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Sozialunternehmen: Aus dem Vereinsleben der Treberhilfe

Seit der Dienst-Maserati in die Radarfalle fuhr, ist nichts mehr, wie es war. Die Treberhilfe und ihr Chef Harald Ehlert wurden zum Synonym für die unkontrollierte Finanzierung sozialer Projekte. Aber die Arbeit muss weitergehen.

Er hat das alles geschafft. Zielstrebig und fleißig hat er aus einer guten Idee eine Firma mit Millionenumsätzen gemacht, und lange Jahre waren doch auch alle zufrieden damit: die Obdachlosen, denen er half, die Bezirke, denen er die Problemfälle von der Straße schaffte, die Mitarbeiter, die immer mehr wurden, und auch ihm ging es immer besser. Er leistete sich dicke Villen, Autos, Gehälter, und dann aber auch eine Eselei – und nun fliegt ihm alles um die Ohren.

Er leide, sagten die, die ihn kennen, fühle sich um sein Erbe betrogen. Er selbst sagt nichts mehr.

Harald Ehlert, 47, ein Sozialarbeiter aus Detmold, der es in Berlin zum schwergewichtigen Sozialunternehmer, zum Mitbesitzer und Chef der Treberhilfe brachte, wurde innerhalb von Wochen zum Synonym dafür, dass etwas nicht stimmt mit dem System der sozialen Dienstleister und Träger und deren Finanzierung.

Den Flächenbrand löste wie so oft ein kleiner Funken aus. Der Blitz eines Polizeiradars, der am 5. Juni 2009 die Fahrt eines schwarzen Maserati Quattroporte mit dem Kennzeichen „B-TH 712“ in Mecklenburg festhält. Der Maserati war der Firmenwagen der Treberhilfe. Ehlert sollte deshalb ein Fahrtenbuch führen, wogegen er klagte, was ihm als krudes Rechtsverständnis ausgelegt wurde, was er sich inzwischen auch selbst bitter vorwirft. Denn seitdem jagte eine Enthüllung die nächste: der Maserati, der persönliche Fahrer von Ehlert, die Einliegerwohnung in der Vereinsvilla am Templiner See mit Gärtner, zwei Haushälterinnen, die Sauna und luxuriösen Bäder, die Betriebsfeiern mit Feuerwerk und Tischen, die sich unter der Last von Meeresfrüchten bogen.

Was hat das noch mit Sozialwirtschaft zu tun?, fragt die empörte Öffentlichkeit.

In einem Café in Berlin-Mitte sitzt Michaela Weiß (Name geändert), die seit vielen Jahren bei der Treberhilfe beschäftigt ist und es zuletzt kaum noch aushielt. Sie erzählt davon, wie Ehlert anfangs in der großen Vereinsvilla in Caputh am idyllischen Templiner See nur eine Dachwohnung hatte, sich dann aber immer weiter ausbreitete. Wie ein großer Pavillon im Garten gebaut wurde, so dass die Mitarbeiterschulungen nicht mehr in der Villa stattfinden mussten. Dass bald eine zweite Haushälterin kam. Und im Hof bald zwei Luxusautos für Ehlert bereitstanden: neben dem Maserati eine Geländelimousine von BMW. Am Ende soll Ehlert fast die komplette Villa und das aufwendig ausgebaute Bootshaus samt Steg ausschließlich privat genutzt haben. Die Mitarbeiter blieben fortan lieber in ihrem kleinen Büro in Berlin-Schöneberg.

„Ehlert ist eine explosive Mischung aus Genie und Wahnsinn“, sagt Weiß. Er habe ein hervorragendes Gespür für Chancen, einen scharfen Intellekt und eisernen Leistungs- und Expansionswillen. So lasse sich der Erfolg der Treberhilfe erklären, die 1988 als kleines Obdachlosenprojekt begann. Damals kam Ehlert den Behörden gerade recht.

