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Schleimhautprobe. Zellen der Mundschleimhaut sind eine ergiebige medizinische Informationsquelle.

© Franziska Gabbert/dpa

Digitale Medizin: Meine Gesundheitsdaten gehören mir

Pharmafirmen und Datenkonzerne wie Google machen Kasse mit Patienteninfos. Aber es gibt eine Alternative: Die Midata-Genossenschaft

Etwa eine Million Menschen haben bereits ihre Spucke nach Mountain View im Silicon Valley geschickt. Für einen vermeintlich günstigen Preis gewinnt die Firma „23andme“ daraus die enthaltene DNS und gewährt einen Einblick in das eigene Erbgut. Ein verlockender Service, der Auskunft über Krankheitsrisiken und andere erbliche Eigenschaften gibt.

Profit mit fremden Gendaten

Auch der Schweizer Genforscher Ernst Hafen schenkte seiner Familie vor zehn Jahren eine solche Genomanalyse. Doch seitdem ist der Wissenschaftler ins Grübeln gekommen. „Ich schätze Organisationen wie 23andme noch immer, aber deren Geschäftsmodell ist nun mal, mit unseren Daten Geld zu verdienen.“ Etwa 1,5 Milliarden Dollar Marktwert hat 23andme. Denn die Kunden willigen mit dem Einsenden ihrer Speichelprobe ein, dass ihre Erbgutdaten etwa an Forschungsinstitute oder Pharmafirmen weiterverkauft werden dürfen.

„Wir leben in einer Welt digitalen Feudalismus. Wir haben uns an kostenlose Apps gewöhnt, die unsere Daten umsonst bekommen“, sagt Hafen. Anbieter von Fitness- oder Gesundheits-Apps machen Kasse, indem sie gesundheitsrelevante Daten vom Blutzuckerspiegel bis zur Beweglichkeit und sogar Details über die Ernährungs- und Shoppinggewohnheiten sammeln und verkaufen. Längst ist die Datenflut für Firmen wie 23andme – gegründet von Anne Wojcicki, der Frau des Google-Gründers Sergey Brin – zur Goldgrube geworden.

Eine genossenschaftliche Alternative

Selbst wenn Forscher ohne finanzielle Interessen in den Daten einfach nur nach Zusammenhängen zwischen Genen und Volkskrankheiten wie Diabetes oder Fettsucht suchen wollen, bleibt der Mehrwert für den Bürger, den Patienten, der all diese Daten generiert, oft auf der Strecke. Hafens Antwort ist eine Alternative zum Datenmonopoly: das Genossenschaftsmodell „Midata.coop“. Gegründet in der Schweiz, hat inzwischen Kooperationspartner in den Niederlanden, England und nun auch in Deutschland. Als Bestandteil eines Konzepts offenen Datenaustauschs und bürgernaher Forschung will das Quest-Center des Berliner Instituts für Gesundheitsforschung (Berlin Institute of Health, BIH) das Midata-Konzept Hafens bis Frühjahr 2018 in einer Genossenschaft deutschen Rechts umsetzen.

„So wie jeder ein Konto für sein Geld hat, hat man mit Midata nun ein Konto für Gesundheitsdaten, Shopping- oder welche Daten auch immer“, sagt Hafen. Zwar steht die Infrastruktur bereits und hat auch schon alle Sicherheitstests bestanden. In der Schweiz kann man aber erst Anfang 2018 Genossenschaftsmitglied werden, in Deutschland hoffentlich rasch danach. Dann sollen die Mitglieder ihre Daten über Apps hochladen und jeder entscheidet selbst, für welche Zwecke er sie freigibt, für Forschung, für eine zweite Arztmeinung.

Über Apps können Mitglieder dann ihre Daten hochladen, bleiben aber uneingeschränkter Besitzer der Daten. Wer seine Daten oder einen Teil davon etwa für eine klinische Studie zur Verfügung stellen will, kann den Zugang freigeben.

Studien, die im Interesse der Patienten sind

Finanzieren soll sich die Kooperation, indem Firmen für die Datennutzung zahlen, die Zustimmung der Mitglieder vorausgesetzt. Das Geld fließt in den Aufbau und die Pflege der Infrastruktur. Die Überschüsse sollen genutzt werden, um etwa Forschungsprojekte zu ermöglichen, die Pharmafirmen aus welchen Gründen auch immer nicht erwägen.

