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Schlagerstar Michael Wendler: Ich würde mich auch beklatschen

Für junge Menschen sind Schlagerstars peinlich: zu alt, zu devot, zu abgehoben. Aber Michael Wendler ist krass peinlich, und das geht dann schon wieder. Aus Geldnot erfand er den Pop-Schlager und wirbelt nun die Branche durcheinander.

Er will nicht mehr der Wendler sein. Sagt er. Und die Journalisten, die auf Bierbänken vor ihm Platz genommen haben, stutzen.

Früher, also eigentlich gerade eben noch, hat er das nämlich anders gesehen. Da meinte er, so oft wie möglich von sich in der dritten Person sprechen zu müssen. „Ich habe immer gedacht, in den drei Minuten, die ich im Fernsehen Zeit hatte, mich zu erklären, wenn jetzt jemand zuschaltet, muss der wissen, wer da sitzt, sag sofort, wer du bist.“ Die Zuschauer sahen dann einen Mann in Lederjacke, weißem Hemd, Jeans und ohne erkennbare Talente von sich reden wie von einem Produkt. Er sagte Sätze wie: „Der Wendler braucht keinen Input.“ Er hätte der Agent oder der Vermögensberater des Wendler sein können. Jetzt, sagt er, wüssten die Leute gar nicht, weshalb sie ihn kennen würden.

In diesen Tagen ist der Schlagerstar mit den monotonen Disco-Beats wieder oft im Fernsehen zu sehen. Meist zu Uhrzeiten mitten am Tag, an denen der Apparat läuft, ohne dass jemand hinsieht. Die Menschen wissen nicht genau, wer er ist, aber sie werden ein Gefühl haben. Und es ist kein gutes.

Warum eigentlich? Hat der Mann, der sich der Wendler nannte, nicht alles richtig gemacht?

In der Wendlerwelt gibt es eine Antwort auf dieses Dilemma. Sie dreht sich um Begriffe wie „Neid“ und „Missgunst“. Sie handelt auch davon, dass die Menschen in diesem Land zur Bescheidenheit erzogen werden, obwohl sich das für viele nicht auszahlt. „Das bringt’s nicht“, sagt der frühere Speditionskaufmann Wendler. Für ihn hat sich der Weg in die Gegenrichtung bezahlt gemacht.

Am vergangenen Dienstag, eine Landstraße bei Dinslaken. „Gestüt WENDLER“ steht in goldenen Lettern an der geschwungenen Toreinfahrt. Sie ist der Einlass zum 15 Hektar großen Anwesen des Sängers. Pferdekoppeln, weißes Mauerwerk, Wasserfontäne im Garten, schwarz glänzen die lackierten Dachschindeln von Haus und Stallungen in den Wendlerhimmel. Mehrere Millionen Euro will er für den Wiederaufbau des bis auf die Grundmauern niedergebrannten Reiterhofes ausgegeben haben. Zwischen zwei bronzenen Rössern steht der Besitzer nun und gibt „Star TV“ ein Interview. „Tierisch nervös“ sei er und laufe „total Amok“.

Der Grund dafür steht vor dem Tor. Einige Hundert Fans drängen sich dort, er hat sie eingeladen. Wendler wird sein neues Wendleralbum „Donnerwetter“ auf einer Bühne vortragen, die zu diesem Zweck zwischen Blumenrabatten und Rindenmulch errichtet wurde. Es ist eine Art Gartenparty mit Imbissstand, Toilettenwagen, Bierausschank und Bullriding-Arena, und es ist etwas, das vor ihm noch keiner gewagt hat: „Willkommen beim Wendler zuhaaauuuse!“, wird er später der johlenden Menge zurufen. Er wird sich dafür entschuldigen, dass niemand ins Haus dürfe. Aber es beschwert sich auch keiner. Die gardinenlosen Fenster geben vom weiß möblierten Inneren ohnehin genug frei. „Ich bin immer noch euer Michaaa!“

Drei Wendlerfanclubs haben Abordnungen zu diesem Wendlerwoodstock geschickt. Auf ihren T-Shirts prangen Losungen wie: „Tausche Mann gegen neues Wendler-Album“ und „Geile Sau“. Sie nennen sich Die Unbesiegten oder Die Fehlerlosen. Und obwohl vielen das Leben erkennbar Steine in den Weg gelegt hat, fürchtet Wendler ihr Urteil. Schonungslos seien sie, aus sozialen Schichten, die kein Blatt vor den Mund nähmen.

