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Warzenwandler. Diese Bergkristallkugel setzt ein norddeutscher Heiler ein, um bei Vollmond Menschen von ihren unschönen Hautgewächsen zu befreien.

© ddp

Skepsis: Vorher wissen, was geschieht

Homöopathie, Präkognition, Geistheilung: Außergewöhnliche Behauptungen erfordern außergewöhnliche Beweise, forderten die Skeptiker auf ihrem Weltkongress in Berlin.

„Was die Sterne sind, wissen wir nicht und werden es nie wissen“, hatte der Physiker Heinrich Wilhelm Dove 1859 seinem Leipziger Kollegen Karl-Friedrich Zöllner entgegnet. Aber Zöllner ließ sich nicht beirren. Er war davon überzeugt, mehr als nur die Position der Himmelskörper aus ihrem Licht ableiten zu können. Doch kämpfte er in seinen Berechnungen mit Ungereimtheiten. Eine vierte Dimension könnte die Lösung sein, meinte er und geriet im November 1877 auf Abwege. Er wollte sie mithilfe eines Mediums, Henry Slade, nachweisen.

Der Amerikaner war auf dem Weg nach St. Petersburg, zum Hof der Zaren, wo er seine Künste vorführen sollte. Er wirkte zurückhaltend, keineswegs wie ein Scharlatan. Zöllner war beeindruckt. Er überredete Slade, für 30 spiritistische Sitzungen in Leipzig zu bleiben. Danach meinte Zöllner nicht nur, die vierte Dimension gefunden zu haben. Er sah sie von höheren Wesen bevölkert: „Die wunderbare Ökonomie der Instruktion, die ich in Slades Anwesenheit beobachtete, (...) beweist für mich die hohe Intelligenz und Freundlichkeit jener unsichtbaren Wesen, unter deren Anleitung die Experimente stattfanden.“ Der Forscher hatte das Heft nicht mehr selbst in der Hand.

„Slade war ein Uri Geller seiner Zeit“, sagt der Psychologe Ray Hyman, Emeritus an der Universität Oregon und einer der Begründer der Skeptikerbewegung, die sich am Wochenende in Berlin zu ihrem 6. Weltkongress traf. Er ist selbst Hobbyzauberer und interessiert sich seit seiner Jugend dafür, warum selbst kluge Menschen gern an paranormale Phänomene glauben. Für ihn ist der „Fall Zöllner“ mehr als nur eine Fußnote in der Geschichte, die man mit einem Lächeln wegwischen kann. Er offenbart ein grundlegendes Missverständnis: „Man kann nicht in jeder Situation gute Wissenschaft machen. Forscher sind genauso anfällig für Täuschungsversuche und Selbsttäuschungen wie jeder andere.“

Standards, die sonst als unumstößlich gelten, werden dann aufgeweicht oder gänzlich abgelehnt. Die Wissenschaft sei noch nicht so weit, das Phänomen xy zu messen, heißt es dann. Und statt der Forderung der Skeptiker zu folgen, dass außergewöhnliche Behauptungen außergewöhnliche Beweise erfordern, werden Fakten und Statistiken „kreativ“ in die richtige Richtung gebogen, egal ob es nun um Homöopathie geht oder um Geistheilung, um den Kreationismus oder Neurolinguistisches Programmieren, um Parapsychologie oder Wahrsagerei.

„Die Zukunft erspüren“, lautete die Überschrift eines Fachartikels von Daryl Bem, der Anfang 2011 nicht nur die Gemüter der Skeptiker erhitzte. Eines vorweg: Bem ist nicht irgendwer, sondern Sozialpsychologe an der Cornell-Universität im Bundesstaat New York. Auch das Fachjournal, in dem er seine Erkenntnisse veröffentlichte, ist ein angesehenes; „The Journal of Personality and Social Psychology“ ist das Monatsblatt der „American Psychological Association“. Die Mehrheit der dort eingereichten Manuskripte wird abgelehnt. Bems „Gefühl für die Zukunft“ wurde trotzdem in epischer Breite gedruckt. Innerhalb von etwa zehn Jahren hat er mit etwa 1000 Versuchsteilnehmern neun klassische Experimente von den Füßen auf den Kopf gestellt. So zeigt man Probanden normalerweise 48 Wörter, die jeweils für einige Sekunden auf einem Bildschirm erscheinen. Dann haben sie die Aufgabe, 24 der Wörter in vier Kategorien aufzuteilen. Das Kategorisieren hilft dem Gehirn, sich diese 24 Wörter zu merken. Soll man später möglichst viele der 48 Wörter aufsagen, so wird man sich vor allem an die erinnern, die man in Untergruppen aufteilen sollte – schließlich hatte man mit ihnen mehr Übung. Bem dagegen hielt es wie die Weiße Königin aus „Alice im Wunderland“. Erinnerung funktioniert in beide Richtungen, vorwärts und rückwärts. Er zeigte zuerst die 48 Wörter, fragte sie dann ab und ließ die Versuchspersonen erst später üben. Sein Ergebnis: Nachträgliches Üben hilft! Statistisch gesehen war es mehr als Zufall, wenn auch nicht besonders überzeugend. Ähnliche Kunststücke in Sachen Präkognition (vorher wissen, was geschieht) wies er angeblich in acht anderen Experimenten nach.

