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Junger Forscher. Albert Einstein erhielt den Nobelpreis mit 43 für seine Forschungsarbeiten, die er mit Mitte 20 begonnen hatte – neben dem Job im Patentamt von Bern.

© imago/ZUMA/Keystone

Zukunft der Arbeit: Zur rechten Zeit

US-Firmen bieten Mitarbeiterinnen Social Freezing an – damit sie sich im „besten Alter“ ganz der Karriere widmen können. Dabei sind die Jungen gar nicht so leistungsstark und innovativ wie ihr Ruf

Die ideale Mitarbeiterin ist jung, ehrgeizig, technikaffin, begeisterungsfähig und leistungsorientiert. 1601 Menlo Park City, Kalifornien. Sie wird zuhause noch kurz unter die Dusche gegangen sein, bevor sie sich zur Leitungszentrale von Facebook aufgemacht hat. Frühstück gibt es dort, kostenlos. So wie Mittagessen und Abendbrot. Um ihre Wäsche muss sie sich nicht kümmern, das übernimmt der Arbeitgeber. Die Arbeitszeit ist flexibel.

Und jetzt kann sie auch noch auf Kosten des sozialen Netzwerks ihre Eizellen einfrieren lassen, um sie zu einer späteren Zeit, wenn es ihr besser passt als jetzt, wieder auftauen und befruchten zu lassen. Denn gerade macht ihr der Job viel Spaß, hat sie gute Chancen, beruflich voranzukommen. Sie kann dann einfach irgendwann Mutter werden, ohne Druck. Die biologische Uhr tickt jetzt nicht mehr, um sie zu ermahnen, dass die Zeit läuft, dass sie knapp wird für ein Kind. Jetzt ist sie erst einmal im „besten Alter“. Für den Job.

Social Freezing hat es sogar in die Sonntagstalkshow von Jauch geschafft

Seit die US-amerikanischen Unternehmen Facebook und Apple ihr neues Personalmanagement-Instrument bekannt gegeben haben, ist die Aufregung über den Atlantik hinweg groß. Wohl kein Medium, das das Thema nicht kommentiert hätte. Sogar in die Sonntagstalkshow von Günther Jauch hat es „Social Freezing“ geschafft. Und immer wieder wird dabei vom „besten Alter“ gesprochen, davon dass die US–Technologiekonzerne alles daran setzen, junge Arbeitskräfte für sich zu gewinnen.

Doch was hat ein Arbeitgeber eigentlich davon, junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (auch Männer erhalten jetzt von Facebook Geld für das Einfrieren von Samenzellen) zu unterstützen, später eine Familie zu gründen, sie möglichst lange ohne Kind für sich arbeiten zu lassen? Warum ist es dem sozialen Netzwerk bis zu 20 000 Dollar wert, sie in der Phase ihrer höchsten biologischen Fruchtbarkeit im Betrieb zu halten?

Sind Junge in dieser Zeit so viel innovativer, kreativer, produktiver und engagierter als Ältere? Sind sie doch die besseren Mitarbeiter? Oder lassen sie sich nur gut ausbeuten? Und was, wenn die Jungen in die Jahre kommen? Und dann vielleicht doch noch Kinder kriegen?

Facebook nimmt dazu offiziell keine Stellung. Es mag aber ganz im Sinne des Firmenmarketings sein, wenn es heißt, dass man durch Social Freezing die Selbstbestimmung der Frau stärken wolle.

Erfinder sind meistens jung

Dafür, dass der Nachwuchs besonders innovationsfähig ist, spricht: „Große Erfindungen werden oft von jungen Menschen gemacht“, sagt Elke Holst vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Nobelpreisträger etwa würden ihre Erkenntnisse eher in jungen Jahren gewinnen. Drei Beispiele: Albert Einstein wurde 1922 für seine Forschungsarbeit geehrt, die er 1905, mit 26 Jahren, begonnen hatte. Marie Curie bekam den Preis zum ersten Mal mit 36. Peter Higgs wurde 2013, mit 84, für Erkenntnisse ausgezeichnet, die er mit 35 veröffentlicht hatte.

Dennoch sind die Jungen nicht die, die den Unternehmen am wertvollsten sind. „Produktivität im technokratischen Sinne ist messbar anhand der Verdienstentwicklung“, erklärt Wirtschaftswissenschaftler Michael Burda von der Humboldt-Universität Berlin. Demnach haben Beschäftigte mit 30 Jahren Berufserfahrung die Spitze ihrer Leistungsfähigkeit erreicht, die danach tendenziell leicht abfällt. „Geht man also davon aus, dass jemand mit 18 eine Lehre beginnt, erhält er mit etwa 50 den höchsten Verdienst – und leistet in diesem Alter am meisten für die Firma, sagt Burda. Das gilt für Frauen wie für Männer.

Werner Eichhorst vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn sieht Produktivität als Summe verschiedener Leistungen: „Ein Hochleistungssportler hat mit spätestens 30 die Spitze seiner Leistungsfähigkeit erreicht“, sagt der Arbeitsmarktforscher. Im Beruf sind heute aber weniger körperliche Belastungen als kognitive Leistungen gefragt, Kenntnisse und Fertigkeiten, Kreativität, Urteilsvermögen und Erfahrungswissen. Und diese Fähigkeiten verändern sich über die Jahre.

