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Gina-Lisa Lohfink in Begleitung ihrer Anwälte im Berliner Amtsgericht Tiergarten.

© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Der Fall Gina-Lisa Lohfink: Ein Prozess und die Debatte über das Sexualstrafrecht

Ein Berliner Gericht urteilt darüber, ob Gina-Lisa Lohfink vergewaltigt worden ist. Der Fall beschäftigt inzwischen sogar Ministerin Schwesig. Ein Überblick.

Von Sandra Dassler

Das Geschehen liegt vier Jahre zurück, die juristische Aufarbeitung zog sich in die Länge, ein Gerichtsverfahren ist noch nicht abgeschlossen – und plötzlich wird aus dem „Fall Gina-Lisa Lohfink“ ein Politikum. Darum geht es:

DER FALL

Gina-Lisa Lohfink, eine Reality-TV-Darstellerin und ehemalige Kandidatin bei „Germany's next Topmodel“, sagt, vor mehr als vier Jahren nach einer Party in einem Berliner Hotel gegen ihren Willen zum Sex gezwungen worden zu sein. Ein Video, das sie beim Sex mit zwei Männern zeigt, hatten diese zunächst erfolglos verschiedenen Medien zum Kauf angeboten und danach ins Netz gestellt.

Die heute 29-Jährige erstattete mehrere Tage nach dem Geschehen Strafanzeige. Die sexuellen Handlungen seien gegen ihren Willen erfolgt, sagte sie aus. Zudem äußerte sie die Vermutung, dass ihr K.o.-Tropfen verabreicht worden seien. Sie habe einen Filmriss erlitten, aber als sie das Video gesehen habe, sei ihr klar geworden, dass sie das nicht freiwillig gemacht habe. Sie verweist außerdem darauf, dass im Video zu hören ist, wies sie mehrmals „Nein“ und „Hör auf“ sagt.

Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelte deshalb gegen die beiden Männer wegen des Verdachts auf Vergewaltigung. Die Vorwürfe erhärteten sich jedoch aus Sicht des Gerichts nicht, auch ein Gutachter sah keine Hinweise darauf, dass der jungen Frau K.o.-Tropfen verabreicht wurden. Gegen die beiden Männer beantragte die Staatsanwaltschaft daraufhin Strafbefehle – aber lediglich wegen der Veröffentlichung und Verbreitung der Videos und der damit verbundenen Verletzung der Privatsphäre. Sie sollen Geldstrafen zahlen. Von weniger als 1500 Euro ist die Rede.

Gina-Lisa Lohfink hingegen soll, weil die Staatsanwaltschaft der Ansicht ist, dass sie die beiden Männer zu Unrecht beschuldigt hat, wegen falscher Verdächtigung 24.000 Euro zahlen. Das entspricht 60 Tagessätzen zu je 400 Euro. Gegen den Strafbefehl legte Lohfink Widerspruch ein.

DER PROZESS

Nun steht Lohfink vor Gericht. Die öffentliche Verhandlung begann am 1. Juni dieses Jahres am Amtsgericht Tiergarten. Vor laufenden Kameras brach die Frau in Tränen aus. Sie könne nicht verstehen, warum sie auf der Anklagebank sitze, sie sei vom Opfer zum Täter gemacht worden. Ihre Anwälte verlasen eine Erklärung, monierten unter anderem, dass die juristische Aufarbeitung fast vier Jahre gedauert habe. Das Gericht wies das zurück. Allein die Erstellung des Gutachtens habe 200 Tage in Anspruch genommen, außerdem sei die Dauer durchaus noch im rechtsstaatlichen Rahmen.

In der Verhandlungspause kam es zum Eklat. Drei junge Männer sollen die Angeklagte im Gerichtssaal mit ihren Handys gefilmt haben, was streng verboten ist. Dann sollen sie ihr „Material“ Journalisten von bunten Blättern angeboten haben. Bei einer Kontrolle hatten die jungen Männer angeblich aber nur Handys dabei, mit denen man gar nicht filmen konnte. Auf dem Flur kam es zu tumultartigen Szenen, die Männer und Lohfink beleidigten sich gegenseitig und schrien sich an. Die Angeklagte soll dann auf der Toilette einen Kreislaufzusammenbruch erlitten haben, eine Krankenschwester wurde zu Hilfe gerufen. Am 27. Juni soll weiterverhandelt werden, der Ausgang ist offen.

Die Anwälte der beiden Männer von dem Video bestreiten vehement, dass ihre Mandanten Gewalt angewendet haben, es sei zu jeder Zeit „komplett einvernehmlicher Sex“ gewesen. Einer der Männer soll am 27. Juni vor Gericht als Zeuge aussagen, genau wie die Managerin von Lohfink. Sie war wohl bei der Party vor vier Jahren dabei, hatte diese aber früher verlassen.

DIE POLITISCHE DEBATTE

Jetzt äußern sich sogar Bundespolitiker zu dem Fall. Konkret geht es dabei um die derzeit diskutierte Reform des Sexualstrafrechts. Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) sagte Spiegel Online: „Wir brauchen die Verschärfung des Sexualstrafrechts, damit endlich in Deutschland die sexuelle Selbstbestimmung voraussetzungslos geschützt wird. ,Nein heißt nein‘ muss gelten. Ein ,Hör auf‘ ist deutlich.“

Und Katja Dörner, Vizefraktionschefin der Grünen, sagte, der Umgang mit Lohfink sei erschreckend, da werde ein Opfer zur Täterin gemacht. Der auf Sexualstraftaten spezialisierte Berliner Strafverteidiger Elvis Jochmann warnt vor Verallgemeinerungen. „Nach meiner Erfahrung kommt es eher selten vor, dass Frauen wegen falscher Verdächtigungen selbst vor Gericht landen“, sagt er.

DIE ÖFFENTLICHE DEBATTE

Gina-Lisa Lohfink selbst sagte in einem Interview mit Spiegel Online: "Ich sehe mich schon als Vorkämpferin. Die Politiker müssen endlich aufwachen." Sie wolle sich einsetzen für Frauen, die durch die Justiz vom Opfer zum Täter gemacht und sich daher nicht mehr trauen würden, Vergewaltigungen oder sexuelle Nötigungen überhaupt anzuzeigen.

Vor allem viele junge Feministinnen sind ihr in den vergangenen Tagen zur Seite gesprungen und haben zu dem Fall geschrieben, wie beispielsweise Anne Wizorek auf Vice oder die Bloggerin Nadia Shehadeh. In einem Interview mit SZ-online äußert sich die Richterin Ramona Pisal, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes und Mitglied im Netzwerk "Nein heißt Nein", allgemein zu dem "Unding", dass es bisher im deutschen Strafrecht nicht aussreicht, "Nein" zu sagen, damit der Akt als Vergewaltigung akzeptiert wird.

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