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Drohnenflug. Auch Forscher an deutschen Hochschulen tüfteln an Kriegsgerät (im Bild die US-Drohne „MQ-1 Predator“).

© picture alliance / dpa

Unis und Moral: Pikante Projekte: Sollen Hochschulen Rüstungsforschung betreiben dürfen?

Militärische Forschung an Hochschulen ist umstritten. Manche Forscher pochen auf ihre Freiheit, andere auf den Frieden. Die Grenzen von zivilen zu militärischen Anwendungsmöglichkeiten sind ohnehin oft fließend.

Ralf Burgschweiger sitzt vor seinem Computerbildschirm, 24 Zoll in der Diagonale, und verteidigt die Sicherheit Deutschlands. Er blickt auf ein Ei in Regenbogenfarben, es klemmt in einem Koordinatensystem. Die rechte Hälfte des Eis leuchtet rot, die linke schimmert türkis. Burgschweiger ist Ingenieur an der Berliner Beuth Hochschule für Technik. Er untersucht, wie viele Schallwellen Objekte unter Wasser zurückwerfen, wenn man Geräusche auf sie schießt. Dazu nimmt er Algorithmen und schreibt aus ihnen Computerprogramme, die schneller rechnen können als alle, die es schon gibt. Am Ende spucken seine Programme bunte, dreidimensionale Bilder aus – zum Beispiel von eiförmigen Körpern, Ellipsoide genannt. An den Farben kann Burgschweiger erkennen, wo sie besonders viel Schall abstrahlen. Ist Burgschweiger deshalb schon Rüstungsforscher?

Wenn alles nach Plan läuft, sind die Körper, die er mit Geräuschen beschießt, bald keine Eier mehr, sondern Modelle von Seeminen. Die Bundeswehr hofft, mithilfe von Burgschweiger irgendwann aus großer Entfernung Minen aufspüren zu können, die im Meeresboden eingesunken sind. Seine Berechnungen könnten einmal für neue, schnellere Sonarsysteme nützlich sein. Deshalb finanziert das Verteidigungsministerium seine Stelle mit mehreren zehntausend Euro im Jahr.

Schon jetzt setzt die Bundeswehr Minenjagdboote ein, um in Nord- und Ostsee nach verrosteten Minen aus den Weltkriegen zu suchen. Vorstellbar ist, dass sie die Boote bei einer Nato-Mission auch woanders hinschickt – womöglich als Aufräumdienst vor einem Kampfeinsatz. Beteiligt sich Ralf Burgschweiger deshalb am Krieg?

Das hängt davon ab, wie man die Frage beantwortet, wo militärische Forschung beginnt. Fest steht: In einer Zeit, in der deutsche Soldaten nach Afghanistan in den Krieg ziehen, ist an deutschen Hochschulen ein Kampf darüber ausgebrochen, was Wissenschaft darf. Auf der einen Seite stehen Wissenschaftler, die jede Beschränkung ihrer Arbeit ablehnen. Die sagen, man könne nur schwer ausschließen, dass Forschung auf Umwegen militärisch genutzt wird – und man deshalb nicht gleich die ganze Wissenschaft verbieten könne. Auf der anderen Seite stehen Aktivisten, die eine Zusammenarbeit zwischen Militär und Unis ablehnen und Hochschulen zur friedlichen Forschung verpflichten wollen. Und damit eine neue Bewegung losgetreten haben.

918 Millionen Euro plant das Verteidigungsministerium 2012 für Forschung und Entwicklung auszugeben. Der größte Teil fließt an die Forschungsinstitute der Bundeswehr, öffentliche Einrichtungen wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt und die Rüstungsindustrie. Aber auch an Universitäten geht Geld, wenn auch nicht viel: 26 deutsche Hochschulen bekommen in diesem Jahr insgesamt 5,5 Millionen Euro vom Verteidigungsministerium, Fachhochschulen nicht eingerechnet. Manche erhalten nach einer Aufstellung des Ministeriums einige zehntausend Euro, andere über eine Million. Allein der Universität Kiel bezahlt das Verteidigungsministerium 15 wehrtechnische Projekte – also Forschung, die Ausrüstung und Waffen der Bundeswehr verbessern soll.

