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Kfz-Meister Dirk Nießl, der Gelbe Engel auf dem Fahrrad.

© Kai-Uwe Heinrich

ADAC mit E-Bike in Berlin: Der Radler, den Autofahrer lieben

Die Gelben Engel vom ADAC sind jetzt auch mit E-Bikes in Berlin unterwegs. Kfz-Meister Dirk Nießl ist einer davon. Wir haben ihn begleitet.

Die Frau mit der Panne starrt selbst dann noch durch den ADAC-Mann durch, als der mit seinem Fahrrad direkt vor ihren Fußspitzen hält. Starr geht ihr Blick längs durch die Xantener Straße in Wilmersdorf, in der doch jetzt mal das gelbe Auto der Straßenwacht auftauchen müsste. Dirk Nießl steigt von seinem Fahrrad mit dem gelben ADAC-Anhänger samt Logo-Wimpel, zieht sein grau-gelbes ADAC-Bikeshirt straff und nimmt den Helm ab. „Mit dem Fahrrad?!“, fragt die grauhaarige Frau perplex. Ihr Autoclub ist auch nicht mehr, was er mal war.

Dirk Nießl erlebt diesen Überraschungseffekt mehrmals täglich. Schon im vergangenen Sommer war er einer von zwei „Gelben Engeln“ in Berlin, die aufs Fahrrad umstiegen. In dieser Saison kommt ein dritter dazu – bei rund 100 Straßenwachtfahrern insgesamt, die in Berlin unterwegs sind. Zehn Kollegen hätten sich für die Räder beworben, heißt es beim Club, der mit dem Pilotprojekt ein bisschen schicker, umweltfreundlicher und metropolentauglicher sein will.

Genau genommen sind es Pedelecs, deren Elektromotor den Fahrer bis Tempo 25 beim Treten unterstützt. Heute früh hat Nießl seins aus der Garage in Charlottenburg geholt, in der auch der Van parkt, den er zur Verfügung hätte. „Das war meine Bedingung, um mitzumachen“, sagt Nießl. „Damit ich nicht einregnen muss, weil die Zentrale in München morgens gesagt hat, das Wetter ist schön.“

Mit dabei: ein 56 Kilo schwerer Anhänger

Jetzt rollt er in die enge Tiefgarage, in der der abgestorbene Citroën der Frau steht. Die kaputte Sicherung für den Anlasser ist in drei Minuten ersetzt. Just währenddessen biegt ein anderes Auto in die Garage, dem der klassische ADAC-Wagen total im Weg gestanden hätte. Das Fahrrad ist also nicht nur schick, sondern auch praktisch. „Hier, fürs Poesiealbum“, sagt Nießl und überreicht der Autofahrerin die alte Sicherung. „Wegen so ’ner Kleinigkeit!“, sagt sie. „Das ganze Leben besteht aus Kleinigkeiten“, erwidert Nießl, tippt noch ein paar Infos ins Tablet auf seinem Lenker und rollt wieder auf die Straße.

Für die steile Garagenausfahrt braucht er den Elektromotor wirklich, denn der Anhänger wiegt aktuell 56 Kilo: Unterm Deckel wartet sauber einsortiert das Werkzeugkastensortiment einschließlich Kühlwasserkanister, Starthilfebatterie sowie einer Draht- und Hakensammlung für Türöffnungen. Nießl ergänzt die Ausstattung anhand eigener Erfahrung ständig. Neu sind beispielsweise Radmutternkreuz, Kompressor, Batterietester und Unterstellkeil. Fahrradschläuche hat er schon länger dabei, weil ihn oft Radler um Hilfe bitten.

ADAC-Pannenhelfer Dirk Nießl kommt mit dem E-Bike zu seinen Kunden.
ADAC-Pannenhelfer Dirk Nießl kommt mit dem E-Bike zu seinen Kunden.

© Kai-Uwe Heinrich

So nähert er sich allerdings auch den 70 Kilo, für die der Anhänger zugelassen ist. Der hat eine doppelseitige Kupplung und Scheibenbremsen, damit der Fahrer ihn gebändigt bekommt. Das Pedelec selbst ist Standard, und für die höchstens 50 Kilometer pro Schicht reicht der Akku locker. Knapper ist es mit dem Tablet, das zwar auch als Navi taugt, aber dann schon mittags schlapp macht. Sechs Minuten Fahrzeit zur nächsten Panne gibt es an: In der Meinekestraße steht ein silbergrauer Opel, Münchner Nummer, Diagnose: SNA. Springt! Nicht! An!

