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Schock an den Börsen. Als der Dax am Mittwoch erstmals wieder unter 9000 Punkte fiel, wurden Zweifel am Zustand der deutschen Wirtschaft laut.

© dpa

Wachstum: Die Wirtschaft stockt - was Deutschland tun kann

Die Wachstumsaussichten sinken jetzt auch in Deutschland. Die Frage ist, was die Regierung tun kann, um die Wirtschaft zu stärken. Es gibt mehrere Vorschläge. Und einige Vorbehalte.

Noch im Frühjahr waren die wichtigsten Wirtschaftsforscher voller Hoffnung. Um zwei Prozent sollte das Bruttoinlandsprodukt in diesem und im kommenden Jahr steigen, befanden sie. Sechs Monate später ist Ernüchterung eingekehrt. „Wir waren zu optimistisch“, räumte Ferdinand Fichtner, Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), am Donnerstag ein. Im Herbstgutachten nehmen sie nur noch 1,3 Prozent Wachstum für dieses Jahr und 1,2 Prozent für das kommende an. An den Aktienmärkten sorgt dies für schlechte Stimmung, der Dax verliert seit Wochen an Boden.

Warum geht das Wachstum in Deutschland so stark zurück?

Vieles hat sich geändert: Der Ukraine-Konflikt und die Kriege im Nahen Osten drücken auf die Stimmung der Unternehmen. Die Nachfrage aus dem Euro-Raum, dem wichtigsten Markt für deutsche Firmen, kommt nicht in Gang, weil große Länder wie Frankreich oder Italien ihre Probleme nicht lösen. Folge: Der Export war im August so schwach wie seit fünfeinhalb Jahren nicht mehr, Bestellungen und Produktion sinken. Auch die Binnennachfrage verliert an Kraft – weil die Unternehmen zu wenig investieren und die Verbraucher angesichts der Krisen das Geld zusammenhalten. Und weil die Regierung einen wenig wirtschaftsfreundlichen Kurs steuert, von der Mütterrente über die Rente mit 63 bis zum Mindestlohn. Diesen „Gegenwind“ habe man unterschätzt, sagte Fichtner. Allein die Einführung der Lohnuntergrenze von 8,50 Euro werde 200 000 Jobs kosten. Und die die Rente mit 63 dürften 2015 rund 150 000 Menschen nutzen, deren Erfahrung den Betrieben dann fehlt.

Steht Deutschland nun vor einer Rezession oder einer Deflation?

Es gebe „keinen Anlass zur Panik“, erklärten die Ökonomen. Ein Absturz der Wirtschaft wie 2009 steht nicht an – es geht bislang allein um eine Verlangsamung der Konjunktur. Allerdings war die Lage lange nicht mehr so unsicher. „Die Risiken für die Weltkonjunktur sind erheblich“, heißt es im Gutachten. In China könnte die Immobilienblase platzen, eine erneute Eskalation der Euro-Krise ist möglich, ein Lieferstopp für russisches Gas nicht auszuschließen. Die größte Gefahr geht jedoch von einer Deflation aus. Dauerhaft sinkende Preise würde die Europäische Zentralbank nur schwer in den Griff bekommen. Deshalb pumpt sie Geld in die Märkte wie nie, womöglich kauft sie bald Staatsanleihen, um Banken zu entlasten und die Kreditvergabe anzuregen.

Ist nun ein Konjunkturprogramm nötig?

2009 versuchte die Regierung, mit Milliarden-Ausgaben den freien Fall der Wirtschaft aufzuhalten. Sie gab Milliarden aus für die Altauto-Abwrackprämie und die Sanierung von Gebäuden. Heute wäre ein solches Konjunkturprogramm „fehl am Platze“, wenden die Institute im Herbstgutachten ein. Sie verweisen auf die bekannten Probleme solcher Maßnahmen: Ausgaben-Impulse kommen meist zu spät und sind nicht zielgerichtet – so war es übrigens auch 2009. Die Abwrackprämie nutzte vor allem ausländischen Herstellern, und das Staatsgeld wurde noch verbaut, als die Wirtschaft längst wieder auf vollen Touren lief.

Was kann die Regierung tun, um das Wachstum anzukurbeln?

Fast schon traditionell machen sich die Regierungsberater für niedrigere Steuern stark – auch jetzt. So solle die Koalition die Mehreinnahmen aus der kalten Progression der vergangenen Jahre, rund zehn Milliarden Euro, an die Bürger zurückgeben. Auch eine längere Lebensarbeitszeit und höhere Ausgaben für die Bildung könnten für mehr Dynamik sorgen.

Am meisten versprechen sich die Experten aber von einer Förderung der Investitionen. Sie sind seit Jahren zu schwach. Zum einen, weil die Firmen ihre Gewinne lieber im Ausland anlegen, als sie hierzulande in neue Maschinen zu stecken. Zum anderen, weil sich der Staat mit seinen Ausgaben beständig zurückhält. Das Problem ist bekannt – eine Arbeitsgruppe bei Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) prüft daher, wie sich privates Geld besser für öffentliche Projekte mobilisieren lässt.

Für höhere Investitionen des Staates „besteht durchaus budgetärer Spielraum“, heißt es im Herbstgutachten. Das Geld könne fließen in die Infrastruktur oder in die frühkindliche Bildung. Die Regierung will ihre Ausgaben für die Infrastruktur bislang um fünf Milliarden Euro in dieser Wahlperiode erhöhen – das ist den meisten Fachleuten zu wenig.

Was ist wichtiger – ein schuldenfreier Haushalt oder mehr Wachstum?

Höhere Ausgaben würden aber dem Ziel von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zuwider laufen, 2015 einen schuldenfreien Haushalt hinzubekommen. Das sei nicht schlimm, urteilten die Institute. Das Ziel einer schwarzen Null sei ein „Prestigeprojekt“ und „aus ökonomischer Sicht derzeit nicht angebracht“, sagte DIW-Forscher Fichtner.

Schäuble warnt vehement davor, zugunsten von Wachstum die Defizitregeln des Europäischen Stabilitätspakt zu ignorieren. „Wachstum kommt, wenn wieder Vertrauen in die Euro-Zone wächst“, sagte er bei einer Veranstaltung der Bertelsmann-Foundation in Washington. Allerdings müsse den Investitionen eine größere Priorität gegeben werden. Am Rande der Herbsttagung des Internationalen Währungsfonds gab der Minister den internationalen Kritikern Recht, dass die Euro-Zone "Wachstum liefern muss'. Aber Deutschland sei trotz der Schwächung "der Motor des Wachstums in der Eurozone". Der Finanzminister ist in den USA seiner "Austeritätspplitik" wegen Ziel harrscher Kritik. Schäuble wies sie zurück und sagte, zu denken, mit einer Defiziterhöhung könne man Wachstum anregen, sei ein Irrglaube. "Das ist der Weg, mit dem wir die Eurozone zerstört haben." Die Gefahr einer Deflation bestreitet der Bundesfinanzminister. "Es gibt keinerlei Anzeichen einer Deflation." Deflation bei diesen Zahlen sei zu hoch gegriffen.

Einen beherzten Schritt will Gustav Horn gehen. Er ist Chef des gewerkschaftsnahen IMK-Instituts und gehört nicht dem Kreis der Regierungs-Gutachter an. „Wir brauchen einen Nachfrage-Impuls“, sagte er. 20 Milliarden Euro zu mobilisieren sei möglich. Die Fixierung auf die schwarze Null sei eine „politische Selbstblockade“. (mit babs)

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