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Die Wunschhochzeit hatten sich die Koalitionäre wohl harmonischer vorgestellt.

© dapd

Regierungsarbeit: Ein Jahr Schwarz-Gelb - Wunsch und Wirklichkeit

Vor einem Jahr hat Schwarz-Gelb den Koalitionsvertrag unterzeichnet. Von den Bürgern gibt es schlechte Noten für Union und FDP. Doch welche Vorhaben hat die Bundesregierung umgesetzt – und welche nicht?

Die Erwartungen, die Angela Merkel, Guido Westerwelle und Horst Seehofer vor einem Jahr bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags weckten, waren groß: „Wir stellen den Mut zur Zukunft der Verzagtheit entgegen“, heißt es im ersten Satz der Vereinbarung, welche die drei Vorsitzenden von CDU, FDP und CSU am 26. September 2009 in Berlin unterschrieben. In nur zwei Wochen hatte die „Wunschkoalition“ den Vertrag verhandelt. Doch grundsätzliche Differenzen waren damit noch lange nicht ausgeräumt, wie sich in dem anschließenden monatelangen Koalitionskrach zeigte. Bei den Bürgern verlor das schwarz- gelbe Bündnis dramatisch an Ansehen. Ein Tief, aus dem Bundeskanzlerin Merkel nun im „Herbst der Entscheidungen“ wieder herauskommen will. Ein Jahr nach dem Start von Schwarz-Gelb zeigt sich bei einem Blick in den Koalitionsvertrag: Union und FDP setzen zwar einen Teil ihrer Vorhaben auch gegen große Widerstände durch, aber sie haben auch Versprechen nicht erfüllt.

Sofortprogramm

Am schnellsten – und im Rückblick auch am reibungslosesten – brachte die Koalition das Sofortprogramm zur Bekämpfung der Krise auf den Weg. Unternehmen- und Erbschaftsteuern wurden zum 1. Januar 2010 gesenkt. Außerdem wurden Familien durch die Anhebung des Kinderfreibetrags (und damit des Kindergelds um 20 Euro) entlastet.

Mehr Netto vom Brutto

Arbeit müsse sich lohnen, schreiben Union und FDP im ersten Kapitel des Koalitionsvertrags – und versprechen den Bürgern „mehr Netto vom Brutto“. Doch die vor allem von der FDP im Wahlkampf propagierten Steuersenkungen wurden bislang zu einem großen Teil nicht eingelöst – mit Ausnahme der höheren Kinderfreibeträge und der steuerlichen Absetzbarkeit der Krankenkassenbeiträge. Bei der Einkommensteuer wollte die Koalition „möglichst zum 1. Januar 2011“ den Mittelstandsbauch abflachen, also der Entwicklung gegensteuern, dass Arbeitnehmer bei einer deutlichen Gehaltserhöhung durch die „kalte Progression“ in eine höhere Besteuerung hineinrutschen und ein Teil des Verdienstanstiegs damit nicht bei den Beschäftigten, sondern beim Staat landet. Geplante Entlastung: 19 Milliarden Euro. Angesichts der Griechenland-Krise und der drohenden Destabilisierung des Euro einigten sich Union und FDP aber im Frühjahr darauf, die Steuersenkungen erst dann wieder auf die Tagesordnung zu setzen, wenn die Haushaltslage dies zulässt. Einen Termin dafür wollen bis heute alle drei Partner nicht nennen.

Auch bei den Sozialabgaben heißt es für die Bürger: weniger Netto vom Brutto. So steigen 2011 sowohl die Krankenkassen- als auch die Arbeitslosenbeiträge um insgesamt 0,8 Prozentpunkte. Damit bleibt Schwarz-Gelb nur knapp unter der selbst gesetzten Marke von 40 Prozent Sozialabgaben – aber nur, wenn der Sonderbeitrag der Arbeitnehmer für die Krankenkassen und der Extrabeitrag der Kinderlosen in der Pflege nicht eingerechnet wird.

