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In Szene gesetzt. Ein Modell des Kometen Tschurjumow/Gerassimenko – zum Größenvergleich mit einem Stadtplan von Berlin Mitte. Die Ausstellung ist noch bis zum 24. Januar 2017 zu sehen.

© dpa/Wolfgang Kumm

Astronomie: Komet „Tschuri“ ist in Berlin gelandet

Im Naturkundemuseum sind spektakuläre Bilder der Rosetta-Mission zu sehen – und ein Modell zum Anfassen. Am 30. September wird die Sonde auf dem Kometen aufsetzen.

Einmal einen Kometen aus nächster Nähe sehen. Im Berliner Naturkundemuseum ist das ab sofort möglich – in der Sonderausstellung zur europäischen Raumfahrtmission „Rosetta“. Nach zehn Jahren Anreise erforscht die gleichnamige Sonde seit August 2014 den Kometen „Tschurjumow/Gerassimenko“ in bisher ungekannter Genauigkeit. Die wichtigsten Ergebnisse sowie einige neue Bilder sind nun erstmals in einer Ausstellung zu sehen. Sie vermittelt einen Eindruck davon, mit welchen Möglichkeiten und Grenzen die Forscher bei „Tschuri“ zurechtkommen mussten. Dazu gehören Exponate wie ein Modell des Landeroboters „Philae“ sowie einzelne Messgeräte. Es ist beeindruckend, dass eine Kamera von der Größe eines Stücks Butter zehn Jahre lang durchs eiskalte All geflogen ist, um endlich den Kometen aus der Nähe zu fotografieren – und dann derart beeindruckende Aufnahmen liefert, wie sie an den Wänden zu sehen sind.

Holz und Styropor statt Staub und Eis

Höhepunkt ist allerdings das Modell des Kometen. Es ist zwar deutlich kleiner als das Original, das immerhin drei mal fünf Kilometer misst. Und es besteht auch nicht aus Eis und Staub, sonst würde der Berliner Tschuri bald seine Form verlieren. Dank Holz und Styropor ist seine Gestalt auch bei Raumtemperatur zu bewundern und buchstäblich zu begreifen: wahlweise als Ente oder Kartoffel beschrieben, zerfurcht von allerlei Kratern. Dass es sie gibt und wo sie sich befinden, ist eines von vielen Ergebnissen der mehr als eine Milliarde Euro teuren Mission.

Der Komet "Tschuri"
Der Komet "Tschuri"

© dpa/Esa/DLR

In den vergangenen zwei Jahren hat die Sonde Rosetta den Kometen aus allen möglichen Perspektiven fotografiert, vermessen und das von ihm ausgeschleuderte Material analysiert. Vor allem im vergangenen Jahr war Tschuri sehr aktiv, weil er damals auf seiner elliptischen Umlaufbahn der Sonne immer näher kam. Dadurch verdampfte viel Eis, was neue Krater und eine ansehnliche Wolke hinterließ. Wenn auch zig Millionen Kilometer entfernt, konnten die Forscher dank der Sonde genau verfolgen, wie sich Tschuri in Sonnennähe veränderte.

Bisher wurde der Lander nicht entdeckt

Größere Aufmerksamkeit erregte jedoch der Lander „Philae“, den Rosetta im November 2014 ausgeklinkt hatte. Der kühlschrankgroße Roboter sollte auf dem Eisbrocken aufsetzen und sich mit einer Harpune verankern, um dann verschiedenste Messungen vorzunehmen. Das klappte nicht ganz, Philae prallte ab, machte insgesamt drei Hüpfer, bevor er endlich zum Stehen kam. Wo? Das weiß keiner, Rosetta hat den kleinen Roboter bisher nicht aufspüren können. Anhand von Messdaten haben die Forscher aber den mutmaßlichen Standplatz bis auf gut 20 Meter eingeschränkt. „Wir hoffen, ihn bis zum Ende der Mission im September noch zu finden“, sagte Stephan Ulamec, Philae-Projektleiter am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).

Vermutlich steht der Landeroboter am „Kopf“ der Ente, irgendwo in Schräglage an eine steile Wand gelehnt. Jedenfalls lieferten die Solarzellen weniger Strom als erhofft. Eine Radionuklidbatterie, wie sie für Weltraum-Missionen in sonnenferne Gebiete häufiger verwendet werden, wurde in der Vorbereitungsphase der Mission ausgeschlossen. Immerhin 64 Stunden arbeiteten die wissenschaftlichen Geräte des Landers und lieferten – gemeinsam mit den Daten des „Mutterschiffs“ Rosetta – viele neue Erkenntnisse über Kometen.

