zum Hauptinhalt
Eine weiße Labormaus sitzt auf der Hand eines Labormitarbeiters und nagt an einem Futterstückchen.

© IMAGO

Debatte um Tierversuche: Sie brauchen die Maus

Die Forschung kann auf Tierversuche noch nicht verzichten. Dennoch tut sie sich schwer, das zu kommunizieren - und sucht gleichzeitig nach Alternativen, die den Tieren unnötige Leiden ersparen.

Als der Medizinrechtler Nils Hoppe ein Bild der Giraffe Marius zeigt, kommt Unruhe in den Einstein-Saal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften am Gendarmenmarkt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat zu einem Workshop über „Chancen und Grenzen“ von Tierversuchen nach Berlin eingeladen. Den ganzen Tag über sprachen Mediziner und Naturwissenschaftler – nun steht da Hoppe, eigentlich so eine Art „natürlicher Feind des Forschers“, wie er sich selbst vorstellt.

Hoppe beschäftigt sich an der Leibniz-Universität Hannover mit ethischen Fragen zur Arzneimittelforschung. Waren die bisherigen Redner für die „Chancen“ der Tierforschung zuständig, läutet Hoppe mit seinem Giraffenfoto die „Grenzen“ ein. Die Giraffe Marius wurde im Februar im Kopenhagener Zoo getötet und an die Zoo-Löwen verfüttert. Tausende empörten sich im Internet über den „barbarischen Zoodirektor“.

Ähnlich sei es bei Tierversuchen, sagt Hoppe. Die Öffentlichkeit reagiere mit „intuitiver Ablehnung“, die der Forscher unterschätze. Und auf die er zu spät reagiere. „Wir handeln oft ähnlich wie der Zoodirektor“, sagt Hoppe. „Erst machen, dann drüber reden.“ Die Folge ist eine Diskrepanz zwischen dem, was Wissenschaftler leisten und dem, was die Bevölkerung unter ihrem Tun versteht.

In den vergangenen Monaten hat sich die Kritik an Tierversuchen zugespitzt. Immer häufiger werden Forscher von Tieraktivisten mit Fahndungsplakaten denunziert oder gar mit Todesdrohungen eingeschüchtert. Eine schwerkranke italienische Patientin, die sich auf Facebook für den medizinischen Fortschritt durch Tierversuche bedankte, erhielt hunderte Beschimpfungen. „Wenn auch nur drei Mäuse gestorben sind, um dein Leben zu verlängern, hättest du meinetwegen schon mit 2 sterben können“, schrieb ein Aktivist.

Mäuse liegen mit 2,2, Millionen pro Jahr an der Spitze

Das vergiftete Klima wird durch ansteigende Versuchszahlen noch befeuert. In Deutschland gab es 2012 knapp 3,1 Millionen Versuchstiere, ein Anstieg um 5,8 Prozent, wie aus einer Statistik des Bundesagrarministeriums hervorgeht. Vor allem transgene Tiere nahmen zu, also Tiere, deren Erbgut zuvor manipuliert wurde. Ihr Anteil in der Forschung erhöhte sich von 25 auf knapp 30 Prozent. Die meisten Versuchstiere stellen 2,2 Millionen Mäuse.

Die Nager sind besonders gut für die Forschung geeignet. Sie brauchen nicht viel, vermehren sich schnell und wie beim Menschen ist ihr komplettes Erbgut längst entschlüsselt – und 95 Prozent sind gleich. Die biologische Nähe ermöglicht es Wissenschaftlern, Krankheitsbilder des Menschen an der Maus zu untersuchen. So gibt es zum Beispiel Mausmutanten, die Diabetes entwickeln oder denen Zellen des Abwehrsystems fehlen.

Auch Thomas Korff arbeitet mit Mäusen. Der Physiologe erforscht in Heidelberg krankhafte Veränderungen des Gefäßsystems, sei es bei Herz-Kreislauf-Beschwerden oder bei der Krebsbildung. Für seine schonenden Forschungsmethoden erhielt er den Ursula M. Händel-Tierschutzpreis (siehe Kasten), der im Rahmen des Workshops verliehen wurde.

