer, die die Callcenter so programmieren, dass automatisch Dutzende Nummern gleichzeitig gewählt werden. So spart der Callcenter-Agent Zeit, da er immer sofort jemand Neuen in der Leitung hat, sobald er auflegt. Das führt allerdings dazu, dass es bei wesentlich mehr Menschen klingelt, als Callcenter-Agenten frei sind. Sobald einer der Angerufenen abhebt, hört daher das Klingeln bei den übrigen auf. In der nächsten Runde klingelt es bei ihnen dann erneut.

Ein untragbarer Zustand, befand die Bundesnetzagentur und reagierte: Vergangene Woche ordnete sie an, dass sieben Nummern von vier Unternehmen abgeschaltet werden müssen. Die Firmen können über diese Nummern nicht mehr telefonieren und müssen neue Nummern beantragen. Weitere Verfahren „im niedrigen zweistelligen Bereich“ laufen. „Die ungebremste Automatisierung geht hier zulasten der Angerufenen“, begründete Präsident Matthias Kurth die Entscheidung. Dies bedeute einen massiven Eingriff in die Privatsphäre der Betroffenen. „Einen Wettbewerbsvorsprung durch Belästigung zu erzielen, ist nicht hinnehmbar“, sagte er. Erschwerend kam hinzu, dass die Betroffenen nie eingewilligt hatten, Werbeanrufe zu bekommen.

Die Callcenter-Branche spricht von einzelnen schwarzen Schafen und verteidigt den Einsatz der Anwählsysteme als wirtschaftlich notwendig. Der Deutsche Dialogmarketing-Verband (DDV) betont, dass im Ehrenkodex des Verbandes der verantwortungsvolle Umgang mit den automatischen Wählprogrammen fest verankert sei. „Es ist nicht hinnehmbar, dass es zu massiven Verbraucherbeschwerden kommt, weil einzelne Unternehmen nicht verantwortungsbewusst mit dieser Technologie umgehen“, erklärte Simon Juraschek vom DDV.

Im August trat ein neues Gesetz zur Telefonwerbung in Kraft. Demnach können Unternehmen, die den Verbraucher ohne dessen Einwilligung anrufen, mit bis zu 50 000 Euro Bußgeld bestraft werden. Die Abschaltung der Rufnummern zeige die Effektivität der geltenden Regelungen, heißt es im Verbraucherschutzministerium.

Daniel Gratzla

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