zum Hauptinhalt
Klima

© Ullstein

Klimaforscher Jochem Marotzke: "Nur Platz für zehn Milliarden Menschen"

Der Klimaforscher Jochem Marotzke fordert Geburtenkontrolle und die Abkehr vom Atomausstieg.

Herr Professor Marotzke, im Wochentakt erscheinen neue Studien aus der Klimaforschung. Es scheint, als hätten die Wissenschaftler die größten Fragen längst gelöst. An welchem Punkt auf einer Skala von 1 bis 100 stehen sie denn wirklich?

In einigen Bereichen sind wir nahe bei 100. Zum Beispiel mit der Aussage, dass es wärmer werden wird, das haben Statistiken schon jetzt gezeigt. Wir sind uns auch sehr sicher – hier würde ich sagen so etwa mit 80 Prozent –, dass die Erdatmosphäre infolge der Erwärmung auch mehr Wasserdampf enthalten wird. Dieser Dampf ist ebenfalls ein Treibhausgas und wird den Effekt weiter verstärken. Auch die Wolken beeinflussen das Klima, aber wie genau, das wissen wir noch nicht. Da stehen erst wir zwischen 30 und 50 Punkten. Und: Wir wissen nicht, wie sich der Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) in den nächsten Jahrzehnten entwickelt. Deshalb können unsere Prognosen zur Erderwärmung nur einen Bereich zwischen zwei Extremwerten angeben, aber niemals eine konkrete Zahl.

Zurzeit wird erforscht, ob man CO2 in Kohlekraftwerken auffangen und im Untergrund einlagern kann. Ist das ein Weg, den wir verfolgen sollten?

Ja, schon deshalb, weil es kaum Alternativen gibt. Wir können es uns nicht leisten, bestimmte Maßnahmen zum Klimaschutz von vornherein auszuschließen. Gerade bei Kohle, die als heimischer Energieträger für die Versorgungssicherheit eine große Rolle spielt. Ob und wie schnell es möglich sein wird, mit dieser Technologie einen wirksamen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, ist eine andere Frage.

Deutschland hat sich hohe Klimaziele gesetzt: Bis 2020 soll der Ausstoß von Treibhausgasen gegenüber 1990 um 40 Prozent sinken. Brauchen wir die Kernenergie, um das zu schaffen?

Mit Kernenergie allein werden wir das Klima nicht schützen können. Es würde Jahrzehnte dauern, bis diese Technologie einen deutlich größeren Anteil an der Energieversorgung haben würde. Für sich allein genommen kann sie das Problem gar nicht lösen. Als eine von mehreren Maßnahmen für den Klimaschutz halte ich sie aber schon für wichtig. Es ist äußerst unklug, die Kernkraftanlagen, die es hier in Deutschland gibt, vorzeitig abzuschalten. Sie sind nun einmal da, und gerade die moderneren haben hohe Sicherheitsstandards. Jetzt zu sagen: Wir schalten sie ab – das halte ich für völlig verkehrt. Schließlich muss man die Energie dann auf anderem Wege klimafreundlich erzeugen. Die Frage, ob man neue Kernkraftwerke bauen sollte, ist schwieriger zu beantworten. Ich neige hier mittlerweile zu einem vorsichtigen „Ja“.

Technische Lösungen sind eine Seite. Müsste man nicht auch etwas gegen die Überbevölkerung unternehmen? Schließlich wird der Klimawandel vor allem durch die Anzahl der Menschen und deren Lebensweise vorangetrieben.

Das ist ungeheurer wichtig. Nicht nur vom Klimastandpunkt aus. In vielen Ländern hat sich gezeigt, dass auch die Lebensqualität deutlich zunimmt, wenn es gelingt, die Geburtenrate zu senken. Man muss aber auch klar sagen, dass die strikte Haltung der katholischen Kirche gegen Empfängnisverhütung ein großes Hindernis ist. Das erzeugt einen Riesenkonflikt mit dem Auftrag, die Schöpfung zu bewahren – wenn man es mal religiös ausdrücken will. Die Erde hat nur für eine bestimmte Anzahl von Menschen Platz, zumindest wenn deren Leben sicher, angenehm und ohne großen Stress sein soll.

Wie viele Menschen verkraftet die Erde?

Spätestens bei zehn Milliarden wird es eng. Vermutlich vorher. Ich muss aber sagen, dass ich hier ein bisschen im Kaffeesatz lese und die Zahl nur eine grobe Schätzung ist. Eine Stabilisierung auf deutlich unter zehn Milliarden halte ich aber für erstrebenswert. Wenn wir das hinkriegen, wäre es ein großer Erfolg.

Selbst wenn die Zahl der Menschen nur moderat zunimmt: Werden wir Einschnitte beim Lebensstandard hinnehmen müssen, um den Planeten nicht über Gebühr zu strapazieren?

Ich denke, wir können es ohne allzu große Einschnitte schaffen. Es gibt allerdings sehr verschwenderische Verhaltensweisen, die müssen dringend geändert werden. Zum Beispiel der individuelle Autoverkehr. Man kann auch eine hohe Lebensqualität erreichen, ohne Auto zu fahren. Dass jeden Tag viele Menschen allein mit dem Auto zur Arbeit fahren, das lässt sich nicht durchhalten. Und es ist nötig, dass wir die Energieeffizienz noch wesentlich steigern. Aber wir müssen den Menschen auch Zeit geben, sich umzustellen. Ich bin skeptisch bei Versuchen, die Askese predigen – nach dem Motto: Wir müssen verzichten, um die Welt zu retten. Die funktionieren nicht. Mit Verzichtsstrategien erreicht man nur einen geringen Teil der Bevölkerung. Um etwas für den Klimaschutz zu tun, braucht man Mehrheiten.

Und dieser von Ihnen beschriebene Standard ist für alle acht Milliarden Menschen, die 2025 voraussichtlich auf der Erde leben werden, möglich?

Es erfordert enorme Anstrengungen, um das für alle zu ermöglichen, und das wird nicht bis 2025 gelingen. Aber auf lange Sicht bin ich optimistisch. In der westlichen Welt müssten wir dafür unseren CO2-Ausstoß auf etwa ein Fünftel herunterschrauben. Ein Problem sind allerdings Schwellenländer wie China oder Indien. Sie sagen, die wirtschaftliche Entwicklung sei ihnen wichtiger als Klimaschutz. Um da politisch einhaken zu können, ist von den Industrieländern eine Vorreiterrolle notwendig. Wir müssen zeigen, dass es technisch möglich ist, das Klima zu schützen und eine hohe Lebensqualität zu erreichen. Entsprechende Technologien dafür sind auch ein Exportgut und bieten damit wirtschaftliche Chancen für die Industrieländer.

Sie meinen die Nutzung erneuerbarer Energien?

Ja. Ein Beispiel: Die Nutzung der Windenergie wurde in Deutschland jahrelang subventioniert – und ist mittlerweile ein Exportschlager geworden. Diese Innovationskraft sollte auf andere Bereiche ausgedehnt werden, etwa die Abtrennung von Kohlendioxid in Kohlekraftwerken. Natürlich kostet das erst mal Geld. Aber wir als Industrieländer haben auch eine Verpflichtung, solche neuen Ideen auszuprobieren.

Das Gespräch führte Ralf Nestler.

Jochem Marotzke (48) ist Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg und Mitautor des Klimaberichts der Vereinten Nationen, der im vergangenen Jahr erschienen ist.

Zur Startseite