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Der Flughafen Tegel.

© dpa

Andauernde "Durchreise": Wieder lebt eine Frau seit Monaten am Flughafen Tegel

2009 beschäftigte der Fall einer psychisch kranken Finnin die Medien. Jetzt versuchen Seelsorger wieder, einer am Flughafen gestrandeten Frau zu helfen - bislang vergeblich.

Von Sandra Dassler

Auch Seelsorger können nicht jeder Seele helfen, sagt Bernhard Motter. Der 73-Jährige sitzt in einem Café am Flughafen Tegel und schaut einer Frau hinterher, die auf den ersten Blick wie eine normale Reisende wirkt: ordentlich gekleidet und frisiert, Rollkoffer und Tasche sowie Leinenbeutel vor sich auf dem Gepäckwagen.

Erst beim näheren Hinschauen entdeckt man die leeren Plastikflaschen im Leinenbeutel und die Schmutzflecken im Mantel. Wenn sie angesprochen wird, reagiert sie schroff, fast aggressiv: „Nicht fragen, nicht anfassen“ sagt sie: „Vor allem nicht anfassen. Und keine Fotos.“

Mehrmals hat Bernhard Motter, der als Pfarrer im Ruhestand ehrenamtlich als Flughafenseelsorger arbeitet, an diesem Mittwoch in Tegel versucht, mit der Frau zu reden. Hat ihr Hilfe angeboten – doch sie hat abgelehnt. „Sie hat deutlich gesagt, dass sie ihre Ruhe will“, sagt Motter: „Das muss man akzeptieren, zumal es keine Hinweise darauf gibt, dass sie sich oder andere gefährdet.“

Ähnlich argumentieren Flughafenleitung und Polizei, seit bekannt wurde, dass wieder eine Frau am Airport lebt. Schließlich erinnert der Fall an das Schicksal einer damals 40-jährigen Finnin, die 2009 die Medien, aber auch Polizei, Justiz, Ärzte und sogar die Diplomatie beschäftigte. Sie hatte monatelang an den Flughäfen Schönefeld und Tegel gelebt, dort geschlafen, sich in den Toiletten gewaschen.

Auch die Frau, um die sich Seelsorger Motter gerne kümmern würde, lebt nach Aussagen von Polizisten und Flughafenmitarbeitern mindestens seit vergangenem Herbst auf dem Airport. Aber es gibt einen wesentlichen Unterschied zur Finnin: Diese war von Ärzten eindeutig als psychisch krank eingestuft worden und sie brachte sich einige Male selbst in Gefahr, weil sie beispielsweise die Avus entlanglief. Außerdem verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand, weil sie Medikamente nicht einnahm. Im Sommer 2009 wurde sie mehr oder weniger zwangsweise von ihren Landsleuten nach Hause geholt, wo sie in einer psychiatrischen Einrichtung ihre Therapie fortsetzen konnte.

Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die jetzt in Tegel lebende Frau psychisch krank ist, heißt es bei der Flughafenleitung. „Außerdem fällt sie nicht auf“, sagt Flughafen-Sprecher Leif Erichsen: „Sie ist nicht kriminell, belästigt keine Reisenden – wir wussten gar nicht, dass sie hier lebt.“

Was nicht ganz zutrifft, immerhin ist die Berliner Polizei von der Flughafenleitung beziehungsweise der Bundespolizei schon zweimal gebeten worden, die Frau zu überprüfen. „Da war alles in Ordnung“, sagt ein Sprecher.

Bundespolizisten und Flughafenmitarbeiter erzählen, dass die Frau offenbar vom Flaschensammeln lebe, Laptop und Handy besitze und öfters ein großes Heft studiere. „Die lernt englische Vokabeln“, vermutet eine der vielen Frauen, die täglich zum Flughafen kommen, um Flaschen zu sammeln: „Aber hier leben doch noch mehr Leute“ – die Frau zeigt auf einen Mann und eine Frau in Lederklamotten, die auf den Sitzen vor Flugsteig 4 schlafen. „Wir werden niemanden des Flughafens verweisen, der sich ordentlich benimmt“, sagt Flughafensprecher Erichsen – „auch, wenn es sich um Menschen mit Problemen handelt.“

Gerade diese suchen sich öfter Flughäfen oder Bahnhöfe als Aufenthaltsorte aus, sagt die Sprecherin der Stadtmission, Ortrud Wohlwend: „Die vielen Menschen dort garantieren ihnen Sicherheit und Anonymität. Und außerdem passen solche Orte offenbar zu ihrem Seelenzustand: irgendwie auf Durchreise zu sein.“

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