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Im Kern erschüttert: Was nun, Frau Merkel?

Baden-Württemberg ist für die CDU im Ergebnis bitter, aber keinesfalls vernichtend. Trotzdem gibt es in der Partei Diskussionen. Vor allem um die Atompolitik. Viele fragen sich deshalb, welche Konsequenzen die Bundeskanzlerin zieht.

Von Robert Birnbaum

Wenn Friedrich Merz noch jemand Bedeutendes wäre in der CDU, dann hätte Angela Merkel jetzt ein ernstes Problem. „Das wird der CDU das Rückgrat brechen“, hat Merz das Ende der CDU-Herrschaft in Baden-Württemberg kommentiert, und er hat auch gleich die Schuldige ausgemacht: „Wer sich auf eine Panikwelle setzt, darf sich nicht wundern, wenn er davon überrollt wird.“ Wäre Erwin Huber noch richtig wichtig in der CSU, hätte Merkel ebenfalls ein Problem, von Horst Seehofer zu schweigen: „Chaotisches Krisenmanagement“ nach dem Atomunfall in Japan wirft der Ex-Parteichef der Unionsspitze vor, „überstürztes, wahltaktisch orientiertes Handeln“.

Aber Merz und Huber sind Vergangene, die Rechnungen offen haben. Josef Schlarmann ist wenigstens noch Gegenwart. Doch auch der Chef des Unions-Mittelstands steht am Tag nach dem Wahldebakel im Südwesten mit seiner Anklage recht einsam da. Ursache der Niederlage sei Vertrauensverlust bei bürgerlichen Wählern, findet Schlarmann: „Was der Wähler nicht mag, ist, wenn in grundsätzlichen Fragen die Politik über Nacht die Position wechselt.“

Schlarmann ist als Wirtschaftsliberaler oft Außenseiter in den Sitzungen der CDU-Spitze; am Montag ist er krasser Außenseiter. „Übergroße Unterstützung“ für ihr Vorgehen kann Parteichefin Merkel aus den Sitzungen von Präsidium und Vorstand berichten. Nicht zuletzt der Wahlverlierer Stefan Mappus rechtfertigt die Wende im Atomkurs intern wie öffentlich als „alternativlos“. Er könne sich nur wundern über „manche philosophische Anwandlung“ von Leuten, die fänden, man hätte bei der Pro-Atom-Linie bleiben sollen. „Ich glaube nicht, dass dieser Kurs mir gut bekommen wäre“, sagt der scheidende Ministerpräsident.

Korrigiert die CDU ihre Atompolitik?

Merkel hat schon am Wahlabend die Lesart vorgegeben, der sich die Unionsführung anschließt: Der Grund für die Niederlage im Stammland Baden-Württemberg lag in Fukushima, das Atom-Moratorium war der einzige Weg, bei den Landtagswahlen nicht vollends unterzugehen, und das Wichtigste: Der neue Atomkurs war kein Wahlkampftrick, sondern ernst gemeint und muss Konsequenzen haben. Merkel nimmt für sich selbst ein Damaskus-Erlebnis in Anspruch. Sie als Befürworterin der friedlichen Nutzung der Kernenergie sei durch die Ereignisse in Japan „belehrt worden“. Denn, so die Ex-Umweltministerin, der Reaktor in Fukushima sei nicht durch menschliches Versagen außer Kontrolle geraten wie die Meiler in Tschernobyl oder Harrisburg, sondern weil er für ein Erdbeben und einen Tsunami dieses Ausmaßes nicht ausgelegt war. Das zwinge dazu, neu zu prüfen, ob nicht auch hierzulande Gefahren für die Reaktoren unterschätzt wurden. Sicherheit habe „absoluten Vorrang“ – für Ziele wie Versorgungssicherheit oder günstige Strompreise gilt in Merkels Sprache nur noch die Formel, sie müssten bei allen Abwägungen „eine Rolle spielen“.

Das heißt auf gut Deutsch: Die Basis für die Atom-Laufzeitverlängerung ist passé, die Schwarz-Gelb erst vor einem halben Jahr durchgesetzt hatte. In der Sitzung hat Umweltminister Norbert Röttgen betont, dass in seinen Augen die Wahl nicht durch den Atomunfall in Japan verloren worden sei, sondern durch eine falsche Entscheidung vor einem halben Jahr. Tatsächlich hat Röttgen die CDU damals schon davor gewarnt, sich als letzte Atompartei der Republik zu isolieren. Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert kritisierte in der Sitzung die „Überheblichkeit“, mit der die Regierung damals alle Atomängste der Menschen ignoriert habe.

Doch die Rückschau blieb kurz. Röttgen will nicht nur recht behalten, sondern die Scharte von damals auswetzen. Vom Schleswig-Holsteiner Peter Harry Carstensen bis zur Kanzlerin unterstützt ihn diesmal die CDU- Spitze, wenn er verkündet, die Partei müsse die „Energiewende“ vorantreiben, ja zum „Vorzeigeprojekt“ der ganzen Regierung machen.

Gibt es Konsequenzen für die Parteichefin?

