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Ein Kind mit Downsyndrom sitzt am Tisch und malt ein Bild.

© picture-alliance / BSIP/BL

Hilfe für Menschen mit Downsyndrom: Mit Medikamenten leichter und besser denken

Wie können Kinder mit Downsyndrom am besten auf ein möglichst selbstständiges Leben vorbereitet werden? Forscher erproben jetzt Mittel, mit denen sich geistige Fähigkeiten verbessern lassen.

Als ein Arzt dem Siebenjährigen erklärte, dass er das Downsyndrom habe, hatte der zwei Fragen: Bin ich dumm? Und kann ich in der Schule bleiben? Pablo Pineda Ferrer blieb. Er kehrte in die Schule zurück, wurde Grundschullehrer. Heute unterrichtet der 41-Jährige an der Uni Studenten in Psychologie. „Ich bin ein Glückspilz. Weil ich Lehrer hatte, die mich förderten“, sagt er im Youtube-Video. Ein Star ist der Spanier auch, weil er Hauptdarsteller eines Spielfilms ist: „Me too. Wer will denn schon normal sein?“

Menschen mit Downsydrom haben hohe Sympathiewerte

Eine provozierende Frage, zumal für einen Film, in dessen Mittelpunkt ein Mann mit einer Trisomie 21 steht. Und das in einer Zeit, in der die Möglichkeiten zur vorgeburtlichen Diagnostik immer besser werden, in der zu Ultraschall und Fruchtwasserpunktion auch der Präna-Test des mütterlichen Bluts gekommen ist. Einer Zeit, in der neun von zehn Frauen sich für einen Abbruch der Schwangerschaft entscheiden, wenn sie erfahren, dass das Ungeborene das Chromosom 21 dreimal in seinem Erbgut hat. „In unserer Gesellschaft gibt es zwei Entwicklungen nebeneinander“, sagt die Medizinethikerin Jeanne Nicklas-Faust, Geschäftsführerin der Lebenshilfe. „Einerseits nehmen vorgeburtliche Tests auf Downsyndrom zu, andererseits haben Menschen mit dem Downsyndrom hohe Sympathiewerte.“

Sie werden in Familie und Bildungssystem besser gefördert, und die medizinischen Probleme, unter denen sie häufig leiden, können deutlich besser behandelt werden, von Herzfehlern und Leukämien bis hin zur Unterstützung beim Hören und Sehen. Die Lebenserwartung hat sich immer mehr normalisiert. Umso stärker treibt Eltern die Sorge um, wie selbstständig ihre Kinder später werden leben können – mit ihren zum Teil beträchtlichen Schwierigkeiten, sich Neues einzuprägen, Fakten zu merken und sich in der Umgebung zu orientieren.

Hoffnung auf ein Alzheimer-Medikament

Alberto Costa hat ein Kind mit dem Downsyndrom. Für den Neurowissenschaftler von der Universität Cleveland, Ohio, war die Geburt seiner Tochter Tyche auch beruflich ein Einschnitt. Er hat sich seitdem ganz der Frage gewidmet, wie man in den Stoffwechsel des Gehirns eingreifen könnte, um Menschen wie ihr das Denken zu erleichtern. Seine Hoffnung ist das Alzheimer-Mittel Memantin. Es greift normalisierend in das Glutamat-System ein. Der Botenstoff Glutamat stört bei Alzheimer, aber auch beim Downsyndrom durch Übereifer. Nach kleineren Vorstudien, die Hinweise lieferten, dass Memantin dem sprachlichen Gedächtnis aufhilft, testen Costa und seine Arbeitsgruppe es jetzt bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit dem Downsyndrom. Mitte 2018 ist mit den Ergebnissen zu rechnen.

Ethische Diskussion, ob und wann Kinder in die Studien einbezogen werden

Dass man dem kranken Herzen eines Kindes mit Downsyndrom mit modernsten medizinischen Methoden zu Hilfe kommen darf, ist für niemanden eine Frage. Aber dem Kopf? Steckt in ihm nicht die Persönlichkeit? „Wie viel Normalität darf man sich für ein behindertes Kind wünschen? Wie viel Anderssein muss man aushalten?“, fragte die Journalistin Stefanie Flamm, Mutter eines kleinen Jungen mit Trisomie 21, kürzlich in einem viel beachteten Beitrag in der „Zeit“. Gehört nicht der niedrige IQ ebenso zu ihrem Kind wie sein freundliches, zugewandtes Wesen? „Wäre weniger Downsyndrom nicht auch weniger Oskar?“, fragt seine Mutter.

Und es gibt weitere Fragen. Darf man Minderjährige, die noch nicht selbst ihr Einverständnis zur Teilnahme an einer Studie geben können, und Menschen, denen ihre Behinderung das nicht erlaubt, in solche Untersuchungen einbeziehen? Das deutsche Arzneimittelgesetz sieht es als triftigen Grund an, wenn das zu testende Mittel der Person selbst Nutzen beim Kampf gegen eine Krankheit verspricht. Erfüllen geistige Defizite dieses Kriterium? Unbestritten ist, dass Kinder zu den verletzlichen Personen gehören, die nach der Deklaration von Helsinki besonderen Schutz genießen. „Sie sollten erst in Studien einbezogen werden, wenn schon an Erwachsenen nachgewiesen ist, dass das dahinterstehende Konzept funktioniert“, sagt Jeanne Nicklas-Faust.