Keine deutsche Uni forscht an Waffen, mit denen sich noch effektiver Menschen töten lassen

Was Uni-Wissenschaftler mit den öffentlichen Geldern machen, hat mal mehr, mal weniger mit Rüstung und Krieg zu tun. Das Institut für Sicherheitspolitik der Uni Kiel entwickelt Strategien zur Bekämpfung der Taliban in Afghanistan. An der TU Dresden haben Psychologen für die Bundeswehr untersucht, wie viele deutsche Soldaten nach einem Auslandseinsatz traumatisiert sind.

Bei besonders pikanten Aufträgen schweigen die Beteiligten auch gerne darüber, woran sie arbeiten. Die Universität Hannover hält 13 Projekte im Bereich Rüstungs- und Sicherheitsforschung geheim – ihre Geldgeber, die Bundeswehr und, nach unbestätigten Informationen, der Rüstungskonzern Rheinmetall, wollen es so. Oder die Unis wissen selbst nicht, was sie mit dem Geld vom Verteidigungsministerium machen: Die FU hat im vergangenen Jahr laut Ministerium 78 000 Euro für zwei wehrtechnische Forschungsvorhaben erhalten. Wofür genau, sagt sie nicht – Geheimhaltung. Die FU-Pressestelle konnte auf Tagesspiegel-Anfrage nicht ermitteln, um welche Projekte es sich handelt.

Klar ist: Keine deutsche Uni baut Panzer oder forscht an Waffen, mit denen sich noch effektiver Menschen töten lassen. Trotzdem sind die Grenzen zwischen militärischer und ziviler Forschung fließend. Wenn Naturwissenschaftler von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg nach Wegen suchen, um Sprengstoff aufzuspüren, kann das Flughäfen helfen, Bomben zu finden – aber eben auch der Bundeswehr im Afghanistan-Krieg nützen.

Genauso umstritten ist, wie weit sich Hochschulen mit Rüstungskonzernen einlassen dürfen. Als die Universität Konstanz im letzten Jahr einen Kooperationsvertrag mit Astrium und Cassidian schloss, protestierten Studentenvertreter. Cassidian ist die Rüstungstochter von EADS, das Unternehmen baut den Eurofighter, Drohnen und Raketen. Schon seit Jahren fördert EADS Doktoranden aus Konstanz. Jetzt finanziert der Konzern der Universität ein Projekt, bei dem Physiker den Abstand von Satelliten genau zu bestimmen versuchen und ein weiteres Vorhaben in den Sportwissenschaften. Die Hochschule besteht darauf, keine Rüstungsforschung im Auftrag von Cassidian zu betreiben. Der hauseigene Justiziar prüfe jedes Projekt auf Vereinbarkeit mit der Zivilklausel der Universität, die Rüstungsforschung verbietet.

EADS lässt deutsche Hochschulen besonders gerne für sich forschen: Der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg bezahlt das Unternehmen eine Stiftungsprofessur. TU München, TU Chemnitz, die Hochschule Ingolstadt und die Bundeswehruniversität München bauen zusammen mit der EADS-Tochter Cassidian ein Drohnen-Modell. „Sagitta“ heißt das Projekt. Ein vielsagender Name. Sagitta ist ein Sternbild, das an einen Pfeil erinnert. Animationen der Drohne zeigen eine viereckige, vorne spitz zulaufende Scheibe. Sie soll für Radare unsichtbar sein, Experten nennen so ein Fluggerät Tarnkappendrohne. Die Bundeswehruniversität und die TU München forschen an der Steuerung, in Chemnitz tüfteln Informatiker aus, wie die Drohne ohne Pilot Landebahnen erkennen kann. Finanziert wird das Projekt größtenteils von Cassidian – aber auch mit öffentlichen Geldern: Die TU Chemnitz bezahlt einen von zwei Sagitta-Doktoranden selbst.