„Das ist total verrückt“, sagt Hyman. „Und ich meine nicht einmal die Experimente. Es ist verrückt, dass diese Studie an vier Gutachter geschickt wurde, die sie alle für druckbar hielten.“ Sobald die Studie im Internet vorab erschien, nahmen Blogger und Wissenschaftler jedes Detail der Methodik und Statistik auseinander, bis nur noch ein kollektives Kopfschütteln blieb. Bem fühlte sich derweil missverstanden und beschuldigte seine Kritiker, voreingenommen zu sein. „Das ist ein Argumentationsmuster, das wir auch von anderen Gruppen wie Kreationisten und Alternativmedizinern hören“, sagt Hyman.

Nun lassen sich die Skeptiker gern nachsagen, Spielverderber zu sein. Gleichzeitig reklamieren sie für sich, offen für alle Ideen zu sein – solange sie wissenschaftlichen Methoden oder den Instrumenten des kritischen Denkens standhalten und belastbare Daten liefern. Nachweisbar oder nicht, das sind ihre Kategorien. Der britische Skeptiker Chris French, Psychologe an der Universität von London, wiederholte daher zusammen mit zwei weiteren Kollegen Bems Experimente mit der gleichen Anzahl an Studienteilnehmern, mit der gleichen Software, mit der gleichen Versuchsanordnung. Sie fanden – oh Wunder – nichts. Doch das wollte kein Fachjournal drucken, nicht einmal „The Journal of Personality and Social Psychology“. Im Frühjahr 2012 erbarmte sich „PlosOne“ und veröffentlichte das negative Ergebnis.

Das mag nicht schlimm sein, wenn es um Themen wie das „Gefühl für die Zukunft“ geht. Doch das Problem betrifft die ganze Wissenschaft, einschließlich der Medizin. Will ein Arzt seine Patienten nach dem derzeitigen Stand der Forschung behandeln, so schaut er in die angesehene Datenbank Pubmed. Die Krux: Hier werden nur Veröffentlichungen aus Fachzeitschriften aufgelistet. Und die zeichnen mitunter ein zu rosiges Bild. Negative oder uninteressante Ergebnisse finden oft gar nicht erst den Weg in die Journale. „Publication Bias“ heißt das in der Fachsprache.

Schuld daran ist nicht nur die Pharmaindustrie, auch wenn sie nur allzu gern unliebsame Ergebnisse unter Verschluss hält oder gut in den Details versteckt. Tamiflu ist so ein Beispiel, sagt Gerd Antes, der Direktor des Deutschen Cochrane-Zentrums in Freiburg. Etwa 60 Prozent der durchgeführten Studien zu dem antiviralen Mittel seien nie veröffentlicht worden. Verantwortlich für den „Publication Bias“ seien aber auch die Journale, die vor allem an den positiven und überraschenden Ergebnissen interessiert sind, Forscher, die gescheiterte Experimente unter den Tisch fallen lassen und Geldgeber, die nicht darauf drängen, dass jedes Ergebnis öffentlich zugänglich sein sollte. Antes’ Liste ist lang.

Also doch lieber Alternativmedizin? Schon die Unterscheidung zwischen etablierter und alternativer Medizin sei irreführend, meint Antes. „Es gibt nur: wirkt oder wirkt nicht. Was keine belastbare wissenschaftliche Grundlage hat, ist keine Medizin. Anekdoten zählen nicht.“

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