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Gucken und staunen. Die Installation des Künstlers Mark Dion im Martin-Gropius-Bau bildet den Auftakt zur „Weltwissen“-Ausstellung.

© Brigida González

Ausstellung: "Weltwissen" im Martin-Gropius-Bau

Bühne frei für die Wissenschaft: Verschiedene Künstler zeigen, wie sich die Forschung und ihre Objekte inszenieren lassen.

Es war so ein schöner Traum! Und man möchte ihn heute noch träumen – den Traum des Gottfried Wilhelm Leibniz vom „Theater der Natur und Kunst“. In diesem Ensemble aus Kunstkammern, Gärten, Laboratorien, Konferenzräumen und Raritätenkabinetten sollte alles versammelt sein, was Interesse hervorruft: von Automaten über Globen, seltene Pflanzen, Springbrunnen und Schiffe bis hin zu Zootieren. „Außergewöhnliche Konzerte. Seltene Musikinstrumente. Sprechende Trompeten. Porträts aus Edelsteinen nachgemacht“, schwärmt er in seiner Schrift „Drôle de pensée“ von 1675. „Die Représentation könnte beständig mit Geschichten und Komödien verbunden werden. Kämpfen. Schwimmen. Außerordentliche Seiltänzer. Salto mortale. Zeigen, wie ein Kind ein schweres Gewicht mit einem Faden heben kann.“

Berührungsängste, so viel steht fest, hatte der Philosoph und Gelehrte nicht. In seinen Augen war alles interessant, egal ob Produkt der Natur, der Kunst oder der Technik. Leibniz’ Vision eines „Theatrum naturae et artis“ besitzt auch heute noch große Faszinationskraft – jedenfalls beziehen sich fast alle großen Berliner Wissenschaftsausstellungen der letzten Jahre auf die Gedanken des Frühaufklärers zurück. Wie weckt man Neugier auf Wissenschaft, wie macht man sie erfahrbar, wie lockt man jüngere Generationen ins Haus? Mit einer Prise Leibniz – und einem Hauch Kunst- und Wunderkammer. Wissenschaft und Bühne, das passt zusammen und hat eine lange Tradition.

Die Schau „Weltwissen – 300 Jahre Wissenschaften in Berlin“ im Martin-Gropius-Bau (noch bis zum 9. Januar 2011) weckt vor allem mit der Installation des Künstlers Mark Dion im Lichthof, einem riesigen Regal voller Objekte aus Berliner Sammlungen, Erinnerungen an die königlichen Kunst- und Wunderkammern, von denen Leibniz sich inspirieren ließ. Aber die Leibnizschen Ideen standen auch schon Pate in der Ausstellung „Theater der Natur und Kunst – Wunderkammern des Wissens“, die 2000/2001 die Sammlungen der Humboldt-Universität zeigten, und in der Ausstellung „Anders zur Welt kommen“, die eine Ahnung vom künftigen Humboldt-Forum vermitteln sollte (2009 im Alten Museum).

Was ist es, was daran heute noch so fasziniert? Darüber lässt sich im Lichthof des Martin-Gropius-Baus, im Angesicht von Mark Dions Riesen-Regal mit seinen so unterschiedlichen, nur grob geordneten Objekten, gut nachdenken. Der Besucher kann die Objekte schlicht auf sich wirken lassen: Man könnte in Erfahrung bringen, worum es sich genau handelt, wie es funktioniert, wer es wann entdeckte oder baute – aber man kann es auch lassen. Hingucken reicht: dem Gehirn die Freiheit lassen, Bezüge herzustellen, ihm den Spaß am Assoziieren, am Vermuten, letztlich: am Spiel gönnen. Die Kunst, wie Mark Dion sie seit Jahren in seinen Installationen praktiziert, regt hier zur Wissenschaft an – oder macht zumindest Lust auf die dann folgende Ausstellung.

