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Denkwürdige Begegnung. Jörg Haider besuchte im Jahr 2002 drei Mal den irakischen Diktator Saddam Hussein. "Ein sehr interessanter Gesprächspartner", fand er.

© AFP

Österreich: Jörg Haiders fatale Erbschaft

Noch immer verehren ihn viele wie einen Heiligen. Aber was jetzt über Jörg Haider bekannt wird, bringt selbst manchen Getreuen ins Wanken: geheime Konten, Geldwäsche, Rüstungsgeschäfte, Millionenspenden von Saddam Hussein. Fast täglich kommen neue Details ans Tageslicht.

Im Dunkeln ist Haiders Welt noch in Ordnung. Im Botanischen Garten in Klagenfurt liegt der Eingang zu einem düsteren Stollen, und dort, im steinernen Gewölbe eines ehemaligen Luftschutzbunkers, ist es: das Jörg-Haider-Museum. Aber was heißt Museum? Eine Mischung aus Pilgerstätte und Mausoleum tut sich da auf. Riesige Buketts aus roten Plastikrosen im Schummerlicht. Haiders Schaukelpferd und Haiders Babyschuhe in Vitrinen. Sein Schreibtisch, seine Jeans, seine Freundschaftsbändchen. Jörg Haider einmal nicht als rechte Skandalfigur, sondern als Volksheiliger.

Eigentlich wollten die Macher das Wrack des schwarzen VW-Phaeton ausstellen, mit dem Haider im Oktober 2008 betrunken gegen einen Betonpfeiler gerast war. Man hat es dann aber gelassen. Das Unfallauto wird nun in einem abgedunkelten Raum meterhoch auf eine Wand projiziert. Alle paar Sekunden wechselt die Einstellung. Zerbeultes Auto von vorne. Rettungskräfte. Zerbeultes Auto von hinten. Wer das makaber findet, hat das Gästebuch noch nicht gelesen. „Schöne Ausstellung“, schreibt jemand. „Und jetzt geht es zur Unfallstelle.“

Draußen, im Licht, sieht alles anders aus. Fast täglich werden zurzeit neue Details einer politischen Karriere bekannt. Über geheime Konten und eine Skandalbank. Über Privatisierungen und Rüstungsgeschäfte, bei denen auch Haiders Parteifreunde ihre Schnitte machten. Zuletzt hat sich ein Kärntner Geschäftsmann zu Wort gemeldet. Ein gemütlicher Dicker mit Schnauzbart, der viel im Irak zu tun hatte. Eines Tages soll Saddam Hussein ihn gebeten haben, Kontakt zum „international bekannten ‚Revoluzzer’ Jörg Haider“ herzustellen. Damit Haider in Europa gut Wetter für Saddam mache.

Für eine Operette war Jörg Haiders Leben immer schon gut. Auftritte wie das Interview für den arabischen Sender Al Dschasira 2002, mit einem Falken, den Haider extra aus einem Tierpark hatte kommen lassen. Haiders Fotos mit nacktem Oberkörper, seine Vorliebe für Verkleidungen aller Art, von der Lederhose bis zum Rodeo-Outfit. Nun wird klar, dass dieses Leben mehr als eine Operette gewesen sein könnte.

Was es genau war, weiß derzeit keiner. In mehreren Ländern versuchen Staatsanwaltschaften, der Sache auf den Grund zu gehen. Ob er und seine Leute nicht nur ideologisch fragwürdig waren, sondern vielleicht auch kriminell. In Kärnten gibt es einen Untersuchungsausschuss, in Wien fordern bereits viele, einen einzurichten.

Die Protagonisten der Geschichte sprechen für sich. Da wäre ein irakischer Waffenschieber, der in Deutschland verurteilt und in Kärnten mit offenen Armen aufgenommen wurde. Mit Haider soll er gut bekannt gewesen sein, es wird vermutet, dass er einiges über die Geldflüsse aus dem Irak sagen kann. Ein malender Wüstenprinz, Sohn des libyschen Revolutionsführers Gaddafi. Er kam zum Studieren nach Wien, mit Bodyguards und zwei weißen Tigern. Ging mit Haider auf den Wiener Opernball und widmete ihm ein Werk aus seiner Bilderserie „Die Wüste schweigt nicht“. Aus Libyen soll es dann immer wieder Geld für Haiders Wahlkämpfe gegeben haben, angeblich in bar und fest in Plastik eingeschweißt.

Bis zu 45 Millionen Euro sollen auf geheimen Konten in Liechtenstein oder in der Schweiz gebunkert worden sein. Der Großteil des Geldes ist verschwunden, genau wie ein Haider-Getreuer, der Zugang zu diesen Konten gehabt haben soll. Was davon stimmt, ist schwer zu sagen. Vieles stammt aus Tagebuch-Aufzeichnungen, die ein weiterer Vertrauter Haiders in ein Moleskine-Büchlein gekritzelt hat. Der steht allerdings selbst wegen dubioser Geschäfte im Rampenlicht. Er wird verdächtigt, bei der Privatisierung eines österreichischen Wohnungsunternehmens acht Millionen Euro kassiert und zur Seite geschafft zu haben. Die Grenzen zwischen Operette und Räuberpistole sind in Österreich derzeit fließend.