Steuervereinfachung

Unter dieser Rubrik hat Schwarz-Gelb zweierlei vereinbart. Zum einen soll das Steuersystem „deutlich vereinfacht und für seine Anwender freundlicher gestaltet“ werden. Zum anderen sollen die ermäßigten Mehrwertsteuersätze überprüft werden. Außerdem vereinbarten die Partner, den Mehrwertsteuersatz für Beherbergungsleistungen von 19 auf sieben Prozent zu senken. Vor allem dieser Vorsatz, ab Januar 2010 vor allem auf Druck von CSU und FDP durchgesetzt, hat Schwarz-Gelb insgesamt einen schweren Imageschaden eingebracht. Zumal die Hoteliers ein Steuergeschenk von rund einer Milliarde Euro jährlich erhielten, die Überprüfung der ermäßigten Steuersätze insgesamt allerdings seither verschleppt und wahrscheinlich bis zum Ende der Legislatur überhaupt nicht mehr umgesetzt werden wird. Eine Vereinfachung des Einkommensteuersystems wird derzeit zwischen Finanzministerium und den Koalitionsfraktionen geprüft. An eine Umsetzung ist frühestens im Frühjahr 2011 gedacht. Bisher rechnen die Koalitionäre mit Steuerausfällen von rund einer Milliarde Euro. Um dies zu finanzieren, wird bereits über eine Anhebung der Tabaksteuer diskutiert.

Haushaltskonsolidierung

Die Koalitionspartner wollen die Schuldenregel im Grundgesetz einhalten, nach der der Bund ab 2016 nur noch Schulden im Umfang von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts machen darf. Das bedeutet, dass bis dahin jährlich rund zehn Milliarden Euro eingespart werden müssen. Für die nächsten Jahre hat die Koalition ein Sparpaket im Umfang von rund 60 Milliarden Euro vorgelegt (unter anderem Streichung des Elterngelds bei Hartz IV, Einnahmen aus einer Brennelementesteuer für Atomkraftwerksbetreiber). Ob die Einsparsummen erreicht werden, ist offen. Allerdings muss Schwarz-Gelb zunächst nicht allzu besorgt sein, die Schuldenregel nicht erfüllen zu können. Denn die Konjunktur zieht seit Mitte des Jahres so stark an, dass 2011 stark steigende Steuereinnahmen erwartet werden.

Gesundheit

Den „Einstieg in ein gerechteres, transparenteres Finanzierungssystem“ verkündete die Koalition vor einem Jahr. Tatsächlich ist nach monatelangem Hickhack eine Finanzreform auf dem parlamentarischen Weg. Doch gerechter? Zunächst einmal steigen 2011 die Beiträge für alle um 0,6 Prozentpunkte, davon stand nichts im Koalitionsvertrag. Die Arbeitgeberbeiträge werden wie versprochen eingefroren, allerdings erst, nachdem sie nochmal um 0,3 Punkte hochgegangen sind. Alle künftigen Steigerungen bekommen die Versicherten allein aufgebürdet, in Form von nach oben offenen, kassenindividuellen Zusatzbeiträgen. Die sind einkommensunabhängig und werden erst, wenn sie im Schnitt zwei Prozent des jeweiligen Haushaltseinkommens überschreiten, sozial ausgeglichen. „Einkommensunabhängige Arbeitnehmerbeiträge“ stand im Vertrag, „mehr Beitragsautonomie der Kassen“ ebenso und der Sozialausgleich auch. Allerdings fließen für diesen bis 2014 gerade mal zwei Milliarden Euro. Ob der Finanzminister danach mehr Geld rausrückt, wurde bewusst offengelassen.

