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Zerklüftet. Diese mikroskopische Aufnahme zeigt einen Schnitt durch einen aus Stammzellen erzeugten Miniaturmagen. Zur Oberfläche hin (oberer Bereich) bilden die Magenzellen tiefe Taschen, wie sie typisch für Drüsengewebe sind.

© Kyle McCracken

Miniaturorgane erleichtern Medikamententests: Bonsai-Mägen sollen helfen, Krebs zu besiegen

Forscher haben aus Stammzellen stecknadelkopfgroße Mägen gezüchtet. Damit können keine kranken Mägen ersetzt aber Medikamente getestet und die Ursache von Krankheiten erforscht werden.

Magenleiden machen vielen Menschen zu schaffen. Das betrifft nicht nur Krankheiten wie Magengeschwür oder Magenkrebs. Das medizinische Interesse an dem Verdauungsorgan ist in den letzten Jahren auch deshalb gewachsen, weil der Magen als hormonbildendes Stoffwechselorgan erkannt wurde, das etwa bei der Zuckerkrankheit Diabetes mellitus eine Rolle spielt. Inzwischen ist es geglückt, im Labor stecknadelkopfgroße menschliche Minimägen zu züchten, an denen sich künftig Krankheiten studieren und Medikamente testen lassen werden. James Wells vom Cincinnati Children’s Hospital Medical Center und sein Team benutzten für die Zucht der als Organoide bezeichneten Minimägen embryonale Stammzellen und Zellen aus der menschlichen Vorhaut, die zu Stammzellen zurückprogrammiert wurden. Stammzellen sind besonders urtümliche Zellen, die sich in alle (pluripotente Stammzellen) oder viele Gewebearten (multipotente Stammzellen) entwickeln können.

Erst Darm dann Mägen

Wie Wells im Fachblatt „Nature“ berichtet, schaffte er es Schritt für Schritt, innerhalb eines Monats mit Hilfe von wachstumsfördernden Eiweißmolekülen aus den urtümlichen Stammzellen Magen-Organoide heranzuziehen. Dazu war es nötig, in der Petrischale die menschliche Embryonalentwicklung nachzuahmen. Zuvor war es Wells bereits geglückt, Darm-Organoide zu züchten.

„Wir haben entdeckt, wie man ein dreidimensionales Magengewebe mit komplexer Architektur und zellulärer Zusammensetzung hervorbringt“, sagte Wells einer Pressemitteilung zufolge. Das sei auch deshalb wichtig, weil es beim Magen erhebliche Unterschiede zwischen Mensch und Maus gebe. Dies mache es schwierig, Experimente mit Mäusen auf den Menschen zu übertragen.

In einem zweiten Schritt infizierten die Wissenschaftler Organoide mit dem für das Magengeschwür ursächlichen Bakterium Helicobacter pylori. Innerhalb von 24 Stunden riefen die Bakterien, mit denen etwa 50 Prozent der Menschheit infiziert sind, erhebliche Veränderungen im Magengewebe hervor. Dabei wurde auch das krebsfördernde Gen c-Met „angeschaltet“.

Zwei Wochen bis zum Minimagen

Die Forscher hoffen, mit ihren Miniaturmägen die normale Entwicklung des Verdauungstrakts ebenso wie krankhafte Prozesse besser verstehen zu können. Zudem können nun weitere „Bonsai-Organe“ gezüchtet werden, die sich von dem im Fetus vorhandenen Vorderdarm ableiten, darunter Lunge und Bauchspeicheldrüse.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Sina Bartfeld, Stammzellforscherin am Hubrecht-Institut im holländischen Utrecht. Bartfeld und ihr Team haben Minimägen aus mageneigenen menschlichen Stammzellen gezüchtet und darüber vor kurzem im Fachblatt „Gastroenterology“ berichtet. Die Stammzellen des Magens sorgen für ständigen Nachschub an Zellen. Die Forscher gewannen sie aus Mägen von Patienten, denen das Organ aufgrund einer Krebserkrankung entfernt worden war. Aus Sicht von Bartfeld haben die Minimägen aus mageneigenen „multipotenten“ Stammzellen einige Vorteile gegenüber solchen aus urtümlicheren „pluripotenten“ Stammzellen. Sie lassen sich schneller züchten, nämlich in zwei Wochen. Zudem ist es möglich, mithilfe der Organoide gesundes und krankes Gewebe ein und desselben Patienten zu vergleichen. So lassen sich auch aus Magenkrebszellen Organoide ziehen. Außerdem besitzen Bartfelds anders als Wells’ Minimägen Zellen, die Pepsinogen herstellen – eine wichtige Eigenschaft „echter“ Mägen, denn aus Pepsinogen entsteht im Magen das eiweißspaltende Enzym Pepsin. Allerdings fehlen in beiden Magen-Modellen bislang die säurebildenden Zellen.

Vorhersage, welche Arzneien beim Rückfall helfen könnten

Für Bartfeld haben die Miniorgane großes Potenzial. Selbst wenn noch langwierige und grundlegende Vorarbeiten nötig sind, so können die Organoide doch eines Tages helfen, zum Beispiel die Krebsbehandlung zu verbessern. „Denkbar ist, Organoide aus Tumorzellen eines Patienten herzustellen und an ihnen zu testen, welche Medikamente wirksam sind“, sagt Bartfeld. „Falls der Patient später einen Rückfall erleidet, hat man dann das passende Arzneimittel parat.“ Dazu muss sichergestellt werden, dass sich die Forschungsergebnisse an den Organoiden auf die „großen“ Organe übertragen lassen. Auch für das Testen neuer Wirkstoffe sind die Organoide wertvoll, sind sie doch wirklichkeitsnäher als bisherige Zellkulturen.

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