Nießl rollt mit Tempo 25 durch die City-West, wechselt zwischen Hauptstraßen und Wohngebieten. Ständig drehen sich Passanten nach ihm um. Er sieht ziemlich fit und einigermaßen cool aus mit seinem etwas zu tief eingestellten Sattel, der Sonnenbrille zur ADAC-Kluft und dem schwarzen und dem silbernen Ring im linken Ohr. An einer Ampel zückt rechts ein Fußgänger sein Handy und fotografiert ihn, während links ein ebenfalls E-bikender Senior stoppt und ihn in ein Gespräch verwickelt. Bei 19 Millionen ADAC-Mitgliedern ist rechnerisch fast jeder Vierte im Club. Und Nießl muss aufpassen, dass die Leute mit ihm keine Grünphase verquatschen. Wobei heute wenig los ist: 18 Grad und Sonne mögen auch Autos.

Manchmal muss dann doch der Kollege im Auto kommen

Der angewitterte Opel ist die Ausnahme. „Wenigstens ist das Tape an der Stoßstange in Wagenfarbe“, sagt Nießl und lacht, als er stoppt. Die Fahrerin ist trotz eines vorherigen Anrufs nicht in Sicht und auch nicht mehr erreichbar. „Wenn jetzt Montag früh wäre und der Planet brennen würde, bekäme sie einfach einen Zettel an die Scheibe, dass sie wieder anrufen soll“, sagt Nießl. Nach zehn Minuten taucht die Frau – deutlich schicker als das Auto – dann doch noch auf. Nießls Rad parkt direkt hinter dem Opel. Wieder ein Vorteil, denn die zweite Reihe ist wie um den Ku’damm üblich schon von SUVs belegt.

Das einzige neue Teil unter der Motorhaube ist die Batterie. Ein Billigteil, drei Monate alt, zwei Volt Restspannung. Lebensdauer: null, steht auf dem Bon, den Nießls Diagnosegerät ausdruckt. Ein ärgerlicher Fall für alle Beteiligten: Die Frau könnte die Batterie in ihrer Werkstatt reklamieren, aber braucht sofort eine neue, weil sie los muss. Neue Batterien gibt’s laut Gesetz aber nur im Tausch gegen alte. Und Nießl, der Radfahrer, hat keine dabei, muss also einen Kollegen im Auto schicken. Batterie- und Reifenschäden sind fast die einzigen Fälle, die er nicht übernimmt – und die Opel-Batterie war als neu gemeldet worden.

56 Kilo wiegt der Anhänger, den der Pannenhelfer mit dem Rad durch Berlin zieht.
56 Kilo wiegt der Anhänger, den der Pannenhelfer mit dem Rad durch Berlin zieht.

© Kai-Uwe Heinrich

Die „Call Taker“ in der Telefonzentrale wissen ja, wonach sie fragen und an wen sie die Aufträge vergeben sollten. „Die haben auch keinen leichten Job“, sagt Nießl. „Wenn die fragen, auf welchem Autobahnrastplatz jemand wartet, sagen manche Leute: Hier steht ,Bitte sauber halten‘“. Vor allem aber sind die Leute dankbar. Nießl ist jetzt 45 und fragt sich, warum er als Kfz-Meister überhaupt erst eine Werkstatt geleitet hat und nicht gleich zum ADAC ist. In der Stadt, wo eher eingesperrte Schlüssel und leere Batterien dominieren als Zahnriemenrisse und Kolbenfresser, bekomme er mehr als 90 Prozent der Autos gleich wieder flott. Und Feierabend ist Feierabend – ohne Gedanken wie: „Der Müller will morgen in den Urlaub, sein Getriebe liegt aber noch auf dem Boden und das Ersatzteil fehlt.“

Sein Kollege vom Pilotversuch im letzten Jahr ist wieder aufs Auto umgestiegen. Wohl wegen der Anstrengung und der fehlenden Privatsphäre, wenn man keine Tür zum Zumachen hat. Der neue radelnde Kollege sei umso motivierter, erzählt Nießl: technischer Ausbilder beim ADAC, in der Freizeit bei Greenpeace aktiv, Ökostrom-Kunde, Welterklärer, ein super Typ. Und Nießl, der Hobby-Triathlet, will seinen Traumjob jetzt so oft wie möglich im Freien machen. Sport während der Arbeit und über 90 Prozent Erfolgsquote gibt es ja nur in ganz wenigen Berufen.

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