2014 soll das Drohnen-Modell fertig sein. Cassidian freut sich schon jetzt über die Zusammenarbeit mit den Hochschulen: Sie ermögliche dem Konzern „Zugang zu Spitzenabsolventen der Ingenieurswissenschaften“ und „den aktuellsten Trends an der Forschungsfront“.

Problem: Selbst wenn Hochschulen Zivilklauseln haben, können sie diese aushebeln

Dietrich Schulze hält solche Projekte für „Kriegsforschung“. Der Elektrotechniker und Alt-Linke von der „Initiative gegen Militärforschung an Universitäten“ lehnt jede Zusammenarbeit von Hochschulen, Bundeswehr und Rüstungsindustrie ab. Für Schulze beginnt militärische Forschung dort, wo andere ein unpolitisches Projekt sehen. Den Sonderforschungsbereich 700 an der FU Berlin nennt er „kriegsunterstützende Wissenschaft“. Die FU-Forscher untersuchen, wie Herrschaft in gescheiterten Staaten funktioniert – und widmen sich auch der Nato-Mission in Afghanistan. Schulze wirft ihnen vor, den deutschen Afghanistan-Einsatz so zu legitimieren.

Im Moment sieht es so aus, als seien die Friedensaktivisten im Vorteil. Immer mehr Hochschulen geben sich selbst Zivilklauseln, darunter die TU Berlin. An vielen Unis streiten Studenten für friedliche Forschung. Jetzt bekommen die Aktivisten auch Unterstützung aus der Politik: In Nordrhein-Westfalen denkt die rot-grüne Regierung darüber nach, eine Zivilklausel ins Landeshochschulgesetz aufzunehmen. Die Linke will Unis bundesweit zur Friedensforschung verpflichten.

Das Problem: Selbst wenn Hochschulen Zivilklauseln haben, können sie diese aushebeln. Jüngst wurde bekannt, dass die Universität Bremen mehrfach Geld von Rüstungskonzernen bekommen hat, trotz ihrer Zivilklausel. Die Universität Rostock hat die Friedensforschung sogar in ihrer Grundordnung verankert. Trotzdem hat sie einen wehrtechnischen Forschungsauftrag von der Bundeswehr angenommen: Rostocker Maschinenbauer arbeiten ebenfalls daran, Minen am Meeresgrund aufzuspüren. Uni-Sprecher Ulrich Vetter hält das Projekt für ein „humanitäres Vorhaben“.

„Die meisten Unis bekennen sich in ihren Zivilklauseln nur vage zur Friedensforschung. Sie können leicht argumentieren, dass Rüstungsforschung der Friedensverteidigung dient“, sagt der Jurist Erhard Denninger. Nur wenn Hochschulen ausdrücklich militärische Forschung ablehnten, sei Rüstungsforschung ausgeschlossen. An der TU Berlin müssen Wissenschaftler zusätzlich bei der Forschungsabteilung angeben, ob ihr Drittmittelauftrag militärischen Zwecken dient. Ist das der Fall, wird er nicht genehmigt. Der Aktivist Dietrich Schulze fordert, dass alle Hochschulen ihre Drittmittelprojekte offenlegen. „Die Uni-Gremien wissen oft selbst nicht, ob bei ihnen Rüstungsforschung gemacht wird“, sagt er.

Zwischen dem Ei auf Ralf Burgschweigers Computerbildschirm und einem besseren Sonarsystem auf Minenjagd liegen noch viele tausend Arbeitsstunden. Burgschweiger kann zwar berechnen, wie sich Schallwellen unter Wasser verhalten, wenn sie auf einen Gegenstand treffen. Aber in seinem Wasser fließt keine Strömung, es ist nicht salzig wie Meerwasser. Noch kann man mit seiner Forschung viel anfangen – nicht nur Minen aufspüren. „Genauso gut könnten meine Berechnungen helfen, Großraumbüros leiser zu machen“, sagt Burgschweiger. Was die Bundeswehr mit seinen Ergebnissen mache, darauf habe er keinen Einfluss: „Der Mann, der den Hammer macht, ist nicht dafür verantwortlich, was jemand anderes damit anstellt.“

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