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In Buenos Aires protestierten Menschen in dieser Woche gegen die hohen Lebensmittelkosten. Im August 2019 erfuhr der Peso eine Abwertung von knapp 25 Prozent und kurbelte die Inflation noch einmal an.

© dpa

Wirtschaftskrise: Wieso Argentinien zum dritten Mal seit 2000 pleite ist

Trotz Milliardenhilfen vom IWF steht Argentinien erneut vor dem Staatsbankrott. Auch die künftige EZB-Chefin machte dabei keine gute Figur.

Argentiniens Präsident Mauricio Macri war angetreten, alles anders zu machen. Er wollte den Kräften des Marktes wieder freies Spiel lassen und ausländische Investoren anlocken. Er versprach, Armut und Inflation zu beenden und Argentinien vom linken Kirchnerismus zu befreien, der das Land in eine schwere Wirtschaftskrise geführt hatte. Als Macri 2015 die Wahlen gewann, titelte das Nachrichtenportal „Bloomberg“: „Wall Street hat (wieder) das Sagen.“

Jetzt, nur vier Jahre später, trauen die Beobachter ihren Augen nicht. Macris Politik gleicht der seiner Vorgängerin Cristina Kirchner. Wieder steckt Argentinien in einer tiefen Wirtschaftskrise mit Kapitalflucht, hoher Inflation und bankrottem öffentlichen Haushalt. Und Macri? Reagiert mit staatlichen Eingriffen, die er, der Liberale, zuvor noch als „sozialistisch“ verteufelt hatte.

Aber womöglich blieb ihm auch keine andere Wahl, als er am 1. September Kapitalkontrollen einführte. Die Argentinier hatten panisch begonnen, ihr Geld außer Landes zu bringen: Innerhalb von nur zwei Tagen flossen drei Milliarden Dollar aus dem Land ab. Um den Totalabsturz zu verhindern, begrenzte Macri den Umtausch von Pesos auf 10.000 Dollar pro Monat und pro Kopf.

Auch für Unternehmen gibt es Beschränkungen, Dollar zu kaufen und Dividenden an ausländische Investoren auszuzahlen. Der Liberale Macri griff also zum Interventionismus. Das wäre so, als ob ein Wirtschaftsminister Christian Lindner die Banken verstaatlichen würde.

Zum dritten Mal in diesem Jahrhundert pleite

Die Märkte reagierten entsetzt: Argentinische Staatsanleihen stürzten ab und die Ratingagenturen rechnen praktisch mit der Zahlungsunfähigkeit des Landes. Argentinien ist somit nach 2001 und 2014 zum dritten Mal in diesem Jahrhundert pleite. Die Regierung hat bereits damit begonnen, die Schulden von insgesamt 101 Milliarden Dollar beim Internationalen Währungsfonds und anderen Gläubigern zu „restrukturieren“. Mit anderen Worten: Sie werden nicht beglichen.

Die Argentinier versuchen nun schleunigst, ihr Geld von den Banken zu holen. Im Angesicht des Peso-Verfalls – die Inflation liegt bei 55 Prozent – wollen sie es in eine Fremdwährung tauschen oder möglichst schnell ausgeben. Sie wollen also retten, was zu retten ist. Wer kann, legt sein Geld im Ausland an, worauf sich bereits verschiedene Internetplattformen spezialisiert haben. Auch geldlose Tauschbörsen für Alltagsprodukte erleben nun wieder eine Blüte, dort tauscht man dann beispielsweise ein paar Kinderschuhe gegen zwei Flaschen Speiseöl. Bei den Unternehmen herrscht derweil Unsicherheit, welche Preise man überhaupt ansetzen soll.

Für die Argentinier gleicht die Situation einem Déjà-vu. Finanzminister Hernán Lacunza sagte resigniert: „Argentinien ist wie ein Schiff, das im Kreis fährt und immer zum gleichen Hafen zurückkehrt.“ Wie schon 2001, als das Land einen traumatischsten Absturz erlebte, demonstrieren nun erneut Zehntausende gegen die Regierung.

