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Berlin: Am Märkischen Meer

Wer einmal in Bad Saarow am Scharmützelsee weilte, dem fällt der Abschied schwer. So erging es schon den Reichen und Schönen, den russischen Soldaten – und anderen Gästen auf Zeit

Sie sollen geweint haben. Die russischen Offiziere der „Luftstreitkräfte West“, als sie 1994 ihr Paradies verlassen mussten. Jenen See, an dem sie viele Stunden gesessen hatten,die Angel in einem Eisloch, im für sie so wunderbar milden Brandenburger Winter. Fast fünfzig Jahre lang war Bad Saarows Kurpark militärisch besetzt, ein Sanatorium für Soldaten, von der übrigen Bevölkerung abgeschirmt durch eine dicke Mauer immer am Kurpark entlang. Außerhalb der Absperrung lagen das „Bad der Werktätigen“ und seine vielen Ferienheime für die volkseigenen Betriebe der DDR. Wie friedlich, fast demütig die Russen schließlich abzogen, erinnert sich Gerda Klatt, die ihr ganzes Leben in Bad Saarow verbracht hat und heute Gäste durch den Ort führt. Wie verlassen Hunderte von Holzdatschen in den Wäldern rund um den See heute dastehen, mit Wohnblöcken für das Ferienlagerpersonal nebenan. Zerbröckelnde Kulissen, die nicht mehr ins Heute passen, die auf den Abriss warten.

Das „Bad der Werktätigen“ – lediglich eine Episode? In jedem Fall der hilflos wirkende Versuch der ideologischen Aneignung eines Ortes der Reichen, Schönen und Berühmten. Ein riesiger, freundlich daliegender See in wunderschöner Waldlandschaft, gute Luft und direkte Zuganbindung an Berlin, das lockte ab 1910 wohlhabende Berliner in die „Landhaussiedlung am Scharmützelsee“, das ließ sie auf großen Grundstücken prächtige Villen bauen. Bei aller Idylle ging es immer auch um Macht und Geld. Zwei Diktaturen hinterließen komplexe Eigentumsverhältnisse und heikle Rückübertragungsfragen. Wer heute am Ufer spazieren geht und sich in ein leer stehendes Haus verliebt, sollte nicht glauben, es werde von niemandem gewollt. Meist stimmt das Gegenteil.

Die historischen Spuren mögen zuweilen wie ein Hemmnis wirken, wenn Bad Saarow am „Märkischen Meer“ sich heute anschickt, mit Millioneninvestitionen, neuem Kurpark, Therme, Luxushotels und Golfplätzen in neuem Glanz zu erstrahlen. Doch mehr als von dem braunen, salzigen Mineralheilwasser, das sie hier aus mehreren hundert Metern Tiefe an die Oberfläche pumpen, lebt der Ort nun mal von seiner Geschichte. Von jenen aus den 20er und 30er Jahren, als der lungenkranke Schriftsteller Maxim Gorki mit Schwiegertochter und Dackel am Ufer spazieren ging, stets bespitzelt von der Geheimpolizei. Als Boxidol Max Schmeling mit Medienrummel in der Dorfkirche die Filmschauspielerin Anny Ondra heiratete, und sich eine Rutsche ans Schlafzimmerfenster seiner Villa in der „Künstlerkolonie am Dudel“ baute: vom Bett direkt in den Pool. Im Reetdachhaus nebenan wohnte sein Freund Josef Thorak, Hitlers Lieblingsbildhauer. Zum Essen und Tanzen traf man sich in „der Bühne“, dem wunderbar plüschigen Bahnhofslokal mit historischem Saal .

Die Zukunft Bad Saarows gehört der Vergangenheit, auch in anderer Hinsicht. Der 39 000-Seelen-Ort wächst, und er altert. In viele Villen sind gesundheitsbewusste Senioren gezogen. Die Gemeinde stellt sich darauf ein: Das Angebot an Residenzen und betreutem Wohnen für zahlungskräftige Klientel nimmt zu. Um die Jugend kümmern sich vor allem die großen Segel- und Surfschulen. Der See ist bei Schulklassen beliebt, die Jugendherberge in Pieskow oft ausgebucht.

Doch was ist mit dem Baden? Das große Strandbad Neptun im Ortsteil mit dem vielversprechenden Namen Bad Saarow Strand ist seit geraumer Zeit geschlossen. Dahinter stecken, man ahnt es, Grundstücksstreitigkeiten. Zum Glück gibt es einige hübsche, kleinere Stellen am See. Auch da fällt einem der Abschied schwer.

Kirsten Wenzel

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