Pflege

Das Thema spielt für die Koalition bislang keine Rolle. Von der versprochenen Entbürokratisierung ist nichts zu spüren, Fehlanzeige auch bei dem Versprechen, das Berufsbild der Altenpflege „attraktiver“ zu gestalten und die Pflegeausbildung „grundlegend“ zu modernisieren. Dabei drängt die Zeit. In den nächsten Jahren müssen, schon aus demografischen Gründen, hunderttausende Stellen zusätzlich besetzt werden. Keiner weiß, woher die Fachkräfte kommen sollen. Und die in Aussicht gestellte Neudefinition der Pflegebedürftigkeit? Die stärkere Differenzierung und Berücksichtigung demenzieller Erkrankungen kostet mehr Geld, wenn sie ernsthaft angegangen wird. Da lässt man sich lieber Zeit. Bleibt die anvisierte Kapitaldeckung der Pflegeversicherung, als Ergänzung zum bisherigen Umlageverfahren. Dass sie noch umgesetzt wird, ist keine Frage. Allerdings ist auch hier alles offen – bis hin zur Frage, wer das eingesammelte Geld verwalten darf.

Rente

Die Rente mit 67 ist geltendes Recht, im Jahr 2012 beginnt die noch von der großen Koalition auf den Weg gebrachte schrittweise Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters. Ob Schwarz-Gelb aber die schwierige Aufgabe lösen wird, in dieser Legislaturperiode ein „einheitliches Rentensystem in Ost und West“ hinzubekommen, ist völlig offen.

Elterngeld

Das Versprechen, ein vernünftiges Teilzeit-Elterngeld einzuführen und die Partnermonate zu stärken, hat die Koalition nicht eingelöst. Stattdessen wurde das Elterngeld im Rahmen des Sparpakets gekürzt: Hartz-IV-Empfänger erhalten aus diesem Topf künftig gar kein Geld mehr, aber auch für Arbeitnehmer wurde der Anspruch gekappt (65 statt 67 Prozent des Nettolohns). Ob das für 2013 angekündigte Betreuungsgeld kommt, ist äußerst ungewiss. Nicht nur wegen der Finanzlage, sondern auch, weil die von der Opposition als „Herdprämie“ verspottete Leistung auch in der Koalition umstritten ist. Die CSU hatte darauf gepocht, dass Eltern monatlich 150 Euro erhalten sollen, wenn sie ihre Kinder unter drei Jahren zu Hause betreuen.

Bildung

Eines der vollmundigsten Versprechen war die „Bildungsrepublik Deutschland“. Zwar brüstet sich die Regierung damit, dass bis 2013 die Ausgaben für Bildung und Forschung um zwölf Milliarden Euro steigen sollen. Doch wenn es konkret wird, schrumpft die „Bildungsrepublik“. Kassiert wurde etwa das „Zukunftskonto“ für jedes neugeborene Kind, mit dem das Sparen für die Bildung gefördert werden sollte. Auch das Stipendienprogramm kommt in abgespeckter Form: Geld gibt es bis 2013 für 33 000 Studenten statt wie versprochen für 160 000.

Hartz IV

Zur Hartz-IV-Reform, die vergangene Woche im Kabinett beschlossen wurde, findet sich im Koalitionsvertrag kein Wort. Das liegt daran, dass die Politik erst im Februar diesen Jahres vom Bundesverfassungsgericht zur Neuberechnung der Regelsätze verpflichtet wurde. Änderungen bei den Hinzuverdienstregeln für Hartz-IV-Empfänger hatten Union und FDP hingegen schon vor einem Jahr angekündigt. Von einer „deutlichen Verbesserung“ kann allerdings kaum die Rede sein: Wer zwischen 800 und 1000 Euro dazu verdient, soll künftig nur bis zu 20 Euro mehr behalten können. Die zweite Hartz-IV-Großbaustelle ist politisch abgeräumt: die ebenfalls von den Karlsruher Richtern verlangte Neuorganisation der Jobcenter zur Betreuung von Langzeitarbeitslosen. Die Reform kam allerdings anders, als im Koalitionsvertrag angekündigt. Zur Überraschung aller Beteiligten gab es doch eine Mehrheit, das Grundgesetz zu ändern, um die Mischverwaltung aus Bund und Kommunen zu erhalten.

