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Wüstes Ende. Die Dinosaurier wurden vermutlich durch einen riesigen Asteroiden ausgelöscht.

© SciencePhotoLibrary

Massenaussterben: Der tote Planet

Fünf Mal wurde das Leben auf der Erde fast ausgelöscht. Forscher streiten über die Ursachen – und ob ein sechstes Artensterben schon im Gang ist.

Manchmal erscheint der Tod in strahlendem Gelb. Zum Beispiel im Nordosten Mexikos. Dort tritt eine markante Schicht Kalkstein zutage. Sie zeugt von einer der größten Katastrophen der Erdgeschichte, die das Leben nahezu auslöschte. In der Schicht finden sich Glaskügelchen, wenige Millimeter groß, etwas grünlich verwittert. Es sind erstarrte Tropfen geschmolzenen Gesteins, entstanden, als ein zehn Kilometer großer Asteroid vor 65 Millionen Jahren nahe der heutigen Ortschaft Chicxulub Puerto in die Karibik stürzte.

Gewaltige Erdbeben, Hitzepulse und Tsunamis waren die Folge. Über tausende Kilometer regnete es Gestein vom Himmel, das der Asteroid aus dem Untergrund gesprengt hatte, oft war es sogar geschmolzen. Die gesamte Erde war eingehüllt in eine dicke Staubwolke, die das Sonnenlicht blockierte. Die Temperatur fiel über Jahre um rund zehn Grad Celsius. Die Ökosysteme waren überfordert, der blaue Planet war mit einem Mal dunkel, kalt – und weitgehend tot. Drei Viertel aller Arten starben aus, darunter die schneckenartigen Ammonoideen im Meer und die Dinosaurier.

So jedenfalls sehen das der Geowissenschaftler Peter Schulte und viele seiner Kollegen. Er hat sich intensiv mit dem Massenaussterben am Ende der Kreidezeit beschäftigt und ist Hauptautor der bisher umfassendensten Analyse zu dem Thema, die vor einiger Zeit im Fachblatt „Science“ erschien. Es ist nicht die einzige Apokalypse in der Erdgeschichte. Fünf große Massenaussterben haben Forscher aus der Abfolge von Fossilien herauslesen können. Das Ende der Dinosaurier ist das jüngste von ihnen – und das am besten erforschte.

Dennoch streiten Wissenschaftler auch hier noch immer über die Ursachen. Schultes Doktorvater etwa, Wolfgang Stinnesbeck von der Universität Heidelberg, vertritt ein andere These: Aus zahlreichen Vulkanen im heutigen Indien quollen am Ende der Kreidezeit gewaltige Mengen Magma und bildeten dort die mächtigen dunkelgrauen Basalte von Dekkan. Die Gase, die aus den Schloten drangen, veränderten das Klima und setzten der Lebewelt erheblich zu. Die auf diese Weise „vorgestressten“ Ökosysteme wurden von einem Asteroidentreffer völlig ins Verderben gestürzt, argumentiert Stinnesbeck.

„Es war aber nicht der Einschlag von Chicxulub, da irren Schulte und Kollegen“, sagt er. Stinnesbeck beruft sich auf eine Bohrung nahe Mérida auf Yucatán. Sie fand in 1500 Metern Tiefe die typische „Impakt-Schicht“, zu erkennen an einem wilden Gemenge von Gesteinsbruchstücken. Auch das Ende der Kreidezeit war erkennbar. (Forscher nutzen winzige Lebewesen wie Foraminiferen, kalkschalenbildende Meeresbewohner, um Gesteinsschichten zeitlich einzuordnen.) „Aber dazwischen befindet sich ein halber Meter Kalkstein, der unter ruhigen Bedingungen im Meer gebildet wurde.“ Um diese Schicht so mächtig werden zu lassen, seien mindestens 300 000 Jahre nötig gewesen. Der Einschlag von Chicxulub kann die Dinos nicht ausgerottet haben, er kam viel zu früh, folgert Stinnesbeck.

