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Wirtschaft: Von konstruktiv bis radikal

Der weltweite Protest gegen die Banken erreicht den Finanzplatz Frankfurt am Main und die Hauptstadt Berlin

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Es geht gegen die Macht der Banken und den Krieg, natürlich. Aber auch gegen die „Rest-Privatisierung der BVG“ – die fordert ein Bürger, der sich offenbar auch von den Verkehrsbetrieben verraten und verkauft fühlt. Ein Mann in BVG-Uniform wiederum, der sich spontan dem Marsch der Tausend zum Bundeskanzleramt anschließt, trägt eine Pappe um den Hals, auf der steht: „Lieber Banken kontrollieren als Fahrgäste“. Schließt sich hier der Kreis?

Auch am Ende des Tages bleibt schwer zu sagen, was genau das übergeordnete Ziel ist, aber das scheint auch noch nicht wichtig an diesem Samstag: Weltweit gehen Hunderttausende auf die Straße, vielleicht auch Millionen. Niemand kann das verlässlich sagen. Es gibt Fotos aus Sidney, Tokio, Hongkong. Auch aus Bukarest, Warschau, Stockholm, London und Rom gibt es Berichte über große Kundgebungen. In Italien fackeln Demonstranten Autos ab und brechen eine Bank auf. Vor der Europäischen Zentralbank am Finanzzentrum Frankfurt am Main und in Berlin dagegen bleibt es friedlich – zumindest weitgehend.

Auf der Wiese zwischen Kanzleramt und Reichstag singen, tanzen und trommeln Protestierende, sogar karnevalsartige Wagen sind zu erkennen. Als Einzelne versuchen, über den Zaun zu klettern und über die Wiese auf das Kanzleramt zuzulaufen, schreitet die Polizei ein. Einige, die von der Mehrheit als Störer empfunden werden, setzten sich dann vor den Reichstag, der von einem großen Polizeiaufgebot geschützt wird. Sie rufen „Hier ist das Volk“.

Es ist ein extrem bunt gemischtes Publikum, das auf der Straße ist: Junge wie Alte, Studenten, gesetzte Bürger aus Ost und West, einige geben sich konstruktiv, andere radikal. 350 Protestierende waren angemeldet. Plötzlich werden es Tausende. Am Brandenburger Tor hat eine Frau, die sich selbst „Cordula, die Empörte“ nennt, eine Wäscheleine gespannt. Jedermann kann auf eine Pappe schreiben, was ihn empört. „Ätsch, Marx hatte doch Recht“, hat einer der Demonstranten geschrieben.

Viele entschließen sich spontan, sich der Demonstration anzuschließen, so wie zwei ältere Schwedinnen, die in Berlin Urlaub machen. „Ganz toll“ finde sie den Protest, sagt eine der beiden. „Dafür wird es absolut Zeit.“ Sie freut sich, dass so viele Junge auf die Straße gehen.

Eine Künstlergruppe aus Prenzlauer Berg, die „Sardinenbüchsen-Armee“ ist in selbst gebastelten Büchsen zur Demo gekommen. „Wir wollen gegen Einengung und für mehr politischen Freiraum protestieren“, sagt Frauke L. In ihrem Bekanntenkreis erlebe sie Burn-out, Leistungsdruck und Existenzängste mit. „Wir sind eigentlich alle betroffen“, sagt sie. Dass heute weltweit Menschen auf die Straße gehen, mache ihr Mut.

Auch Michael M., 65, aus Ostberlin sagt: „Ich kann nicht alle Parolen unterschreiben, aber ich finde, dass es richtig ist, den Regierenden zu zeigen, dass die Menschen sich nicht alles gefallen lassen.“ Heiner Wücker, 58, hat eine überdimensionale Registrierkasse mitgebracht, die er vor zwei Jahren gemeinsam mit einer Künstlergruppe aus New York gebaut hat. Er ist vor allem gekommen, weil er einen Krieg in Iran fürchtet. Wücker hofft, dass heute auf der ganzen Welt so viele Menschen gleichzeitig auf die Straße gehen wie nie zuvor – und er glaubt, dass die Bewegung in Berlin weiter aktiv bleiben wird.

Auf einigen Plakaten sind deutliche Worte zu lesen: „Alle drei Sekunden verhungert ein Mensch – wegen Eurer Gier“, oder auch: „Kapitalismus und Demokratie – Vortäuschung des Unmöglichen“. Nicht nur Einzelpersonen, auch Organisationen beteiligen sich am Demonstrationszug, beispielsweise Attac und die Linkspartei. Auch Forderungen, die mit dem eigentlichen Anlass der Demonstration nichts zu tun haben, sind zu erkennen. Manchen geht es um Hartz IV oder den Pflegestreik an der Charité. Die meisten Transparente aber richten sich gegen Banken.

Am Bankenplatz Frankfurt beginnt der Tag mit 50 Menschen, die sich an der Konstablerwache versammeln, nicht einmal Polizei ist zu sehen. Es dominiert die Haarfarbe Grau. Nur ein junger Mann steht mitten auf dem Platz und hält ein selbst gemaltes Plakat hoch: „Wir müssen die Märkte beruhigen wie einst die Götter“ ist darauf zu lesen. Und die Götter scheinen es heute an Spree, Elbe und Main gut zu meinen: Der Himmel ist wolkenlos blau, die Sonne scheint. „Revolutionswetter in Mainhattan“, lacht einer der Demonstranten.

Als sich der Platz füllt, steht dort plötzlich auch der Berliner Hochschullehrer Peter Grottian. Er hat sich ein Stoppschild um den Hals gehängt: „Mut zur Wut“. Grottian hofft, dass noch mehr kommen. Es fängt schleppend an. Doch, nicht einmal zwölf ist es, da strömen sie plötzlich aus allen Richtungen. Es ist, als sei eine Tür aufgegangen: Familien mit Kindern, Rentner und Studenten, die üblichen Punks mit ihren Hunden, ein buntes Volk würfelt sich da in der Frankfurter Innenstadt zusammen.

Menschen unterschiedlicher Herkunft und jeden Alters sind vertreten, mit Pappschildern sind sie gekommen, um gegen die Banken zu demonstrieren. Zwei junge Männer tanzen zur Sirtaki-Musik, sie halten ein großes Transparent hoch: „Ihr spekuliert mit unserem Leben“. Die zwei sind Brüder aus Bad Vilbel im Taunus, beide sind Ende zwanzig, beide haben schon Kinder. „Es ist zum ersten Mal, dass wir bei so etwas mitmachen“, sagt der ältere von den beiden. Sie hätten sich spontan entschieden zu kommen, die ganze Familie haben sie dabei. Die Jüngste muss getragen werden. „Wir fühlen uns belogen und betrogen“, sagen sie. Und dass sie sich Sorgen machen, vor allem wegen ihrer Kinder.

Ein Frankfurter Ehepaar steht am Straßenrand. Nein, sagt sie, sie seien keine Passanten, auch sie wären hier, um zu demonstrieren. Sie wollen sich aber ein bisschen Rand halten, in Frankfurt weiß man ja nie, ob nicht doch noch Steine fliegen. Aber es bleibt friedlich. Nur als der Demonstrationszug an der Deutschen Bank vorbeigeht, wird gepfiffen und gebrüllt.

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