Und dann ist da noch Saddam Hussein. Drei Mal fährt Jörg Haider 2002 in den Irak, im Februar, im Mai und im November noch mal. Schon das, was offiziell über die Besuche bekannt wurde, ist skurril. Fotos zeigen Haider, wie er ehrfürchtig auf den breitbeinig sitzenden Saddam blickt, man raucht Zigarre. „Ein sehr interessanter Gesprächspartner“, wird Haider später sagen. Einmal trifft er Saddams Sohn Udai, der Haider von den „deutschen Tugenden“ vorschwärmt. Haiders Fazit in seinem Buch „Zu Gast bei Saddam“: „Es war ganz so, wie man es sich vorstellt, wenn man an die Märchen aus 1001 Nacht denkt.“ Auch sonst ging es märchenhaft zu. Einer neuen Zeugenaussage zufolge soll es 500 000 Dollar nach Haiders erstem Besuch gegeben haben, zwei Millionen nach dem zweiten.

Angetreten war Haider einst als Anwalt der „Fleißigen und Anständigen“, immer in Opposition, immer im Kampf gegen die „Privilegienritter“. Dann waren seine Leute 2000 bis 2007 an der Macht, eine Zeit, die für viele die korrupteste in der österreichischen Nachkriegsgeschichte ist. Für Peter Pilz etwa, Abgeordneter der Grünen im Parlament. Pilz hat schon einige Skandale aufgedeckt. Hinter Jörg Haider und seinen Leuten ist er seit langem her, sichtet Akten, sammelt Material und stellt es ins Internet. Schreibt Berichte, fordert einen Untersuchungsausschuss. Für ihn ist klar: „Wäre Haider nicht tot, könnten wir ihn einsperren.“

Pilz holt Luft und beginnt aufzuzählen. Da ist die Hypo Alpe Adria, Haiders Hausbank, bis die Bayern sie kauften, in der es alles gegeben haben soll, von Bilanzfälschung bis Geldwäsche für die Mafia. Dann die Geldflüsse auf geheime Konten, Pilz zufolge illegale Parteienfinanzierung. Und schließlich die „Buberl-Partie“, Haiders einst so strahlender Jungmännertrupp. Einer wurde wegen Körperverletzung verurteilt, einer wegen Steuerhinterziehung. Selbst der glamouröseste von ihnen, der frühere Finanzminister und Talkshow-Liebling Karl-Heinz Grasser, ist im Visier der Justiz. Wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch, Geheimnisverrat und Untreue. Grasser, der mit seinem geföhnten Haar immer wirkte, als würde er mehr Zeit vor dem Spiegel verbringen als mit dem Staatshaushalt, lächelt die Vorwürfe weg. Bei ihm sei alles „supersauber“.

Jörg Haider – ein schweres Erbe. Zumal es nicht nur einen Erben gibt, sondern gleich drei. Die rechtsgerichtete FPÖ, deren Vorsitzender Haider war, ehe er sich 2000 auf Druck der EU als Landeshauptmann nach Kärnten zurückziehen musste. Das „Bündnis Zukunft Österreich“ (BZÖ), Parteifarbe: knallorange, mit dem Haider sich 2005 von der FPÖ abspaltete. Und schließlich die Abspaltung von der Abspaltung, eine Partei namens FPK, die sich in Kärnten vom BZÖ löste und den Landeshauptmann stellt.

Uwe Scheuch, 41, von Beruf Landwirt, ist Chef der Abspalter und Stellvertreter des Landeshauptmannes. Der hatte nach Jörg Haiders Tod gesagt, dass die Sonne vom Himmel gefallen sei, Scheuch sitzt am Wörther See und blinzelt ins grelle Nachmittagslicht. Seit zehn Jahren ist er in der Politik. Er hat schon einiges mitgemacht, parteininterne Putschversuche, Haiders Rücktritte, Haiders Tod. Jetzt muss er die politische Hinterlassenschaft Haiders verwalten. Das ist nicht anders als bei einer Erbtante. Es gibt viel Streit und Gezerre um das Erbe. Und dann kommt heraus, dass die Erbtante gar nicht so war, wie alle dachten.

Zwei der Hinterbliebenen, BZÖ und FPÖ, würden das Erbe Jörg Haiders nun am liebsten ausschlagen. Die FPÖ fordert, Haiders Konten schonungslos offenzulegen. Das BZÖ ist etwas vorsichtiger. Man will aber immerhin einen Untersuchungsausschuss für Korruptionsvorwürfe im Parlament.

Uwe Scheuch, braun gebrannt von der Kärntner Sonne, am Handgelenk ein Freundschaftsbändchen wie das aus der Jörg-Haider-Ausstellung, versucht es mit Verdrängung. Spricht von einem „ganzheitlichen Erbe“. Nach dem Unfall ist seine Partei mit Haiders Programm angetreten. Man fuhr in Kärnten ein Rekordergebnis ein.

Und wie soll es weitergehen? Scheuch blickt auf den Wörther See, als käme die Antwort von dort. Das Land Kärnten ist so pleite, dass Anteile an einigen Seen verkauft werden sollen. Scheuch gibt zu, in „politisch sehr labilen Zeiten“ zu leben. In Kärnten wird gegen vier von sieben Regierungsmitgliedern ermittelt. Auch Scheuch hat Probleme. Er soll einem russischen Geschäftsmann die österreichische Staatsbürgerschaft in Aussicht gestellt haben. Gegen eine Investition und eine Parteispende.

Scheuch bestreitet das. So, wie er alles bestreitet, die Vorwürfe gegen seine Partei, gegen Jörg Haider. Es müsse endlich „Schluss sein mit den Pauschalverurteilungen“, sagt Scheuch. Man werde weitermachen wie bisher. Mit Jörg Haider. Wolle seine Politik fortsetzen, seine Ideen. „Hier glaubt ohnehin keiner, dass da irgendetwas ans Licht kommt“, sagt Scheuch. „Der Jörg ist in den Herzen der Menschen.“ Der tote Jörg Haider hat in Kärnten offenbar noch immer mehr Strahlkraft als die meisten anderen Politiker.

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