Dass so etwas funktionieren kann, hat die US-Organisation „Patients like me“, die Patienten über ihre Website vernetzt, bereits 2011 gezeigt. 348 Patienten mit Amyotropher Lateralsklerose (ALS) fanden sich 2011 zusammen, um die Wirkung von Lithium-Karbonat auf den Krankheitsverlauf zu testen. Anhand der freiwilligen Angaben der Patienten stellte sich heraus, dass die Substanz nicht die erhoffte Wirkung auf ALS hat.

Große Bereitschaft zur Teilnahme

Auch Midata hat bereits eine Studie mit Fettsucht-Patienten gemacht, die nach einer operativen Verkleinerung des Magens mit Hilfe einer Smartphone-App befragt wurden. „Jeder stimmte zu, jeder!“, sagt Hafen. Daten über die Anzahl der Schritte pro Tag, das Gewicht und das Befinden wurden übertragen. „Sie wollten Teil dieser Studie sein und sendeten ihre Daten jeden Tag.“

„Wenn wir Input von den Patienten bekommen und sie in Langzeitstudien nicht mehr verlieren, dann können wir die Qualität unserer Forschung erhöhen“, sagt Ulrich Dirnagl, Schlaganfallforscher und Leiter des Quest-Centers, das die deutsche Version von Midata aufbaut. In einer ersten Studie, bei der Hochrisikopatienten mit einer Schlaganfall-Vorgeschichte und Herzschwäche über lange Zeit beobachtet werden sollen, sollen die Daten über Körpergewicht, Wohlbefinden und mehr mit einer Smartphone-App erhoben und auf die Midata-Plattform übertragen werden.

„Unsere Hypothese ist, dass die Patienten länger dabei bleiben, die an Midata teilnehmen, als jene, deren Daten wir bisher erhoben haben.“ Dirnagl sieht in dem „attraktiven“ Genossenschaftsmodell auch die Möglichkeit, die Perspektive von Patienten stärker in die Forschung einzubinden. „Das wollen viele, aber Midata ist ein niedrigschwelliges Werkzeug, um das Wirklichkeit werden zu lassen.“

Ein Recht auf eine Kopie der eigenen Daten

Hafen hofft, die klinische Forschung mit Midata auf neue Füße zu stellen. Will eine Pharmafirma in einer Krebs-Studie ein neues Medikament testen, wird diese Midata-Mitgliedern angeboten, deren Gesundheitsprofil passt. Nur diejenigen, die teilnehmen wollen, geben ihre Daten frei. „Dann geht man zum Arzt und fragt ihn, ob er die Studienbetreuung übernimmt“, sagt Hafen. „So können auch niedergelassene Ärzte gewonnen werden, so dass nicht mehr nur die großen Zentren mühsam die Patienten für die Studien sammeln, sondern die Patienten organisieren sich selbst.“ Hafen ist sich sicher, dass Pharmafirmen dieses System gern nutzen werden. „Jeder Tag, der vergeht, bis genug Patienten für eine Studie rekrutiert sind, ist ein Tag weniger Patentschutz. Für ein Medikament, das 3,65 Milliarden Euro Umsatz im Jahr macht, sind das pro Tag 10 Millionen Euro.“

Besonders wichtig ist Hafen, dass nicht mehr allein die Pharmafirmen Studienbedingungen diktieren. „Die Patienten bekommen eine Stimme“, sagt er. Voraussetzung ist, dass jede Firma, die personenbezogene Daten in einer App erhebt, oder jedes Krankenhaus, das Röntgenbilder oder Blutwerte sammelt, dem Betreffenden eine Kopie dieser Daten zur Verfügung stellt. Die Europäische Union hat dieses Recht in Artikel 20 der Richtlinien für die Erhebung persönlicher Daten festgeschrieben, die im Mai 2018 in Kraft tritt. Ob er in Deutschland umgesetzt wird, wird sich zeigen, in England setzt sich die Initiative „Claim your data“ dafür ein.

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