Dazu muss man wissen, dass Wendler seine Anhänger früher, als es noch nicht so gut bei ihm lief, in Reisebussen zu seinen Auftritten karrte. Auf eigene Rechnung, „denn die haben ja kein Geld“. Er wollte den Diskothekenbesitzern suggerieren, dass er größer war, als sie annahmen. Und es funktionierte.

Der Scheinriese, das ist das Wendlerprinzip bis heute, zehn Jahre später. Noch immer steht er 250-mal im Jahr auf der Bühne. Kunstnebel. Pyrotechnik. Background-Tänzerinnen. Wenn er zu Konzerten unterwegs ist, liegt nur seine eigene Musik im CD-Wechsler. Auf die Frage einer ZDF-Moderatorin, ob der Wendler nicht auch mal eine Pause vom Wendler brauche, lautete seine Antwort einmal: „Nee, ich lieb mich ja.“ Alles dreht sich in der Wendlerwelt um die Begeisterung für ihn selbst. Sogar ein eigenes Wendlermagazin legt er auf.

„Think big könnte er erfunden haben“, sagt Jörg Hellwig. Der Plattenmanager holte Wendler 2007 zu Ariola. Und er bezahlte ihm viel Geld dafür. Wenn er am Telefon von der ersten Begegnung erzählt, hört man noch immer das Erstaunen des erfahrenen Branchenmannes darüber, dass Wendler im Ruhrgebiet bis dahin zehn Alben veröffentlichen und tausendfach verkaufen konnte, ohne dass ein Musikriese wie Ariola in München davon etwas mitbekam. Erst als Wendler regelmäßig in Mallorca am Ballermann gebucht wurde und sein Lied „Sie liebt den DJ“ zum Party-Hit avancierte, kriegte Ariola einen Tip. Für Hellwig tat sich eine „Parallelwelt“ auf. Einmal im Jahr reservierte da ein Kerl auf eigene Kosten die Oberhausen-Arena für 13 000 Menschen. Und die sahen ihm dabei zu, wie er den Traum vom Schlagerstar auslebte.

„So einen starken Antrieb, die Welt durch einen selbst besser zu machen, haben nicht viele“, sagt Hellwig und spricht anerkennend von Wendlers „Tunnelblick“, der auf Außenstehende wie eine Mission wirke. Das betrachteten viele Leute mit Argwohn, vor allem in der Schlager-Branche. Die hat kein Künstler in den vergangenen Jahren so sehr durcheinandergewirbelt wie der 40-jährige selbsterklärte „König des Popschlagers“. In den vergangenen fünf Jahren hat er 700 000 Alben verkauft. Es ist ihm gelungen, einen der schwerfälligsten Musikmärkte überhaupt aufzuknacken. Vom Texten und Komponieren der Songs über deren Produktion und Vertrieb bis zur Darbietung als Sänger macht er alles selbst. „Er ist an vielen etablierten Stars vorbeigezogen“, sagt Hellwig, „was diese irritiert.“

Auf den Stufen der Wendlervilla sitzt an jenem Dienstagnachmittag Wendlers Manager mit zwei Mobiltelefonen in der Hand und lächelt kantig. Es ist ein Siegerlächeln. Markus Krampe ist eine elegante Erscheinung, weißes Oberhemd, dünner Pullover, der silbergraue Businessanzug sitzt perfekt. Als Veranstalter eines großen Schlagerfestivals in Oberhausen klagt er darüber, wie schwer es geworden ist, ein anspruchsvolles Programm zusammenzustellen. Die Branche ist überaltert. Frühere Zugpferde hören auf. Dabei drängt ein junges Publikum nach. 2010 ist der Anteil der 20- bis 29-Jährigen, die Schlager-CDs erworben haben, von sieben auf zwölf Prozent gestiegen. Aber die wollen nicht Schunkelrhythmen hören, zu denen man sich unterhaken muss. Sie fahren auf Techno-Beats ab, weil sie den Schlager aus der Disco kennen.

