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Hurra, er fährt! Der Bahn fehlt täglich ein gutes Dutzend Züge als Reserve. Bis 2014 wird das wohl so bleiben.

© dpa

Bahn-Chaos: Verspätung nach Fahrplan

Immer wieder hat die Deutsche Bahn Probleme mit Frost und Schnee. Das Unternehmen ist selbst schuld, finden Fachleute.

Zugfahren ist das Nonplusultra. Zumindest, wenn man am Leben bleiben will. Das Risiko, bei einem Unfall getötet zu werden, ist für Autoreisende 60-mal und für Buspassagiere 28-mal höher als für Bahnfahrer. Das hat die Eisenbahn-nahe Allianz Pro Schiene ausgerechnet. „Die Bahn ist das mit Abstand sicherste Verkehrsmittel“, sagte Geschäftsführer Dirk Flege am Montag in Berlin.

Die Begeisterung der Fahrgäste darüber hält sich in Grenzen. Jeden Tag verspäten sich Dutzende Züge, müssen stundenlange Zwangsstopps einlegen oder fallen ganz aus. Weichen frieren ein, Oberleitungen reißen, Äste und Bäume stürzen auf Gleise, Loks versagen den Dienst. Die Folge: Fahrgäste frieren auf Bahnsteigen, verpassen Termine, müssen in Hotels übernachten. Den Negativ-Höhepunkt erlebten vergangene Woche Fahrgäste zwischen Hamburg und Lübeck, deren Regionalzug über Stunden stehen blieb – ohne Strom und Heizung.

Ist die Bahn machtlos im Winter? Nein, findet Branchenexpertin Maria Leenen. Sie leitet die Beratungsfirma SCI Verkehr. „Natürlich ließe sich auch bei dieser Witterung Zugverkehr nahezu störungsfrei betreiben“, findet sie. „Die Frage ist, ob man das System deutlich teurer machen will, nur damit es auch an ein paar Wintertagen im Jahr perfekt funktioniert.“ So wie in der Schweiz, in Schweden, in Russland oder in Tibet – Länder, in denen die Witterung oft noch extremer ist, in denen Züge aber dennoch zuverlässig fahren.

Der Bahn jedenfalls war ihr System zu teuer. Um Verluste abzuschütteln und hübsch zu sein für die Börse, hat der Staatskonzern jahrelang einen harten Sparkurs gefahren – einen zu harten, finden Kritiker. „Es gibt zum Beispiel 44 Prozent weniger Weichen als noch 1995“, sagt Karl-Dieter Bodack. Er hat 15 Jahre lang für das Unternehmen gearbeitet und das Interregio-System mitentwickelt. Teilweise gebe es auf Hauptstrecken über zehn Kilometer keine Ausweichmöglichkeit. Stürzt also ein Baum unter der Schneelast auf die Gleise und zerfetzt die Oberleitung, kann man die Züge nicht umleiten.

Dabei dürften Bäume gar nicht in der Nähe der Trassen stehen. Tun sie aber, sagt Hans Leister, Chef des Bahn-Konkurrenten Keolis. Die Bahn spare beim Zurückschneiden des Grüns, seit sie 1995 zur Aktiengesellschaft wurde. „Das ist für Lokführer und Passagiere lebensgefährlich“, klagt Leister. Erst kürzlich raste ein Keolis-Regionalzug in einen Baumstamm – mit viel Glück wurde niemand verletzt.

Gespart hat die Bahn auch bei der Fahrzeugreserve. Alte Züge wurden verschrottet, bei neuen knapp kalkuliert. Das rächt sich nun: Nach einem Achsbruch müssen die ICEs bis zu zehnmal häufiger zur Kontrolle in die Werkstatt als geplant. Fällt ein Zug mit einer Panne aus, fehlt Ersatz. „Wir haben nach wie vor eine Schwachstelle mit der Verfügbarkeit der ICE-Flotte“, räumt Konzernchef Rüdiger Grube ein. Rund ein Dutzend Züge fehlt pro Tag. Erst 2014 werde sich die Lage normalisieren. Daneben mangelt es am Personal – zum Schneeräumen, zum Enteisen, zur Reparatur. „Früher konnte das Bahnhofs-Personal sich schnell eine Schaufel schnappen und eine Weiche frei räumen“, sagt ein Eisenbahn-Manager. „Heute haben die dafür keine Zeit mehr.“ Die Information der Kunden lässt dennoch zu wünschen übrig. „Die ist mehr schlecht als recht“, urteilt Karl-Peter Naumann, Chef des Fahrgastverbandes Pro Bahn – trotz der jüngsten Kundeninitiative des Konzerns.

Es ginge auch anders, findet SCI-Expertin Leenen – vor allem bei der Infrastruktur. „Dazu müsste man mehr Weichenheizungen einbauen, Schneefräsen anschaffen, mehr Personal zum Winterdienst abstellen, robustere Oberleitungen einbauen und sich eine Zugreserve von mehreren Dutzend ICE zulegen“, schlägt sie vor. Pünktlichkeit wäre also möglich, trotz 30 Zentimetern Schnee und Frost. „Am Ende geht es um eine wirtschaftliche Frage: Wie viel Zuverlässigkeit wollen wir uns leisten?“ Carsten Brönstrup

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