Vermutlich ist es eine Mischung aus vielen Elementen, die die alten Kunst- und Wunderkammern und das Leibnizsche Theater der Natur und Kunst heute attraktiv machen: das Spielerische, das stimulierende Chaos; das Staunen und Wundern als Anziehungskraft; die Zusammenschau von Kunst und Wissenschaft, die Anti-Spezialisierung, die Ausrichtung auf Schauspiel und Bühne. Aber allein darauf lässt sich Leibniz nicht reduzieren, wie der Kunsthistoriker Horst Bredekamp (Humboldt-Universität) betont: „Für Leibniz war das Staunen und die Analyse kein Widerspruch – ihm ging es um den genauen Blick aufs Objekt, um den systematischen Vergleich verschiedener Objekte.“ Ein „Training in der Konkretion“ also; von „verblasenen Abstrakta“ hielt der Mathematiker Leibniz wenig.

Wissenschaft auf die Bühne bringen, der Wissenschaft Bühnen bieten: Ansätze dazu gab es in Berlin schon in den Salons des ausgehenden 18. Jahrhunderts, wie der Historiker Andreas Daum im Katalog zur Weltwissen-Ausstellung schreibt. Vorlesungen berühmter Gelehrter in der Singakademie zogen später die Öffentlichkeit an, vor allem die Vorträge Alexander von Humboldts: Der Saal war mit über 800 Menschen – darunter viele Frauen – stets überfüllt. „So ein gemischtes Auditorium hat man nie gesehen“, bemerkt Alexanders Bruder Wilhelm fasziniert.

Vor allem gegen Ende des 19. Jahrhunderts ertönte immer lauter der Ruf nach einer Popularisierung von Wissenschaft. Anstoß war die Vielzahl von Erfindungen, die das Leben in der Stadt veränderten: elektrische Beleuchtung, Straßenbahn, Telefon. 1889 eröffnete die Urania in der Invalidenstraße: Als „Schaustätte zur naturwissenschaftlichen Anschauung und Belehrung“ bot sie eine Sternwarte, Projektionssaal, Bibliothek, einen physikalischen Experimentierraum und als Herzstück das „wissenschaftliche Theater“. Seine Bühne war mit Dioramen und Objekten ausgestattet, die Vortragenden zeigten Bilder und erläuterten dazu – laut National-Zeitung „oft in phantasievoller, blühender Sprache“ –, wie es beispielsweise zu einer Sonnenfinsternis kommt. Die Urania erfreute sich größter Beliebtheit: Im Jahr 1905 strömen bereits 220 000 Gäste dorthin.

Vom Leibnizschen Theatrum naturae et artis über die Urania bis zur Langen Nacht der Wissenschaften: Der Wunsch, Wissenschaft auch einer interessierten Öffentlichkeit nahe zu bringen, hat in 300 Jahren Berliner Wissenschaftsgeschichte ganz unterschiedliche Formen angenommen. Dass die Kunst- und Wunderkammern und die Leibnizschen Ideen wieder im Gespräch sind, ist vor allem dem Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp zu verdanken. Er hat die Ausstellung „Theater der Natur und Kunst – Wunderkammern des Wissens“ mit dem Mathematiker Jochen Brüning konzipiert und die Ausstellung „Anders zur Welt kommen“ mitkuratiert. In der Schau „Weltwissen“ war er beratend tätig, und er ist einer der Vordenker des Humboldt-Forums. Bredekamp sieht die Brüder Humboldt in der Tradition Leibniz’: Sie haben seinen Drang, alles zu erkunden, zur großen Form gebracht – von der Sprache der alten Ägypter bis hin zu den Fischen im Amazonas.

Den Traum, ein „Theatrum naturae et artis“ im Berliner Schloss aufbauen zu können, hat Leibniz nicht verwirklichen können. Vielleicht kann das Humboldt-Forum im wieder erbauten Schloss, Ausgangs- und Zielpunkt der Berliner Sammlungen, beide Aspekte des Leibnizschen Denkens – das Wundern und den genauen Blick – zum Leben erwecken. Auf jeden Fall dürfte es den Publikums-Ansturm geben, den Leibniz für sein Theater der Natur und Kunst voraussagte: „Alle respektablen Leute würden wünschen, diese Sehenswürdigkeiten gesehen zu haben, um darüber sprechen zu können. Auch Damen von Rang würden dorthin gebracht zu werden wünschen – und mehr als ein Mal.“

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