Gedächtnisleistungen sollen verbessert werden

Dieser Wirksamkeitsnachweis ist für die Einflussnahme auf einen anderen Hirnbotenstoff im Tierversuch schon erbracht, die Gamma-Aminobuttersäure, kurz Gaba. Der Neurotransmitter bremst Aktivitäten des Gehirns vor allem im Bereich des Hippocampus, der für das Gedächtnis wichtig ist. Schon vor einigen Jahren kam die Idee auf, Gedächtnisleistungen zu verbessern, indem man Gaba daran hindert, an der Oberfläche von Nervenzellen anzudocken. Die Blockade der entsprechenden Antennen führte bei Versuchstieren allerdings zu Nebenwirkungen wie Ängsten. Nicht erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Tranquilizer aus der Gruppe der Benzodiazepine Entspannung auslösen, indem sie umgekehrt die Signale von Gaba fördern.

Eine Arbeitsgruppe um Carmen Martinez-Cué von der Universität Cantabria im spanischen Santander und Maria-Clemenica Hernandez von der Pharmafirma Hoffmann-La Roche in Basel versuchte ihr Glück deshalb mit einem Gaba-Rezeptor-Modulator, der feinfühliger in den Hirnstoffwechsel eingreift. Sie arbeiteten mit Mäusen, die eine der Trisomie 21 des Menschen vergleichbare Chromosomenveränderung trugen. Die Tiere bekamen zum Beispiel die Aufgabe, in einem Becken mit trübem Wasser erhöhte Podeste zu finden, von denen aus sie aus dem Wasser entweichen konnten.

Im Tierversuch konnten behandelte Mäuse Aufgaben besser lösen

Im Februar 2013 konnten die Forscherinnen im „Journal of Neuroscience“ mitteilen, dass die Mäuse, in deren Kakao das Mittel gemischt worden war, die Aufgaben zum räumlichen Lernen und zum Gedächtnis erkennbar besser gelöst hatten als die Tiere aus der Vergleichsgruppe, die nur in den Genuss des süßen Getränks gekommen waren.

Forschergruppen testen einen neuen Wirkstoff an jungen Erwachsenen

Inzwischen haben verschiedene Forschergruppen im Auftrag der Firma den Wirkstoff RG 1662 (der inzwischen den Namen Basmisanil trägt) in den USA und in Großbritannien zunächst an jungen Erwachsenen ohne und danach an solchen mit Downsyndrom getestet, in einer kleineren Studie in London Veränderungen im Hirnstoffwechsel mit speziellen Hirnscan-Untersuchungen (funktioneller Magnetresonanztomografie und Positronen-Emissions-Tomografie) sichtbar gemacht und die Brauchbarkeit einschlägiger Tests zur Leistungssteigerung überprüft. Derzeit läuft in Argentinien, Kanada, Frankreich, Italien, Mexiko, Neuseeland, Singapur, Spanien, Großbritannien und den USA eine weitere Untersuchung unter dem Namen „Clematis“. 180 Teilnehmer zwischen zwölf und 30 Jahren nehmen über 26 Wochen zweimal täglich eine Tablette ein. Zwei Gruppen bekommen Basmisanil in unterschiedlicher Dosierung, eine Gruppe nimmt ein Scheinpräparat.

Auch Menschen mit anderen Störungen hoffen auf die Forschung

Das kleine Biotechnologie-Unternehmen „Balance Therapeutics“ untersucht derweil die Sicherheit und Wirksamkeit eines ähnlichen Wirkstoffs an 90 jungen Erwachsenen mit Downsyndrom. Es habe sich gezeigt, dass die durch die Trisomie verursachten Schäden im Gehirn nicht so schwerwiegend seien wie ursprünglich angenommen und dass Defizite eher aufgrund von geringeren Veränderungen in den Gehirn-Schaltkreisen entstehen, sagte der Neurowissenschaftler Craig Garner, einer der Mitbegründer der Firma, der Zeitschrift „Leben mit Down-Syndrom“.

„Viele Menschen hoffen auf diese Forschung“, sagt Nicklas-Faust. Dazu gehören auch Personen mit anderen Störungen, etwa dem Fragilen X-Syndrom, bei dem die Mutation eines Gens auf dem X-Chromosom geistige Beeinträchtigungen verursacht.

Physiotherapie, Logopädie und Lernförderung bleiben wichtig

Noch fehlen die Ergebnisse, doch eines steht schon fest: Vom Eingriff in den Hirnstoffwechsel ist vernünftigerweise keine Heilung der Trisomie 21 zu erwarten – schon weil die gesundheitlichen Probleme, die aus dem zusätzlichen Chromosom im Körper resultieren, vielgestaltig sind. Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie und schulische Förderung werden auf jeden Fall wichtig bleiben.

Und pädagogische Forschung wie die von André Frank Zimpel, der am Institut für Behindertenpädagogik der Uni Hamburg nach Unterrichtsmethoden sucht, die wissenschaftlichen Befunden Rechnung tragen. „Wir haben herausgefunden, dass Menschen mit Trisomie 21 nur zwei Dinge simultan erfassen können“, berichtet Zimpel. Stürzt mehr auf sie ein, sind sie überfordert.

Die Betroffenen sollten Mittel selber als Hilfe empfinden

Gerade hat der Erziehungswissenschaftler seine Ergebnisse beim 12. Down-Syndrom-Weltkongress im indischen Chennai vorgestellt – und mit Interesse die Vorträge zur Medikamentenentwicklung angehört. „Ich stehe dieser Entwicklung sehr aufgeschlossen gegenüber. Wichtig ist aber, dass die Betroffenen selbst die Mittel als Hilfe empfinden und dass nicht andere sie ihnen geben, weil sie mit ihnen unzufrieden sind.“ Wissenschaftlich fundierte Didaktik und Medikamente, die Hirnfunktionen abwandeln, könnten im besten Fall eines Tages zusammenwirken, um Menschen mit einer Trisomie 21 ein wenig leichter und besser denken und ein wenig selbstständiger leben zu lassen. Nichts ist normaler als ein solches Ziel.

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