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Lebende Fabrik. Heute werden zum Beispiel gewöhnliche Algen genutzt, um Chemikalien zu produzieren. Künftig sollen das künstliche Organismen übernehmen.

© Fraunhofer IGB, Stuttgart/Thomas Ernsting

Synthetische Biologie: Ingenieure des Lebens

Biomoleküle vom Band: Ein umfangreiches Forschungsprogramm soll die Biotechnologie in Deutschland voranbringen. Dafür sollen insgesamt 200 Millionen Euro ausgegeben werden.

Das Wort „Gentechnik“ ist für viele ein rotes Tuch. Angesichts der Debatten käme kaum einer auf die Idee, Deutschland für ein biotechnologiefreundliches Land zu halten. Zumal, wenn es um mehr geht, als ein paar Gene gezielt zu manipulieren. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) jedoch will in Deutschland die Grundlagen für eine biobasierte Wirtschaft schaffen. Dazu setzt sie die Initiative „Biotechnologie 2020+“ fort, hieß es am Donnerstag auf dem vierten Jahreskongress in Berlin. Seit 2010 haben 35 Forschungsprojekte ihre Arbeit begonnen, sagte Helge Braun, Parlamentarischer Staatssekretär im BMBF. 60 Millionen Euro hat das Ministerium bisher investiert, 200 Millionen Euro stehen zur Verfügung. „Es ist noch ein langer Weg“, sagte Braun. „Uns geht es um die Anwendung und weniger um Publikationen in Fachjournalen.“ Vier Forschungsorganisationen wollen sich nun ebenfalls mit großen Projekten beteiligen, kündigten sie gestern an.

Maßgeschneiderte Zellen

Die Natur ist kein Ingenieur, sagt Petra Schwille vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried. Manche Abläufe seien irrsinnig kompliziert. „Wenn wir verstehen, wie sie funktionieren, können wir sie verschlanken.“ Sie und Wissenschaftler an acht weiteren Max-Planck-Instituten arbeiten ab 2014 im Forschungsprogramm „MaxSynBio“ zusammen, das vom BMBF und der Max-Planck-Gesellschaft sechs Jahre lang mit jeweils zehn Millionen Euro unterstützt wird. Das langfristige Ziel: Sie wollen möglichst einfache, lebensfähige Zellen bauen, denen man sagen kann, was sie tun sollen und die sich vermehren können.

Denn die Lebewesen, wie zum Beispiel Mikroorganismen, auf die die Biotechnologie heute angewiesen ist, sind nur schwer steuerbar. Im Laufe der Evolution mussten sie sich immer wieder gegen widrige Bedingungen durchsetzen und entwickelten viele Eigenschaften, die heute die technische Nutzung erschweren. Die Max-Planck-Forscher wollen nun die für das Leben einer Zelle absolut notwendigen Bausteine finden. Daraus soll eine Art Baukasten für winzige Biofabriken werden, die grundlegende Lebensprozesse nachahmen.

„Die Suche nach der minimalen Zelle war von Beginn an ein erklärtes Ziel der synthetischen Biologie“, sagt Herbert Jäckle, Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft. „Nur wenige Labore weltweit haben sich bisher daran versucht, wir wollen uns dieser Herausforderung nun stellen.“

Bessere Bioreaktoren

Um Eiweiße zum Beispiel für die Medizin herzustellen, braucht man nicht unbedingt ganze Zellen. Ein Teil der Zellmaschinerie tut es auch. In Bioreaktoren im Labor kann man sie sogar so steuern, dass künstliche Aminosäuren in die Eiweiße eingebaut werden. „Bisher funktioniert das nur im kleinen Maßstab“, sagt Hans Otto Feldhütter von der Hauptabteilung Forschung der Fraunhofer-Gesellschaft. Die Leistungsfähigkeit der Bioreaktoren ist begrenzt, sie laufen nur kurze Zeit und können nur kleine Mengen herstellen. Das Fraunhofer-Projekt will sie so weiterentwickeln, dass eine industrielle Nutzung möglich ist. Dann kommen die Biomoleküle quasi vom Band. Das wäre nicht nur billiger. Im Bioreaktor könnten auch solche Eiweiße zusammengesetzt werden, die für normale Zellen zu giftig sind, aber zum Beispiel für die Krebstherapie gebraucht werden. Einen Prototyp soll es Ende des Jahres geben. Das Projekt startete bereits 2011, mit sechs Millionen Euro von der Fraunhofer-Gesellschaft und 15 Millionen Euro vom BMBF.

Neue Wege zu Wirkstoffen

Die Situation sei dramatisch, sagt Axel Brakhage vom Leibniz-Institut für Naturstoffforschung und Infektionsbiologie in Jena. Den Ärzten in den Krankenhäusern gehen die Wirkstoffe aus, mit denen sie gegen multiresistente Keime kämpfen können. „Also müssen neue Substanzen her – und das geht im Moment nicht schnell genug.“ Um neue Antibiotika, aber auch um wirklich maßgeschneiderte Medikamente zum Beispiel für die Krebstherapie zu finden, brauche man neue Wege, Wirkstoffe zu entwickeln, zu kombinieren und zu produzieren. Unter anderem Nachwuchsgruppen an fünf Leibniz-Instituten sollen nun mithilfe der synthetischen Biologie, der zellfreien Biotechnologie und der Mikrofluidik Minifabriken für Wirkstoffe entwickeln. Dass das grundsätzlich funktionieren kann, haben die Leibniz-Forscher bereits gezeigt. Nun warten sie auf grünes Licht für die Förderung, damit es weitergehen kann.

Druckbare Biotechnologie

In der Helmholtz-Gemeinschaft wollen Forscher Hybridtechnologien entwickeln, um Biomoleküle wie Enzyme und andere Eiweiße mit Kunststoffen und elektrisch leitfähigen Materialien zu kombinieren und so neue Eigenschaften zu erreichen. Die Vision des Netzwerks „Molecular Interaction Engineering“ ist eine druckbare Biotechnologie. Die Moleküle sollen auf kleinstem Raum auf Oberflächen aufgedruckt werden, so dass zum Beispiel chipbasierte Mikroreaktoren entstehen könnten. „Mit der Vision wollen wir künftige Produktionsprozesse an die Erfordernisse der chemischen und pharmazeutischen Industrie anpassen“, sagte Doris Wedlich, Chief Science Officer vom Karlsruher Institut für Technologie. Es soll noch in diesem Jahr losgehen. Die Helmholtz-Gemeinschaft steuert fünf Millionen Euro bei, ein Anteil in ähnlicher Höhe soll vom BMBF kommen.

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