Am Tag nach dem Privatkonzert eilt Wendler zu seinem Produzenten nach Köln-Hürth. Er hat gute Laune, als er die schmale Kellertreppe einer Doppelhaushälfte hinabsteigt. Hermann Niesig heißt der groß gewachsene Tontechniker, dessen Kopf an die Decke stößt und der die Wendleralben hier unten zusammensetzt. Mehr als einen Regieraum und eine Gesangskabine gibt es nicht. Die Wände sind mit knallroten Dämmplatten ausgeschlagen und mit Wendlerpostern behängt. Es ist eng. „Man denkt ja immer“, begegnet Wendler dem fragenden Blick, „dass große Künstler auch große Studios haben.“ Er eben nicht, er denkt wie ein Kaufmann und an die Kosten. Seinem Partner Niesig am Mischpult summt er die Melodie vor, die er mit einem Text verbindet. Er habe den Song praktisch immer fertig im Kopf, erzählt er und setzt sich breitbeinig auf einen Klappstuhl. Ein Instrument spielt er nicht.

Das Resultat sind minimalistische Party-Hymnen, die jeweils eine Idee haben und diese nicht variieren. Wenn man kommerziell erfolgreiche Songs machen wolle, sagt Wendler, müsse man sich an dieses Schema halten. Für ausgefeiltere Arrangements fehlt ihm überdies die Zeit. Ein Album pro Jahr hat er der Plattenfirma vertraglich zugesichert.

Popschlager ist für Wendler und Niesig ein Subgenre des Schlagers, nicht des Pop. Pop wäre viel zu umkämpft und groß gewesen. „Da hätte ich mich auch nicht durchgesetzt“, sagt Wendler und erschaudert bei dem Gedanken daran, mit wem er sich hätte messen müssen. „Wie heißt er noch, der mit dem Hut?“

Ein Blick auf die Hitparade könnte Wendler Mut machen. Die erfolgreichsten Künstler 2010 waren Unheilig, Peter Maffay, Lena, Ich & Ich sowie Andrea Berg. Alle bewegen sich auf der Nahtstelle von Pop und Schlager. Aber er sagt: „Es tut der Seele gut, sich mit schlechteren Künstlern zu vergleichen.“

Das ist einer solcher Sätze, die man ihm übel nimmt. Dabei: Sagt er die Unwahrheit?

Michael Wendler schwärmt seinem Publikum nicht vor, wie toll es unter Palmen, in einem Kornfeld oder auf Inseln „wie aus Träumen geboren“ ist. Der typische Wendlersong ist dort angesiedelt, wo er zu hören ist. In Kneipen, in Festzelten, in Diskotheken, Spielcasinos. Männer treten darin nicht als omnipotente Helden auf. Aber Größe haben sie immer. Wenn sie in der Kneipe abstürzen, sehen sie sich als „Piloten“, die zu hoch hinaus wollten. Wendlersongs feiern das Gefühl, verkannt zu sein.

Es ist sein Lebensthema. Er sei als Kind ein dicker Junge gewesen, sagt er. Unter dem Vater hat er gelitten, einem Mann, der sich keine Schwäche eingestehen wollte und als ungelernter Thyssen-Arbeiter Frau und Kinder kujonierte. Doppelhaushälfte. Doppelschichten. „Und dennoch blieben wir stets eine Assi-Familie.“ Sein Leben geändert haben 126 Minuten Hollywood. Der Film „Karate Kid“ ließ ihn den Kampfsport entdecken. Er mutierte zum Schönling. Wenig später hatte er „bestimmt zehn Affären parallel laufen“.

