zum Hauptinhalt
Folgen des Spardiktats? Obdachlose Griechen übernachten in einem Park von Athen.

© dpa

Krise der Eurozone: Mit dem Spardiktat gegen das europäische Sozialmodell

Die Ignoranz der Euro-Lenker nährt einen bösen Verdacht: Es geht ihnen gar nicht um Prosperität, sondern um den Rückbau des Wohlfahrtsstaates. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Harald Schumann

Als im Herbst 2008 die Finanzindustrie kollabierte, geriet die Wirtschaft in den USA und Europa in die tiefste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Millionen verloren ihre Jobs, und auf beiden Seiten des Atlantiks stieg die Arbeitslosenquote auf zehn Prozent. Europa und Amerika waren gemeinsam abgestürzt. Und gemeinsam, so schien es, würden sie das Tief auch überwinden.

Doch es kam ganz anders. Heute, im Jahr sieben nach Lehman, hat die US-Wirtschaft die Wende geschafft. Ihre Leistung liegt schon zehn Prozent über dem Niveau von 2008. Zugleich sank die Arbeitslosenquote wieder auf 5,4 Prozent. Euro-Land dagegen produziert nicht mal so viel wie im Jahr 2008, und noch mehr Menschen als vor fünf Jahren suchen einen Job.

Wie konnte das geschehen? Die Erklärung der meisten Ökonomen gipfelt stets in einem Wort: Austerität, auch Sparpolitik genannt. Nach dem Crash brach die private Nachfrage dramatisch ein. Darum taten die Regierungen zunächst sowohl in den USA als auch in Europa, was die wirtschaftliche Logik gebot: Sie hielten mit Ausgaben zur Förderung der Konjunktur dagegen, auch wenn sie dafür zusätzliche Kredite aufnehmen mussten. Daran hält die Regierung Obama bis heute fest. Das erzeugte zwar ein Budgetdefizit von bis zu zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Aber mit der anziehenden Konjunktur fällt das Defizit seit 2012 ganz von selbst.

Die Euro-Staaten dagegen traten schon ab 2010 radikal auf die Bremse. Sie unterhielten zwar eine gemeinsame Währung, aber sie wollten nicht gemeinsam wirtschaften. Und anders als die Fed, die US-Notenbank, weigerte sich die EZB unter ihrem damaligen Präsidenten Jean-Claude Trichet, für alle ausgegebenen Staatsanleihen zu garantieren. So gerieten erst Griechenland und dann Irland, Portugal und Spanien in die Schuldenfalle. Zwar war die Euro-Zone als Ganzes keineswegs überschuldet. Aber die schwächeren Länder bekamen keinen Kredit mehr zu bezahlbaren Zinsen. Darum erfanden die Euro-Retter in Berlin, Brüssel und Frankfurt das bis heute angewandte Konzept: Sie hielten die Krisenstaaten mit Notkrediten zahlungsfähig, und zwangen sie, ihre Ausgaben radikal zurückzufahren. Zugleich definierten sie die Finanzkrise, die aus der maßlosen Kreditvergabe der Banken entstanden war, zu einer Staatsschuldenkrise um und dehnten das Sparkorsett mit ihrem „Fiskalpakt“ auf die ganze Euro-Zone aus.

Mit jedem Euro, den die Staaten sparten, verloren sie bis zu 1,50 Euro an Wirtschaftsleistung

Und um das zu rechtfertigen, beriefen sie sich auf eine Theorie, die schon seit 70 Jahren widerlegt ist. Es sei „ein Irrtum, zu meinen, dass Austerität dem Wachstum und der Schaffung von Jobs schadet“, behauptete etwa Trichet im Juli 2010. Das „größere Problem“ sei vielmehr „der Mangel an Vertrauen bei Haushalten und Unternehmen, dass die staatliche Haushaltspolitik nicht nachhaltig ist“.

Heute, fünf Jahre später, ist klar: Es ist genau anders herum. Mit jedem Euro, den die Staaten sparten, verloren sie bis zu 1,50 Euro an Wirtschaftsleistung, stellten Forscher des Internationalen Währungsfonds (IWF) schon 2012 fest. Im Ergebnis investierten die Unternehmen immer weniger, dafür stiegen die Schuldenquoten und die Arbeitslosigkeit. Und weil alle Euro-Länder gleichzeitig ihre Ausgaben kappen, fällt die europäische Wirtschaft weiter zurück.

Doch merkwürdig: Alle Verantwortlichen weigern sich rundheraus, diesen eindeutigen empirischen Befund anzuerkennen. Und das selbst im Fall Griechenland. Nachdem die Wirtschaft dort bereits um volle 25 Prozent geschrumpft ist, fordern Finanzminister Schäuble und seine Kollegen gemeinsam mit IWF-Chefin Lagarde und EZB-Chef Draghi weitere Kürzungen, welche die Rezession um noch einmal zehn Prozent verschärfen würde. Diese demonstrative Ignoranz nährt einen schlimmen Verdacht: Es geht Europas Regenten gar nicht um Prosperität. Stattdessen missbrauchen sie das Spardiktat als Machtinstrument, um den Rückbau des Wohlfahrtsstaats zu erzwingen. Draghi behauptete schon 2012, „das europäische Sozialmodell“ sei „vergangen“. Und so wurden in den Krisenstaaten Tarifverträge und Arbeitnehmerrechte abgeschafft, die Renten- und Gesundheitssysteme zur Minimalversorgung eingedampft und die Gewerkschaften völlig marginalisiert.

Bleibt es beim Schrumpfkurs durch Austerität, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis Europas regierende Hardliner unter Verweis auf die nötige „Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit“ versuchen werden, das Gleiche auch in den Kernländern der Euro-Zone durchzusetzen. Europas harte Zeiten kommen erst noch.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false