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In der Oderbergerstraße gibt es Frühstück um die bepflanzte Baumscheibe herum.

© Luisa Jacobs

Ärger wegen Lärmbelästigung: Neukölln lässt gemütliche Baumscheiben-Bänke entfernen

Immer mehr Berliner begrünen die Erde um die Straßenbäume. Doch weil Nachbarn über Lärmbelästigung klagten, lässt Neukölln nun die Bänke an den Borken abbauen und erlässt strenge Auflagen über die Gestaltung der beliebten Plätze.

Jessica und ihre Freunde saßen am liebsten auf der etwas morschen Holzbank, nicht weit von ihrem Stamm-Späti beim Reuterplatz. „Vor allem jetzt, wo es wieder warm wird, sind die Baum-Bänke der beste Ort, um entspannt ein Bier zu trinken“, sagte die 25-jährige Neuköllnerin. Die Baumscheiben, also der freie Bereich um den Baumstamm, werden in vielen Berliner Kiezen von Bewohnern und Lokalbesitzern gerade wieder liebevoll zu Minigärten umgestaltet. Einige Bäume tragen bunte Windspiele und leuchtende Kunstblumen, andere sind umrahmt von Blumenbeeten oder selbst gebauten Holzbänken.

Im Neuköllner Reuterkiez, wo Jessica schon vor ein paar Wochen mit ihren Freunden den Frühling eingeweiht hat, findet man an vielen Stellen stattdessen nur noch nackte Erde, Unkraut und haufenweise Hundekot. Denn gerade hat der Bezirk 59 der Baumscheiben-Bänke entfernen lassen. Anwohner sollen sich beschwert haben, weil Nachtschwärmer ihre Späti-Biere dort noch austrinken, wenn die Kneipen längst geschlossen haben – und die Nachtruhe eingehalten werden sollte.

Ein Zaun darf nicht höher als 30 Zentimeter sein

„Gegen ein bisschen Grün und blühende Blumen, oder auch ein Zäunchen, damit Pfiffi nicht drüber läuft, hat ja niemand was“, sagt Bezirksstadtrat Thomas Blesing (SPD). Aber gerade im Szeneviertel Reuterkiez habe die Baumscheiben-Bebauung zu viele Nachahmer gefunden. Deshalb gibt es in Neukölln nun strenge Auflagen für die Gestaltung der beliebten Plätze. Blesing hat sie in einem Flyer öffentlich gemacht: Ein Zaun darf nicht höher als 30 Zentimeter sein und den Boden nicht mit Brettern abdecken. Er soll also weder auf Sitzhöhe sein, noch eine bequeme Sitzfläche bieten. Außerdem darf ein Zaun nur an drei Seiten geschlossen sein, nicht aber auf Bordstein-Seite, wo Leute aus ihrem Auto steigen.

„In den zwölf Bezirken wird die Pflege von Baumscheiben völlig unterschiedlich gehandhabt“, berichtet Beate Ernst, Sprecherin der Initiative „Wir Berlin“, die sich seit Jahren für eine Stadtverschönerung einsetzt. „Mal darf nicht um junge Bäume gepflanzt werden, im anderen Bezirk nicht um alte Bäume, in einem Bezirk sind niedrige Umgrenzungen erlaubt, woanders verboten.“

Im Szene-Stadtteil Kreuzberg-Friedrichshain sieht man jedenfalls auch die Gestaltung der Baumpflanzen relativ entspannt: Es gebe zwar immer wieder Lärmbeschwerden wegen der Ströme von Partytouristen, nichts aber, das sich konkret auf die Baumscheiben beziehe. „Es ist schwierig, die Bevölkerung einerseits zu bitten, die Grünflächen mit zu bewässern und dann, wenn es mal zu bunt wird, das Engagement zu verbieten“, sagt Sascha Langenbach, Sprecher des Bezirksamts in Friedrichshain-Kreuzberg. Von Vorlagen zur Bebauung hält Langenbach nichts. Man lasse es so lange laufen, bis sich jemand beschwert.

„Die Baumscheiben sollten als Sitzflächen in das Stadtmobiliar integriert werden“

„Ich kann die Anwohner, die sich über den Lärm ärgern, gut verstehen", sagt die Neuköllnerin Caroline Elias. Auch sie habe mal über einem großen Pflanztrog gewohnt, wo sich nachts Leute zum Biertrinken versammelt haben. „Dann bin ich mal runter und habe mit denen gequatscht“, erzählt die Dolmetscherin. „Wir haben dann einen Weg gefunden, ohne dass etwas abgerissen werden musste.“ Den Erhalt der Baumscheiben-Bänke findet Elias, die heute im Norden Neuköllns wohnt, auf jeden Fall wichtig. „Ich denke, die Baumscheiben sollten als Sitzflächen in das Stadtmobiliar integriert werden“, sagt Elias. Nicht nur ihr 83-jähriger Vater würde sich an den Baumscheiben gerne entlanghangeln, auch kleine Kinder oder ältere Menschen mit schweren Einkaufstüten könnten auf den Bänken zwischendurch eine Rast machen.

Einer, der die Baumscheiben als festen Bestandteil in sein Viertel integriert wissen will, ist Jens-Holger Kirchner (Grüne), Pankower Stadtrat für Stadtentwicklung. „Wir begrüßen das ehrenamtliche Engagement ausdrücklich“, sagt Kirchner. „Es kommt schließlich allen zugute: dem Stadtbild, den Anwohnern, der Sauberkeit – und uns macht es auch weniger Arbeit.“ Auch in Prenzlauer Berg gibt es ein Faltblatt, das Ehrenamtliche bei der Pflege der Baumscheiben anleiten soll. Eine maximale Höhe wie in Neukölln ist aber nicht vorgeschrieben. Im Gegenteil: Die ideale Sitzhöhe von 45 Zentimeter begrüßt der Bezirk, man setze sich bewusst für die „Rückeroberung des öffentlichen Raumes“ ein. Lärmbelästigung sei inzwischen kein großes Thema mehr in Prenzlauer Berg und Pankow. Einig sind sich die Bezirke nur, wenn es um den Schutz der Bäume geht: Die dürfen bei allem Engagement nicht zu Schaden kommen.

Luisa Jacobs

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