Akw-Laufzeiten

Mit der unpopulären Entscheidung ließ die Kanzlerin sich Zeit – mit Rücksicht auf die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai, die dennoch für die CDU verloren ging. Nach der Sommerpause ging es dann schneller als gedacht: Die Laufzeiten der deutschen Atommeiler sollen um durchschnittlich zwölf Jahre verlängert werden. An der grundsätzlichen Bereitschaft dazu hatten Union und FDP im Koalitionsvertrag keinen Zweifel gelassen, sich aber damals auf keine Jahreszahl festgelegt.

Integration

Weil in der praktischen Integration – vor allem über Bildung – Länder und Kommunen das Sagen haben, sind die fünfeinhalb Seiten des Kapitels im Koalitionsvertrag voll unverbindlicher Absichtserklärungen. Die Bundesregierung „wirbt“, „unterstützt“, „entwickelt weiter“ – und dies „im Rahmen ihrer Zuständigkeit“.

Aber auch in diesem Rahmen klemmt es bisweilen: Die Integrationskurse, die der Vertrag als wirksamstes Instrument des Bundes zur Sprachförderung rühmt, haben trotz der angeblich vielen Integrationsverweigerer so großen Erfolg unter Migranten, dass ihnen das Geld ausgeht. Seit Sommer müssen deshalb gerade die vielen Freiwilligen warten, die schon länger in Deutschland leben und denen „nachholende Integration“ versprochen wurde. Ebenfalls im Kern Ländersache, aber Gegenstand eines neuen Gesetzentwurfs der Bildungsministerin: die versprochene Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse. Hier lebende Migranten sollen nun mindestens einen Rechtsanspruch auf Prüfung ihrer Diplome innerhalb von drei Monaten haben.

Eine Verschärfung, die vor einem Jahr angekündigt wurde, ist ebenfalls auf dem Weg. Demnächst müssen Ehen drei statt zwei Jahre gedauert haben, bevor auch der Partner bleiben darf, der ohne die Ehe kein Aufenthaltsrecht hätte. Migrantenverbände halten dies eher für ein Mittel, gewalttätige Ehen zu verlängern als Scheinehen zu verhindern. Ein Teil ihrer Kritik scheint aber angekommen zu sein. Die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU) hat in Aussicht gestellt, dass hier aufgewachsene Migranten, die im Ausland zwangsverheiratet werden, ein Recht auf Rückkehr nach Deutschland bekommen sollen.

Innere Sicherheit

Ein Thema, bei dem die Koalitionspartner immer mal aneinandergeraten – die FDP will sich als Partei der Bürgerrechte profilieren, die Union als „Law-and-Order-Partei“. Im Koalitionsvertrag verständigten sie sich darauf, das BKA-Gesetz zu entschärfen – zugunsten eines besseren Schutzes der Privatsphäre. Die Umsetzung steht noch aus. Einen Kompromiss fanden die Koalitionspartner vor kurzem bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung für Schwerverbrecher.

Bundeswehr

Bei der Wehrpflicht geht die Koalition deutlich weiter, als sie vor einem Jahr ankündigte. Damals verständigten Union und FDP sich darauf, die Wehrpflicht grundsätzlich beizubehalten, aber die Dienstzeit auf sechs Monate zu reduzieren – ein Kompromiss. Nach dem überraschenden Schwenk der Union, angeführt durch Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), soll die Wehrpflicht nun ausgesetzt werden. Auch ansonsten ist der Umbau der Bundeswehr voll im Gang. Dass die Truppenstärke reduziert wird, ist Konsens, nur wie viele Soldaten es am Ende sein werden, ist noch offen.

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