Er glaubt, dass der berühmte Asteroid, viel mehr aber noch die Vulkanausbrüche in Indien die Erde über einen längeren Zeitraum gestresst haben. „Bei den Eruptionen wurde zehnmal so viel Kohlendioxid freigesetzt, wie heute in der Atmosphäre enthalten ist“, sagt er. Die Temperatur in den Ozeanen habe gemäß fossiler Hinweise um vier Grad zugenommen. „Wenn man das für das Festland umrechnet, kommt man auf ein Plus von zwölf bis 15 Grad.“ Meeresströmungen, Vegetation – nichts war mehr wie zuvor. Und dann machte es Peng! Zum zweiten Mal. Wieder krachte ein Asteroid auf die Erde und machte dem Leiden ein Ende. „Den Krater haben wir noch nicht entdeckt, doch der Einschlag ist weltweit an erhöhten Iridiumgehalten in den Sedimentschichten jener Zeit zu erkennen“, sagt Stinnesbeck. Das auf der Erde selten vorkommende Element gilt als Hinweis auf einen Asteroideneinschlag.

Schulte hält dagegen: „In der Nähe des Chixculubkraters sind die Schichten ziemlich durcheinandergewirbelt, da sollte man sehr vorsichtig sein. “ In weiter entfernten Sedimenten fehle die rätselhafte Kalklage, die von der Bohrung zutage gebracht wurde, sagt er. Stattdessen fanden die Forscher etwa im Südatlantik und im Pazifik exakt die Abfolge, die zur Impakt-Theorie passt: Gesteinsglas und von Hitze veränderte Kalke, gefolgt von einer Schicht mit hohem Iridiumgehalt. Einen schlüssigen Beweis, was das Ende der Dinosaurier verursacht hat, wird es so bald vermutlich nicht geben. Vielleicht sogar niemals.

Dass solche Massenaussterben das Leben auf der Erde gezeichnet haben, ist dagegen unbestritten. Biologen schätzen, dass zwischen 95 und 99 Prozent aller jemals auf der Erde entstandenen Arten längst wieder ausgestorben sind. Rund drei Viertel davon verschwanden während der fünf großen Aussterbewellen von der Bildfläche. Genaue Zahlen sind schwer zu ermitteln. Selbst von den heute lebenden Spezies ist nur ein Bruchteil erfasst. Bei Lebewesen der Urzeit kommt erschwerend hinzu, dass Paläontologen nur diejenigen erforschen können, die Hartteile gebildet und so die Jahrmillionen überdauert haben. Schlechte Karten also für Quallen & Co.

Da die Urzeitkatastrophen Millionen Jahre zurückliegen, sind die Hinweise zwangsläufig lückenhaft. Das bietet viel Raum für Spekulationen. So behaupten manche Wissenschaftler, tödliche Viren hätten die Dinosaurier ausgerottet. Andere glauben, die Tiere seien verhungert, weil ihre Verdauung nicht mit den Blütenpflanzen zurechtkam, die sich damals ausbreiteten. Auf der anderen Seite haben Forscher die Asteroidentheorie auch auf andere Massenaussterben übertragen, etwa die Sterbewellen am Ende des Devons (vor 359 Millionen Jahren) und des Perms (vor 251 Millionen Jahren). Das ist aber sehr umstritten.

Die Katastrophe am Ende des Devons geht vermutlich auf einen Sauerstoffverlust im Ozeanwasser zurück. Möglicherweise wuchs damals so viel Biomasse heran, dass die Weltmeere „umkippten“. Andere Forscher vermuten, dass das sauerstoffarme Wasser aus der Tiefsee kam und in die lebensreichen Flachwasserzonen schwappte. Die Vorgänger heutiger Fische und Schnecken und viele weitere Tiere erstickten und sanken zu Boden. Davon zeugen dunkle Kalksteine, die unter anderem im Kellwassertal im Harz zu sehen sind. Lediglich extrem robuste Bakterien dürften den Todesschwall nahe den Küsten überlebt haben. Neue Studien deuten darauf hin, dass es damals aber nicht ein umfassendes Massensterben gab, sondern mehrere Phasen, die sich über einige Jahrmillionen hinzogen.

Auch der Artenschwund am Ende des Perms besteht nach neueren Erkenntnissen aus mindestens zwei Todeswellen. Sie gehen wahrscheinlich auf gewaltige Vulkanausbrüche im heutigen Sibirien zurück. An Land entwickelte sich ein Treibhausklima, die Ozeane versauerten, wurden teilweise giftig. Möglicherweise lösten sich durch steigende Wassertemperaturen große Methanvorkommen im Ozean auf, gelangten in die Atmosphäre und ließen dort als Treibhausgas die Temperatur weiter steigen. Tausende Arten gingen für immer verloren, darunter spezielle Korallenformen, die bis dato gewaltige Riffe aufgebaut hatten, Seeskorpione und viele Insekten. Es war das verheerendste Massenaussterben. Schätzungen zufolge überlebten lediglich fünf Prozent der Meeresbewohner und etwa ein Drittel der Landbewohner die Katastrophe.