„Es gibt Dinge, die im Alter besser – und andere, die schlechter werden“, bestätigt Eckart Gundelfinger, Wissenschaftlicher Direktor am Leibniz-Institut für Neurobiologie in Magdeburg. Im Laufe des Lebens wird es etwa schwerer, Gedächtnisinhalte zu speichern, auch weil sich Ältere schwerer motivieren lassen, erklärt er. Begeisterungsfähigkeit sei aber für Gedächtnismanagement und Lernen sehr bedeutend. Die gute Nachricht: Erfahrungswissen und Routine wiege das oft auf.

Und doch haben die Jungen, die „High Potentials“, nicht die höchste kognitive Leistungsfähigkeit: „Die 20- bis 30-Jährigen denken schnell, logisch, lernen rasch. Die Älteren entwickeln dagegen eine Denkfähigkeit, die alle Dinge umfasst, die wir im Laufe unseres Lebens gelernt, die Lebenserfahrungen, die wir gesammelt haben. In der Regel summieren sich diese beiden Formen von Intelligenz – und führen im Alter von 40 bis 50 Jahren zum Gipfel der kognitiven Leistungsfähigkeit, erklärt der Professor für Neurologie.

Zwischen 40 und 50 ist man am leistungsstärksten

Studien belegen auch, dass Junge nicht einmal unbedingt innovativer und lernfähiger sind als Ältere, sagt Arbeitsmarktforscher Eichhorst. Innovationsfähigkeit hänge auch davon ab, wie sie im Laufe des Berufslebens trainiert werde. Und sie hängt vom Erfahrungswissen ab: „Viele Ideen jüngerer Mitarbeiter sind nicht oder nur eingeschränkt umsetzbar“, sagt Joachim Sauer, Präsident des Bundesverbandes der Personalmanager.

Wenn die ideale Mitarbeiterin von Facebook nun mit 40 den idealen Partner gefunden hat, ihre Eizellen auftaut und befruchten lässt, mit etwas Glück schwanger wird und in Elternzeit geht – macht sie in der Phase ihrer höchsten kognitiven Leistungsfähigkeit eine Karrierepause.

Wirtschaftswissenschaftler Michael Burda hält es für ganz natürlich, dass Unternehmen, auch Hochschulen, versuchen, vorwiegend junge Mitarbeiter zu gewinnen. „In den USA promovieren Wissenschaftlerinnen mit 25 und haben dann die ganze Welt vor sich. Sie können ihre professionelle Entwicklung fördern – ohne dass sie dabei eine Familie am Hals haben“, sagt der HU-Professor.

IZA-Forscher Eichhorst dagegen sieht den Jugendwahn von Firmen skeptisch: „Ich bin mir nicht sicher, ob es besonders schlau ist, wenn nur 25- bis 30-Jährige in einer Firma arbeiten, denn dann herrscht dort nur eine bestimmte Art des Denkens vor, andere fehlen“, sagt er.

Der Arbeitgeber Deutsche Bahn macht es aus Sicht von Eichhorst richtig und setzt auf Altersdiversität. Um die komplexen Probleme im Bereich der Infrastruktur zu lösen, sei Berufserfahrung sehr wichtig, aber auch ein neuer Blick auf die Dinge durch neue Mitarbeiter, auch durch junge Mitarbeiter, sagt die Personalvorständin der DB Netz AG, Ute Plambeck. Social Freezing ist für die Bahn angeblich kein Thema. Man nutzt andere Mittel des Personalmanagements, um ein attraktiver, familienfreundlicher Arbeitgeber zu sein: Flexibilisierung der Arbeit, Kindergartenplätze, „Notfallbetreuung" für Mitarbeiterkinder, sagt Plambeck.

Weniger als zehn Jahre bleiben US-Mitarbeiter im Schnitt in einer Firma

Will die ideale Mitarbeiterin nach ihrer Babyzeit mit Anfang 40 wieder arbeiten, mag sie vielleicht gar nicht mehr vor dem Frühstück in die Firma gehen. Junge Trendunternehmen wie Facebook gelten als cool, als attraktiv, aber nicht gerade als wohltätig. „Sie verschleißen Leute in ihrem frühen Erwerbsleben. Mitarbeiter machen das oft für ein paar Jahre mit, sammeln Erfahrungen und suchen dann einen ruhigeren Job“, sagt Eichhorst. Die Betriebszugehörigkeit in den USA beträgt im Schnitt weniger als zehn Jahre.

Facebook hat damit gute Chancen, raus zu sein aus der Verpflichtung, tatsächlich familienfreundlicher zu werden – wenn die einst ideale Mitarbeiterin dann als Mutter für eine andere Firma arbeitet.

Bei ihrer Rückkehr auf den Arbeitsmarkt wird sie vor den gleichen Herausforderungen stehen, wie die Kolleginnen, die mit 30 Mutter geworden sind. Das macht keinen großen Unterschied, sagt Personalexperte Sauer. „Der Karrierebruch wird durch späte Mutterschaft nur nach hinten verschoben.“ Und das sei nicht unbedingt vorteilhaft. Um die 40 würden oft entscheidende Karriereschritte gemacht. „Da wird man etwa Abteilungsleiter.“ Verpasst man diese Phase, geht es oft erst einmal nicht weiter nach oben.

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