Daran hätte sich der Lebensweg eines mittelbegabten Realschülers mit Lehre und 40-Stunden-Woche anschließen können. Aber der Vater hatte sich mit einer Taxi-Firma selbstständig gemacht. Daraus erwuchs ein Fuhrunternehmen, in das der Sohn mit 21 Jahren einstieg. Ein nagelneues BMW-Cabrio lockte ihn. Er fühlte sich erpresst, aber er akzeptierte, dass der Vater sämtliche Geschäftsanteile, Leasingverträge und Verbindlichkeiten auf den Sohn übertrug. Die Firma war nicht zu retten, Wendler ging 2002 mit drei Millionen Euro Verlust in die Privatinsolvenz. Kann sein, dass man sich nach solch einer Erfahrung Illusionen nicht mehr hingibt.

Als erstes eröffnete Wendler in Dinslaken ein Geschäft für Sex-Artikel und nannte es „Gummi Dummi“. Als nächstes suchte er in den Gelben Seiten nach Inseraten von Tonstudios. Drei Lieder nahm er 1998 für seine erste CD auf. Seine Frau meinte zuweilen, er solle aufhören mit dem Musikquatsch, das koste nur Geld. Aber er legte immer noch einen drauf.

Volkstümlich und bieder soll ein Schlagerstar sein, für Gemeinsinn stehen und an Tugenden wie Anstand appellieren, sie aber nicht einfordern. In Fernsehshows wie den Festen der Volksmusik oder dem Musikantenstadl wird dieses Menschenbild ausgestellt. Devot sind die Gesten von Moderator Florian Silbereisen, man macht einander ständig Komplimente. In diesem Rahmen werden Vorzeigekarrieren wie die von Helene Fischer über Jahre aufgebaut. Aus der Reihe zu tanzen, ist hier nicht vorgesehen. Schlagerstars müssen fassbar und anfassbar sein. „Erst Gott, dann einer von uns“, so beschreibt ein Branchenkenner die Erwartung des Publikums. Auch hier hat es Wendler stets übertrieben. „Ich lasse meine Fans ganz dicht an mich heran“, erzählt er, während Niesig in seinem Ledersessel zustimmend grummelt. Auf 30 Bühnenminuten folgen eineinhalb Stunden in der Menschenmenge. Fotos, Autogramme, Lächeln. „So ist das immer“, erläutert Wendler. Viele seiner Songs gehen aus Begebenheiten hervor, von denen ihm seine Fans erzählen.

Vielleicht ist seine größte Leistung, trotz seines protzigen Lebensstils mit Finca auf Mallorca und Zuchtpferden im heimischen Stall, kein schlechtes Gewissen zu entwickeln. In der sechsteiligen Doku-Soap über den Wendler-Clan macht er aus seinem Bedürfnis nach Statussymbolen kein Geheimnis.

Doch etwas hat sich verändert. Dass er „wie eine dekadente Sau durch die Boulevardmedien gesprungen ist“, schade ihm jetzt. 50000 bis 60000 CDs verkauft er nun weniger pro Album. „Was ich mir aufgebaut habe, ist gesprengt worden.“ Und er meint, wirklich gesprengt, während seine Hände eine Kugel formen. Man mache sich lustig über ihn, findet er. Oft könne er von der Bühne aus das abfällige Grinsen von Leuten sehen, die nur gekommen seien, um ihn peinlich zu finden. „Vielleicht“, sinniert er, „ist die Botschaft zu kurz gekommen, dass es jeder schaffen kann wie ich.“

Gegen Ende seines Privatkonzerts auf der Wendlerranch steuert er dem Höhepunkt zu. „Ihr wisst ja“, sagt er den Wendlerfans, „Sie liebt den DJ“ sei ein Hit gewesen, „so was könne man nicht toppen“. Aber jetzt habe er einen Song geschrieben, der vielleicht ebenso groß werden könne. Ein gläserner Rhythmus setzt ein, der Synthesizer zischelt nervös. Und ins Bild tritt erneut jene Frau, die den DJ anhimmelt, aber missachtet wird, seit Jahren offenbar. „Sie liebt ihn immer noch“ heißt das Lied. Es ist das Wendlersignal an die Welt, dass es ewig so weitergeht.

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