Neuere Forschungsergebnisse zeigen aber auch, wie rasch die Lebewelt damals wieder aufblühte. „Die Lehrmeinung besagte, dass die Fauna fünf Millionen Jahre benötigte, um sich vollständig zu erholen“, sagt Carlo Romano von der Universität Zürich. „Neue Funde sowie revidierte Zuordnungen bekannter Fossilien haben das Bild verändert.“ Vor allem Amonoideen haben sich sehr rasch erholt und viele neue Arten hervorgebracht, berichteten er und Kollegen kürzlich in „Nature Geoscience“.

So bringt der Tod letztlich neues Leben hervor. „Bei einem Massenaussterben werden ökologische Nischen frei, die dann von neuen Arten besetzt werden können“, sagt Axel Meyer, Evolutionsbiologe an der Uni Konstanz. „Der Massenexitus der Dinosaurier hat wesentlich den Erfolg der Säugetiere erleichtert.“ Und damit des Menschen.

Doch der verursacht nun das sechste große Artensterben, glaubt Meyer. „Der Mensch verändert weltweit das Klima, zerstört Lebensräume, verbreitet Krankheiten und invasive Spezies. Das löscht viele Arten aus“, sagt er. „Wenn man sich anschaut, welch enorme Schäden Homo sapiens in gerade einmal 50 oder 100 Generationen angerichtet hat, insbesondere in den letzten zwei bis drei, lässt sich erahnen, wie die Entwicklung weitergeht.“ Sie werde umso dramatischer, wenn das Wachstum der menschlichen Bevölkerung nicht endlich verlangsamt – oder besser noch: gestoppt – werde, sagt Meyer.

Anthony Barnosky von der Universität von Kalifornien in Berkeley kommt zu einem ähnlichen Schluss. In „Nature“ analysierten er und Kollegen Geschwindigkeit und Umfang des gegenwärtigen Aussterbens. Dafür verglichen sie paläontologische Daten mit Werten der „Roten Liste“ für bedrohte Arten. Die Rate, mit der zurzeit Spezies verschwinden, liege deutlich über dem Durchschnitt vergangener Epochen, schreiben sie. Ein Massenaussterben im geologischen Sinne ist es trotzdem noch nicht. Dafür wäre ein Artenverlust von rund 75 Prozent nötig, bisher sind es „nur“ ein oder zwei Prozent. Doch die Zahl könnte in wenigen Jahrhunderten emporschnellen, glaubt Barnosky.

Welche Arten dann überleben, kann niemand genau vorhersagen. Aber es gibt Eigenschaften, die die Chancen erhöhen. Dave Hone von der Universität Bristol hat sie einmal für den „Guardian“ zusammengetragen. Kleine Tiere haben es besser: Sie bilden größere Populationen mit größerer genetischer Vielfalt und vermehren sich schneller, was bei der Anpassung hilft. Generalisten sind besser dran als Spezialisten, das betrifft sowohl den Lebensraum als auch die Ernährung, klar. Und man sollte biologischen Stress gewohnt sein: Wer auch im schmutzigen Wasser leben kann und stundenlang bei extremen Temperaturen durchhält, könnte am Ende der Gewinner sein.

Gute Chancen für den Menschen, könnte man denken. Der Evolutionsbiologe Meyer sieht das anders. „Säugetierarten halten im Schnitt zehn Millionen Jahre durch, bevor sie von anderen verdrängt werden. Ich bin sicher, dass Homo sapiens das nicht schaffen wird.“ Dafür sei die Art viel zu egoistisch und zu unkooperativ. „Die Vorstellung, die Menschheit würde an einem Strang ziehen, um die offensichtliche Zerstörung des Planeten abzuwenden, ist illusorisch. Das zeigen schon die vielen Umwelt- und Klimakonferenzen, die am Ende doch kein nennenswertes Ergebnis erzielen.“ So zerstöre der Mensch weiter seine Lebensgrundlage und irgendwann sich selbst. Am Ende könnten nicht die Massen aussterben, sondern der Mensch.

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