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Zylinder mit Wespentaille

© Phaeno

Wissenschaftsmuseum Phaeno: Jahrmarkt der Experimente

Zahlen sucht man in der Mathe-Ausstellung des Wissenschaftsmuseums Phaeno in Wolfsburg vergebens. Es geht vielmehr um Formen und Muster.

Nein, Julia will noch nicht weiter. Die Mathebegeisterung aus den ersten Grundschuljahren ist verflogen, das Fach hat den Stempel „langweilig“. Auch die atmende Riesenkugel, die hoch über der Experimentierlandschaft hängt und dank intelligenter Faltung ihren Durchmesser von 50 Zentimetern auf 4,5Meter vergrößern und wieder schrumpfen kann, würdigt das Mädchen kaum eines Blickes.

„Hast du den kleinen Ball da drin gesehen?“, fragt sie. „Der rollt das schiefe Regal hinauf!“ Wieder ist sie im „Verrückten Salon“ verschwunden, wo alle Wände, Decke und Boden schief stehen und die Besucher torkeln lassen. Während sich die Patentante von diesem Angriff auf den Gleichgewichtssinn erholt, steht die Elfjährige schon am Hexenhaus an. Der Name kommt nicht von ungefähr. Kaum hat man sich im Inneren auf einer stabilen Holzbank niedergelassen, schaukelt das Haus hin und her. Schließlich dreht es sich wie die Trommel einer Waschmaschine um die Gäste herum – samt Kamin, Spinnennetzen und Besen. Das Gehirn bastelt sich die absurden Bilder so zurecht, dass man wohl auf einer Schaukel sitzt. Und Überschläge macht.

Der Mensch ist ein Augentier, lernt man daraus. Mit widersprüchlichen Sinneseindrücken konfrontiert, verlassen wir uns auf das Sehen. Die Ausstellungsmacher des Phaeno in Wolfsburg haben das längst verinnerlicht. Das Wissenschaftsmuseum glänzt nicht nur durch die futuristische Architektur von Zaha Hadid. Wer die lange Rolltreppe vom Eingang aus nach oben fährt, findet sich unvermittelt auf einem wahren Jahrmarkt der Experimente wieder.

Es gibt keinen vorgegebenen Parcours

Die erwachsenen Begleiter suchen unwillkürlich nach Struktur im Gewimmel, Kinder dagegen lassen sich sofort darauf ein: An irgendeiner der 350 Stationen bleiben ihre Augen hängen, sie steuern darauf zu, probieren und spielen. Sie testen ihre Balance und Reaktionszeiten, sie bauen Rundbögen oder lange Murmelbahnen, schauen Geysiren und Feuertornados zu, sie lassen ihre Haare zu Berge stehen und den eigenen Schatten Seifenblasen jagen. Ab und an lärmt ein Kindergeburtstag vorbei. Das Liegegefühl im Nagelbett testen komplette Familien.

Es gibt keinen vorgegebenen Parcours, nur eine grobe Einteilung in Spürsinn, Spiegel, Leben, Energie und Dynamik. „Das ist Absicht“, sagt Dominik Essing, einer der Ausstellungsmacher. „Wir sind schließlich nicht bei Ikea.“ So kann es zwar eine Weile dauern, ehe man in der Sonderausstellung „Mathe x anders“ angekommen ist. Dafür ist der Übergang so fließend, dass Julia das Wort „Mathe“, das über den Stationen prangt, zunächst nicht einmal bemerkt. Die Knoten haben ihren Ehrgeiz geweckt, fast eine halbe Stunde sitzt sie an dem Tisch voller Knobelexperimente. Die scheinbar einfachen Verstrickungen fordern nicht nur Julias räumliches Vorstellungsvermögen heraus. Gleich neben ihr diskutieren Vater und Sohn im Teenageralter über die beste Strategie, die Schlingen zu lösen.

Ein paar Meter weiter lässt ein kleiner Junge immer wieder unzählige kleine Kugeln in ein Reservoir laufen. Dann neigt er das Nagelbrett nach vorn und schaut zu, wie sie glockenförmig in die Fächer auf der anderen Seite fallen. Die meisten landen in der Mitte, an den Rändern wird es immer weniger. „Gauß’sche Normalverteilung“, sagt die Mutter. Der Junge probiert es abermals mit einer anderen Geschwindigkeit. Eine abstrakte Kurve ist plötzlich sehr konkret. Ein Mädchen verschiebt derweil versunken die Umrisse von Märchenfiguren vor einer Lichtquelle. Mal werden ihre Schatten größer, mal werden sie kleiner. Der Schatten selbst sagt noch nichts über die Größe aus, lernt sie nebenbei.

Zahlen sucht man in dieser Mathe-Ausstellung vergebens. Es geht um Formen und Muster, Symmetrie und räumliches Vorstellungsvermögen. „In Israel zum Beispiel gehört Origami zum Matheunterricht“, sagt Essing. Auch im Alltag seien komplizierte Faltungen allgegenwärtig, sei es nun beim Airbag oder in der Struktur von Eiweißen. „Mit einfachen Origamiaufgaben können auch die Zutrauen zu ihren Fähigkeiten fassen, die das Wort Mathe normalerweise erschreckt.“

Am Abend holt Julia ein buntes Plastikgebilde aus ihrem Rucksack. Es ist fast eine exakte Replika der atmenden Riesenkugel im Phaeno. Sie lächelt: „Die gab es auf einem Volksfest.“

- Phaeno, Willy-Brandt-Platz 1, 38440 Wolfsburg. Telefon: 05361 / 890 100, Internet: www.phaeno.de. Die Sonderausstellung „Mathe x anders“ ist noch bis zum 23. Februar 2014 zu sehen. Tickets: Erwachsene 12,50 Euro, Kinder (6 bis 17 Jahre) 8 Euro, Familienkarte 27,50 Euro.

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