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Geht doch. Der Moritzplatz in Kreuzberg hat einen echten Radweg, seitdem gibt es viel weniger Unfälle mit Radlern.

© picture alliance / dpa

Aktivist Strößenreuther im Interview: "Michael Müller sabotiert den Radentscheid"

Was der Regierende Bürgermeister beim Klimagipfel in Quito zu Beteiligung und Stadtumbau sagt, nennt Initiator vom Volksentscheid Fahrrad "Heuchelei".

Manager bei der Bahn war er mal, Greenpeace-Aktivist, Start-up-Gründer und jetzt Science-Slamer für den „Volksentscheids Rad“. Die Initiative sammelte so viele Unterschriften in so kurzer Zeit wie kein Begehren zuvor. Die Prüfung der Zulässigkeit des geforderten Gesetzes liegt beim Senat seit Juni nun so lange brach wie kein anderes. Findet Heinrich Strößenreuther, der sich den Fragen von Ralf Schönball stellte.

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller meldet aus Quito: „Parzipationsformate“ seien „besonders interessant“, in Berlin sehe er ja, „was die Bürger von uns erwarten“. Sehen Sie das auch so?

Nein, Müller sabotiert den Rad-Volksentscheid und auch den Entscheid zur Rettung der Volksentscheide. Die Menschen wollen die Gesetze, haben unterschrieben, aber es passiert nichts. Wir haben Müller umsetzungsreife Gesetze vor die Füße gelegt und er tritt drauf rum. Wir warten für den Radentscheid seit Juni auf den Abschluss der Prüfung der Zulässigkeit und hören, der Senat wolle jetzt erst ein Gutachten einholen. Die Strategie ist durchsichtig, er will verhindern, dass über die beiden Volksbegehren am selben Tag wie zum Bundestag abgestimmt wird, weil sie sonst ganz sicher die erforderlichen Quoren erreichen.

Mit der neuen Koalition ändert sich das?

Ja, die Grünen haben öffentlich erklärt, es gebe keine Koalition ohne Radverkehrsgesetz. Die Linke steht hinter uns, will aber auch kräftig in den ÖPNV investieren. Zurzeit wird pro Einwohner jährlich der Gegenwert eines Weizenbiers in den Radverkehr gesteckt, 3,80 Euro, in die Öffis 290 Euro, in den Autoverkehr 80 Euro. Berlins Anteil für den Bau der A100 beträgt 160 Millionen Euro. Das Geld ist da, die Verkehrspolitik muss sich ändern.

Beim Klimagipfel im Quito geht es auch darum, die Städte umweltgerecht umzubauen, warum radlergerecht?

Weil es für Berlin die letzte Chance ist, die Klimaziele zu erreichen, bis 2030 den CO2-Austoß um 60 Prozent zu senken. Eine Verlagerung von Auto-Verkehr auf die Öffentlichen setzt gewaltige Investitionen voraus und wäre zeitlich nicht mehr zu schaffen. Aufs Rad würden Zehntausende vom Auto umsteigen, wenn es sichere Radwege gäbe. Sogar die Mehrheit der ADAC-Mitglieder ist für die Vorschläge des Radvolksentscheides. Und der Netzplattform Abgeordnetenwatch zufolge wollen 80 Prozent der SPD-Abgeordneten das auch und fordern uns auf, den Druck auf Müller aufrecht zu halten.

Klingt nach einem Generationenkonflikt - braucht Berlin einen Fahrradbeauftragten wie London ihn hat?

Nein, Berlin braucht einen Regierenden, der Fahrradpolitik zu Chefsache erklärt, nicht nur wohlfeile Reden auf UN-Konferenzen hält. Deshalb machen uns Müllers Aussagen im Tagesspiegel so wütend, etwa dass es mehr Geld vom Bund für den Umbau der Städte brauche. Das ist Heuchelei, für den Radverkehr gibt es Geld, andere Kommunen, sogar im Ruhrgebiet, zapfen die Töpfe kräftig an, bauen Radschnellwege. Nur Berlin tut nichts.

Hat auch mit Misstrauen gegenüber Aktivisten wie Ihnen zu tun, die sich aus Protest in die Spree schmeißen. Der Senat ist schließlich vom Volk legitimiert, oder?

Ja, die absolute Mehrheit des Senats vereint 120.000 Wählerstimmen hinter sich, etwas mehr als die gut 105.000, die wir bisher gesammelt haben, bei der zweiten Stufe müssen wir dann aber 200.000 Wähler gewinnen. Wir kämpfen für das Recht, dass auch für Radfahrer gilt: Freie Fahrt für freie Bürger. Davon werden auch jene profitieren, die sonst irgendwann Fahrverbot bekommen, was ein Düsseldorfer Gericht übrigens etwa für Dieselfahrzeuge für rechtlich zulässig hält. So weit muss es nicht kommen, zumal die Berliner es nicht wollen. Worauf wartet der Senat?

Die Fahrradstraßen quer durch Berlin sollen auch auf Parkplatzflächen entstehen. Wo stellen die Leute dann ihre Autos ab?

5400 Kilometer Straßen gibt es in Berlin, Fahrradstraßen soll es auf nur 350 Kilometern geben, nur 6,5 Prozent. Dafür wird von überall eine Radweg in 300 Metern Entfernung erreichbar sein. Vor allem Kinder und über 65-jährige werden dann sicherer fahren, jeder zweiter tote Radler ist ein Senior.

Anmerkung der Redaktion: Bei der Abgeordnetenhauswahl hat die SPD gut 350.000 Zweitstimmen bekommen, die Linkspartei gut 250.000 und die Grünen knapp 250.000. Zusammen haben die drei künftigen Koalitionäre also rund 850.000 Zweitstimmen auf sich vereint.

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