Beim Aufbruch zu grünen Ufern im Atomstreit hilft es der CDU-Chefin und ihrem Umweltminister sehr, dass die Niederlage in Baden-Württemberg zwar im Ergebnis bitter, aber keineswegs vernichtend ausgefallen ist. Die CDU regiert in Stuttgart nicht mehr; doch Mappus hat trotz aller hausgemachten und japanischen Probleme fast 200 000 CDU-Wähler mehr mobilisiert als Günther Oettinger vor fünf Jahren. Das Endergebnis von rund 39 Prozent hätte sogar fast gereicht, die Bastion zu halten – wäre nicht die FDP derart eingebrochen, dass sie es gerade noch mal in den Landtag schaffte. In der zweiten Landtagswahl des Sonntags blieb die CDU sogar von Atom-, Libyen- oder Guttenberg-Faktoren fast verschont – Julia Klöckners Partei rückte in Rheinland-Pfalz knapp an Kurt Becks deutlich dezimierte SPD heran.

Diese Zahlen ließen die Dauerklage Schlarmanns über den angeblichen Vertrauensverlust bei bürgerlichen Stammwählern ins Leere laufen. Merkel blieben Debatten über hausgemachte Fehler der zurückliegenden Wochen und Monate erspart. Und so sehr die Atomkatastrophe in Fukushima der CDU die Wahl verhagelt hat, weil sie die Grünen stark machte, so sehr bietet sie doch jetzt zugleich einen Trampelpfad aus der Krise. „Wir haben eine neue Aufgabe“, sagt einer aus der Parteispitze. An dieser Aufgabe werden Partei und Regierung mindestens in den nächsten zwei Monaten noch zu knacken haben. Denn das Lager der Atomfreunde in der Union ist im Moment leise – verschwunden ist es nicht. „Der Kampf geht ja jetzt erst los“, sagt ein Vorständler voraus, der auf Röttgens Seite steht.

Wie steht es nach dem Debakel in Baden-Württemberg um die Kanzlerin Merkel?

Fast schwieriger als für die Parteichefin Merkel ist der Wahlsonntag für die Kanzlerin. Der Grund heißt Freie Demokratische Partei. Während die CDU sich hinter die Chefin schart und Seehofer die CSU gleichfalls auf Anti-Atom-Kurs festlegt, rumort es beim liberalen Partner. Zwar versichert Merkel, auf eine Kabinettsumbildung angesprochen: „Ich habe keine Anzeichen dafür und von meiner Seite keine Absichten.“ Doch Grund zur Rücksichtnahme sieht die CDU nicht. Mappus beschwert sich unwidersprochen über das, was in den letzten zwei, drei Tagen vor der Wahl aus Berlin beigesteuert worden sei. Er meint Helmut Kohls Pro-Atom-Philippika in der „Bild“- Zeitung, er meint aber vor allem Rainer Brüderles Dampfplauderei beim Industrieverband BDI. Dass der FDP-Wirtschaftsminister das Atom-Moratorium dort als Wahlkampftrick verunglimpft hat, war für die ohnehin problematische Glaubwürdigkeit des früheren Atomkraftkämpfers Mappus, um seine eigenen Worte zu benutzen, „nicht hilfreich“.

Brüderle selbst kündigte am Montagabend schon mal seinen Rücktritt als FDP-Landesvorsitzender in Rheinland-Pfalz an. Über sein Schicksal als Wirtschaftsminister sagt das zunächst noch nicht viel aus. So sehr es konkret im Atomstreit helfen mag, wenn ein angezählter Brüderle sich einer Abschaltung von Atommeilern nicht widersetzen kann, so wenig nutzt Merkel aber auf Dauer ein Kabinett der Blamierten und Blessierten. Die Koalition müsse die Wahlen als Anstoß nehmen, „inhaltlicher zu werden“, hat Röttgen gefordert. Doch so ein Neuanfang setzt ein Mindestmaß an Augenhöhe voraus.

Zur Beruhigung der FDP dürfte es indes kaum beitragen, wenn der gleiche Röttgen offen die erstarkten Grünen umwirbt. Vor dem Adenauer-Haus wie drinnen in der Sitzung hat der Minister und NRW-Landeschef die CDU aufgefordert, das „Lagerdenken“ zu überwinden und die eigene strategische Verengung aufzugeben. In einem Fünf-Parteien-Parlament könne nicht bestehen, wer sich den Grünen als Partner prinzipiell verschließe. Merkel, auf das Thema angesprochen, wiederholt ihren Spruch vom „Hirngespinst“ Schwarz-Grün ausdrücklich nicht. Sie fügt vielmehr dem Standardhinweis, dass die CDU auf Basis ihrer eigenen Werte und Vorstellungen Politik machen und Wahlergebnisse erzielen müsse, einen bemerkenswerten Zusatz an: „Aus denen ergibt sich was oder ergibt sich nichts.“ Eine Absage an schwarz-grüne Partnerschaften klingt anders.

Wie geht es für die CDU in Baden-Württemberg weiter?

Für die CDU in Baden-Württemberg rücken die Streitereien in Berlin jetzt erst einmal in die zweite Reihe. Die Partei muss sich neu aufstellen und lernen, was sie bisher nie lernen musste: wie Opposition geht. Mappus hat seine Niederlage sichtlich mitgenommen, aber er zeigt im Abgang eine Größe, die ihm viele vorher nicht zugetraut hätten. Am Montagabend trat er als CDU-Landesvorsitzender zurück. Sein Landtagsmandat will er allerdings behalten. Die Partei solle optimal aufgestellt werden, damit sie in fünf Jahren wieder Regierungsverantwortung übernehmen könne, sagte er. Der Neuanfang beginnt jedoch holperig. Mappus will Umweltministerin Tanja Gönner zur neuen Nummer eins machen. Die ist auch bei Merkel gut gelitten. Doch der konservative Fraktionschef Peter Hauk will nicht weichen. Opposition aber findet im Landtag statt – und nur, wer die Fraktion führt, führt die Attacke an.

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