Bislang beobachteten Forscher Gefäßveränderungen durch operative Eingriffe und mithilfe schmerzhafter Klammern auf dem Rücken der Mäuse. Korff wählte nun einen simplen wie effektiven Trick, um den Tieren Leid zu ersparen: Anstatt die Maus aufzuschneiden, schaut er ihr auf’s Ohr. Das ist dünnhäutig genug, um Adern wie auf einer Leinwand anzuzeigen. Korff bindet zum Beispiel eine Vene nahe der Ohrmuschel ab – eine Digitalkamera genügt, um die Änderungen der Blutgefäße in den Folgetagen festzuhalten. „Sich zu überlegen, wie man Forschungsmethoden verbessern kann“, sagt Korff, „das ist auch ein Ausdruck des Respekts vor dem Tier.“

Die Forschungsgemeinde arbeitet nach dem 3-R-Prinzip: Reduction, Refinement und Replacement – also dem Streben danach, Tierversuche zu reduzieren, in Richtung Tierwohl zu verfeinern und, wenn möglich, komplett zu ersetzen. Längst gibt es Methoden, die das Tier im Labor an vielen Stellen obsolet machen. Der Mediziner Jürgen Hochberger stellte das EASIE-Modell vor, ein Endoskopie-Simulator, der Eingriffe, die Ärzte oder Studenten bisher zum Beispiel am Schwein geübt haben, virtuell ermöglicht. Auch in 3-D-Druckern sieht Hochberger eine Chance, in Zukunft zum Beispiel krankhaft veränderte Organe für Schulungen zu erstellen, anstatt an Tieren zu üben. Trotz des Fortschritts müsse ein Humanmediziner jedoch auch weiterhin an Tieren lernen, „bevor er am Menschen Hand anlegen kann.“

Im Labor gezüchtetes Gewebe ist eine Alternative - mit Grenzen

Eine Abkehr vom Tier ist in vielen Forschungszweigen auch durch verbesserte Zellkulturen möglich. Bei den Methoden wird Gewebe gezüchtet und kann einen lebenden Organismus teilweise simulieren. Doch es gibt Grenzen.

Als 1957 das Schlafmittel Contergan auf den Markt kam, wurde sein enthaltener Wirkstoff Thalidomid zuvor nicht an trächtigen Tieren getestet. Die Einnahme bei Schwangeren führte zu erheblichen Missbildungen bei den Kindern, Medikamententests an Tieren wurde per Gesetz zur Pflicht. „Die Tatsache, dass wir bis heute keinen weiteren Contergan-Skandal haben“, sagt der Charité-Toxikologe Gilbert Schönfelder, „ist Tierversuchen geschuldet.“ Auch die Bundesregierung betont in ihrem Tierschutzbericht von 2010 die nach wie vor bestehende Notwendigkeit von Tierversuchen. Der Tierschutzbund hingegen fordert von der Bundesregierung, vermehrt in Alternativforschung zu investieren.

Heute mit Tieren forschen, um morgen ohne sie auszukommen

Die Kritiker fehlten auf dem DFG-Workshop. Die anwesenden Wissenschaftler waren sich daher einig: Tierversuche mögen nicht optimal sein, aber ohne sie geht es nicht. Genau hier liegt das Dilemma der Forschung. Jede Anstrengung, Tierversuche zu optimieren oder abzuschaffen, bedarf nach wie vor der Arbeit an Tieren. Damit die Wissenschaft morgen ohne Tiere auskommt, muss sie heute noch mit ihnen forschen.

Dies als notwendig darzustellen, müsse Aufgabe eines jeden Forschers sein, sagte der Medizinethiker Nils Hoppe am Ende seines Vortrags über die Verantwortung von Tierversuchen. Die Politik stehe immer im Spagat zwischen einer emotionalen Bevölkerung und der Expertise der Wissenschaftler. Sie könne nur dann die Forschung weiter unterstützen, wenn „wir deutlich machen, wann für Innovationen Grenzen überschritten werden müssen“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false