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Am 12. September schwebt eine Staubwolke über New York.

© dpa

11. September: Terrorist Mohammed Atta arbeitete in Neuruppin

Der Terrorpilot von Flug Nummer 11 arbeitete in Brandenburg als Student für ein Stadtplanungsbüro - und wollte eigentlich immer nach Ägypten zurück.

Von Sandra Dassler

„Ich möchte am liebsten nicht mehr darüber reden“, sagt Jörg Lewin: „Aber wenn mal wieder ein Jahrestag ist, gibt es Nachfragen. Und es stimmt ja, was einige Medien berichten: Mohammed Atta hat für mich gearbeitet – auch in Brandenburg.“

Und dann kommt der 68-jährige Hamburger Stadtplaner doch ins Erzählen: Wie er nach dem Mauerfall mit seinem 1988 gegründeten Büro „Plankontor Stadt und Land GmbH“ auch in Brandenburg tätig wurde. Wie er 1995 Mohammed El Amir als studentische Hilfskraft einstellte und mehrere Jahre mit der Arbeit des jungen Ägypters sehr zufrieden war. Wie er ihn dann, weil mehr Computer die Arbeit der Studenten übernahmen, entlassen musste und nie wieder von ihm hörte – bis zum 12. September 2001.

Das Unfassbare wurde schnell Gewissheit

„Mitten in der Nacht rief mich eine Kollegin an, die damals in Neuruppin auch für uns gearbeitet hatte“, erinnert sich Lewin: „Sie sagte, dass sie gerade das Bild eines der Attentäter gesehen habe und dass das unser Mohammed – so nannten wir ihn eigentlich nur – sei.“

Das für alle Kollegen im Plankontor völlig Unfassbare wurde schnell zur Gewissheit. Jörg Lewin grübelt heute noch manchmal darüber nach, ob etwas anders gekommen wäre, wenn Mohammed Atta weiter bei ihm hätte arbeiten können. Er sei sehr zuverlässig und geschickt gewesen, sagt Lewin: „Unmittelbar nach dem Anschlag wollten alle die Zeichnungen sehen, die er gemacht hat.“

Im Osten habe es in den 90er Jahren sehr viel Arbeit gegeben. „Jede Kommune hat beispielsweise für die Erstellung von Flächennutzungsplänen 30 000 D–Mark von der Bundesregierung bekommen. Und Stadtpläne wurden damals noch von Hand gezeichnet.“ Mohammed Atta habe unter anderem den „Durchführungsplan Altstadt" für Neuruppin angefertigt, der zeige, wie die Stadt saniert werden sollte, wo neue Grünflächen entstehen könnten und wo historische Bausubstanz bewahrt werden müsste.

Er schlief im Hotel Waldeck

Dafür sei Atta alias Mohammed El Amir oft durch Neuruppin gelaufen, habe sich alles sehr genau angesehen, erzählt Jörg Lewin. Gewohnt habe er aber meist im nahe gelegenen Dorf Zechlin: „Dort hatten wir zunächst unser Büro, bevor wir dann 1998 nach Neuruppin umgezogen sind. Manchmal hat Atta im Bürocontainer geschlafen, meist aber im Hotel Waldeck. Dessen Geschäftsführer und Koch Rainer Schade erinnert sich noch gut an den jungen Ägypter. „Er hat immer im Zimmer 401 gewohnt“, erzählt er. „Ich habe es lange nicht glauben wollen, dass er einer der Attentäter vom 11. September ist. Dachte immer, das kann einfach nicht sein.“

Auch Jörg Lewin ist es nach wie vor ein Rätsel, warum sich Atta zum Terroristen entwickelt hat. „Wir wussten natürlich, dass er sehr gläubig war“, erzählt er: „Er hat ja auch keinen Alkohol getrunken und mehrmals am Tag gebetet. Wir haben ihm das selbstverständlich auch ermöglicht – warum nicht? Andere nehmen sich mehrmals am Tag eine Zigarettenpause.“

Von Frauen ließ er sich nichts sagen

Ein wenig negativ sei lediglich aufgefallen, dass sich Atta überhaupt nichts von Frauen sagen ließ, sagt Lewin. Und manchmal habe er einem anderen Studenten, der aus der Türkei kam und ebenfalls im Plankontor arbeitete, vorgeworfen, kein richtiger Muslim zu sein: „Der war wirklich ganz anders als Mohammed. Trank Alkohol, fand den westlichen Lebensstil gut und wollte am liebsten eine deutsche Frau heiraten, um hier bleiben zu können.“

Mohammed Atta, der bereits als Architekt aus Ägypten gekommen sei, habe hingegen immer gesagt, dass er an der Technischen Universität Harburg Städtebau und Stadtplanung studiere, um das in seiner Heimat anzuwenden. „Er wollte immer zurück und es hat ihn sehr hart getroffen, dass er in Ägypten keine Stelle fand“, sagt Jörg Lewin: „Es existierten dort keine Behördenstrukturen für Stadtplanung wie in Deutschland und eben auch nicht genug Arbeitsplätze. Ich glaube, das hat ihm den entscheidenden Knacks gegeben.“

Kündigung noch hinausgezögert

Lewin glaubt nicht, dass Atta damals schon als Terrorist ausgebildet oder gar bezahlt wurde. „Er hat ja von dem Geld, das er bei uns verdient hat, seinen Lebensunterhalt bestritten“, sagt er: „Deshalb fiel es mir auch nicht leicht, ihm zu kündigen. Ich habe es sogar noch drei, vier Monate hinausgezögert, aber dann gab es einfach keine Arbeit mehr.“ Einer seiner Kollegen sage heute noch, dass Mohammed Atta „der beste Zeichner war, den wir je hatten“.

Mohammed Atta arbeitete auch in Brandenburg.
Mohammed Atta arbeitete auch in Brandenburg.

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