Komplexe Moleküle, aber keine Bausteine für Leben

Dazu gehört, dass zumindest Tschuri kein fluffiger Schneeball ist, wie von manchen vorhergesagt. „Er hat vier- bis sechsmal mehr Staub als Eis und eine unerwartet harte Oberfläche“, sagt Tilman Spohn vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof. Auch die Gestalt, die an zwei zusammengeschweißte Körper erinnert, hatte die Forscher zunächst überrascht. „Inzwischen wissen wir, dass diese Form bei Kometen häufiger vorkommt“, sagt Spohn. Warum, das sei nicht genau geklärt. Möglicherweise hätten sich zwei Kometen-Ursprungskörper zusammengefunden. „Entgegen der weit verbreiteten Meinung, wonach Kometen anfangs heftig miteinander kollidieren, hat sich Tschurjumow/Gerassimenko völlig ruhig verhalten – keine Spuren von Zusammenstößen“, ergänzt der Forscher. An der Theorie zur Entwicklung des Sonnensystems dürften wohl einige Korrekturen nötig sein, kündigt er an.

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Dafür sprechen noch weitere Erkenntnisse. Eine der wichtigen Forschungsfragen lautete, welche organischen Verbindungen zu finden sind. Denn Kometen sind etwa so alt wie das Sonnensystem – viereinhalb Milliarden Jahre – und haben somit dessen ursprüngliche Zusammensetzung gespeichert. Möglicherweise, so eine Theorie, haben sie durch Einschläge auf die Erde Grundzutaten für biologisches Leben auf unseren Planeten gebracht. Einen starken Beweis für diese Behauptung hat die Rosetta-Mission aber nicht geliefert.

Zwar haben die Sensoren verschiedenste Verbindungen nachgewiesen, etwa Alkohole, Aceton, Propanal und laut Spohn sogar einfache Aminosäuren. Diese „könnten als Ausgangspunkt für biochemische Reaktionen dienen“, formulierten es die Wissenschaftler damals blumig. Handfeste Lebensbausteine wie Peptide oder Nukleotide waren aber nicht dabei.

Das Wasser auf der Erde kam wohl nicht aus Kometen des Tschuri-Typs

Auch bei der Frage, woher das Wasser auf der Erde kommt, trug Rosetta mehr zur Verwirrung als zur Klärung bei. Eine verbreitete Annahme lautete, dass die großen Mengen an Wasser nicht allein irdischen Ursprungs sind, sondern ein größerer Teil von außen kam – von Kometen. Analysen des Wassers auf Tschuri ergaben jedoch, dass es dreimal so viel Deuterium, also schweren Wasserstoff, enthält wie das Wasser in den Ozeanen der Erde. Kathrin Altwegg von der Universität Bern, die die Analysen geleitet hat, vermutet, dass das Wasser der Erde stattdessen von Asteroiden stammt. Sie betrachtet vor allem die Körper im äußeren Teil des Asteroidengürtels als mögliche Quellen. Diese hätten sowohl einen hohen Wasseranteil als auch einen Deuteriumanteil, der gut zu dem der Ozeane auf der Erde passt.

Neben zahlreichen Antworten, so scheint es, hat die Rosetta-Mission mindestens ebenso viele Fragen aufgeworfen. Sowohl bei der Esa als auch bei der Nasa gebe es verschiedene Missionsvorschläge, um Kometen weiter zu erforschen, berichten Spohn und Ulamec. Oben auf der Liste stehe der Wunsch, Kometenmaterial bis zur Erde zu bringen und es hier genau zu untersuchen. Entschieden ist darüber aber noch nicht.

Am 30. September soll Rosetta "impaktieren"

Die Sonde Rosetta arbeitet derweil weiter, misst und fotografiert – bis zum Missionsende am 30. September. Um ein Uhr mittags (MESZ) soll sie mit einer Geschwindigkeit von rund 20 Zentimetern pro Sekunde auf Tschuri aufsetzen. Nach Ansicht der Experten sei weder „Landung“ noch „Crash“ das passende Wort, erzählt Ulamec. Man habe sich auf „Impaktieren“ geeinigt. Jedenfalls werde die Parabolantenne bei diesem Manöver den Funkkontakt zur dann 719 742 176 Kilometer entfernten Erde endgültig verlieren.

Die Ausstellung ist noch bis zum 24. Januar 2017 im Naturkundemuseum Berlin zu sehen.

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