Der Peso wird zum Spekulationsobjekt

Wie kam es zu diesem Schock? Zunächst muss man den 11. August nennen: Präsident Macri verlor eine Vorwahl deutlich gegen den oppositionellen Präsidentschaftskandidaten Alberto Fernández. Dessen Vizekandidatin ist ausgerechnet das „linke Schreckgespenst“ Cristina Kirchner. Dem Duo gelang es, ein breites Oppositionsbündnis zu bilden, und niemand zweifelt mehr an ihrem Sieg bei den Wahlen am 27. Oktober. Diese Aussicht raubte den Finanzmärkten den letzten Glauben an Argentinien.

Die Ursachen für die Krise liegen indes tiefer. Seit Jahren lebt Argentinien über seine Verhältnisse. Das einstmals reichste Land Südamerikas importiert mehr, als es exportiert und hat ein ständiges Leistungsbilanzdefizit. Das bedeutet, dass es auf den Import von ausländischem Kapital angewiesen ist. Auch Macri hielt Argentinien vor allem mit der Aufnahme von Krediten über Wasser. Weil diese Kredite aber in Dollar gelten, machen sie das Land extrem verwundbar.

Als IWF-Chefin gewährte Christine Lagarde Argentinien einen Rekordkredit. Die Wirkung war schnell verpufft.
Als IWF-Chefin gewährte Christine Lagarde Argentinien einen Rekordkredit. Die Wirkung war schnell verpufft.

© AFP

Denn sobald die Gläubiger meinen, ihre Anlagen seien nicht mehr sicher, zum Beispiel wegen hoher Inflation, ziehen sie sie ab. Der Peso verliert dann weiter an Wert, was wiederum weitere Kapitalabflüsse zur Folge hat. Es macht den Peso auch zum Objekt von Währungsspekulanten. Genau diese Entwicklung setzte nach der Lirakrise in der Türkei 2018 ein. Niemand traute mehr dem Peso.

Daraufhin schaltete sich der Internationale Währungsfonds (IWF) ein. Und erneut spielte der für Argentinien eine fatale Rolle. Kaum einem Land hat der IWF mehr Kredite gewährt – und kaum einem Land haben sie mehr geschadet.

Schlechtes Zeichen für Europa

Als Paradebeispiel kann das IWF-Hilfspaket von 2000 gelten, das ganz im neoliberalen Zeitgeist an drastische Kürzungen der Sozialausgaben geknüpft war. Zahlreiche Menschen stürzten damals ins Elend. Schwere Unruhen mit Plünderungen, Toten und fünf Präsidenten innerhalb von zwei Wochen waren die Folge. Anschließend begann die zwölfjährige Regierungs-Ära des Ehepaars Néstor und Cristina Kirchner.

Der IWF schien also nicht viel aus der Vergangenheit gelernt zu haben, als er Argentinien im Juni 2018 mit 50 Milliarden Dollar den höchsten Kredit seiner Geschichte einräumte. Es heißt, dass die US-Regierung darauf drängte, um den Trump-Verbündeten Macri zu stützen. Erneut knüpfte der IWF den Kredit an strenge Austerität. Aber schon bald war die erste Tranche des Kredits aufgefressen. Ohne zu zögern gewährte der IWF einen Zusatzkredit von 6,3 Milliarden Dollar – Argentinien steckte erneut in der Schuldenfalle.

Mauricio Macri nützte es nichts. Die Argentinier, von denen ein Drittel unter der Armutsgrenze lebt, verloren das letzte Vertrauen in die Regierung und schwenkten zur Opposition. Für die irre Geldvernichtung machen viele nun auch die scheidende IWF-Chefin Christine Lagarde verantwortlich. Der Rekordkredit sollte ihre Karriere beim Währungsfonds krönen. Jetzt ist er zum Desaster geworden. Das ist auch kein gutes Omen für Europa. Lagarde wird im Oktober den Vorsitz über die Europäische Zentralbank übernehmen. Zeitgleich werden die Argentinier wohl Macri abwählen und den Kirchnerismus wieder an die Macht bringen.

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