Er hielt die Straßen sauber, holte Trinker vom Alex, Jugendliche vom Breitscheidplatz. Land und Bezirke zahlen bis zu 100 Euro am Tag, wenn Ehlert die „Sozialfälle“ in einer Kriseneinrichtung unterbringt. Damit es an Heimplätzen nicht fehlte, kaufte er Immobilien und öffnet in Schöneberg, Neukölln, Wedding, Treptow und Grunewald 30 Wohnprojekte, Cafés, Kriseneinrichtungen sowie Beratungs- und Anlaufstellen. Und weil sich die öffentliche Hand immer weiter aus dem schwierigen Geschäft mit Erwerbslosen, psychisch Kranken oder Alkoholikern herauszog, kannte das Wachstum keine Grenzen – 3500 Menschen betreute die Treberhilfe zuletzt. Und Ehlert machte eine Karriere wie aus dem sozialdemokratischen Bilderbuch, seit 1991 gehört er der SPD an, saß auch mal zwei Jahre im Berliner Abgeordnetenhaus.

Doch mit dem Machtzuwachs habe Ehlert immer öfter sein zweites Gesicht gezeigt: „Wer ihn kritisiert, muss mit wüsten verbalen Attacken rechnen, mit Drohungen und Beschimpfungen“, sagt Weiß – und mit Sanktionen bis hin zur fristlosen Kündigung. Persönliche Angriffe hätten sich selten von fachlicher Kritik unterscheiden lassen. Schrecken und Angst habe Ehlerts Verhalten verbreitet. Kaum jemand wagte noch, Kritik zu äußern. „Auch deshalb lief die ganze Sache aus dem Ruder“, sagt Weiß.

Fast ein Drittel der Belegschaft hat in der vergangenen Woche den Mut zusammengerafft und einen offenen Protestbrief geschrieben, in dem sie den Rückzug von Ehlert und seinen Getreuen forderte. Sie wollen die Treberhilfe retten, ihre Einrichtung, auf die sie doch alle stolz sind.

Ehlert selbst hatte einen seiner letzten öffentlichen Auftritte im Februar, als er mit wehendem Schal und deutlich verspätet in den Räumen der Treberhilfe-Neukölln erschien und sogleich losschwadronierte über seinen „Leistungsbereich“, den er mit dem eines Arztes verglich. Wie ein Besessener redete er davon, dass soziale Dienstleister Wirtschaftsunternehmern glichen. Es ging um Renditen, seinen „Sozial-Maserati“ und „das Schöne“, das er für seine Leistung verdiene.

Zu diesem Zeitpunkt ist er schon der Paria der Branche. Sein Dachverband, der Paritätische Wohlfahrtsverband, wird den Verein kurze Zeit später ausschließen und die Diakonie will folgen. Es folgt eine turbulente Zeit, die Treberhilfe organisierte sich neu, nahm Ehlert aus der Schusslinie, installierte ein neues Führungsgremium, die Ehlert-Getreuen stritten mit seinen Gegner, unentwegt wurden widersprüchliche Erklärung zum Stand der Dinge veröffentlicht.

Die Konstruktion der Treberhilfe gilt unter Experten als einmalig. Ehlert höchst persönlich gehört die Hälfte des Unternehmens. Und weil Eigentum verpflichtet, haftet Ehlert auch selbst: den Banken gegenüber für Kreditrisiken in Millionenhöhe, für die auf Pump gekauften Immobilien der Treberhilfe. Wegen der Maserati-Affären machen sich inzwischen die Banken Sorgen und haben Hilfe geholt. Einen Immobilienanwalt, der noch eine Firma gegründet hat, die nun unter dem alten mystisch klingenden Namen „Hiawatha“ als Treuhänderin für die Treberhilfe fungiert.

Michael Schultz heißt der Helfer, Dreitagebart und kurze graue Haare, ein Mann, dessen leise Worte wie Fühler die Probleme abtasten. Es gehe zuvorderst darum, dass „Ruhe einkehrt“, sagt er.

Vorläufig wird die wohl ausbleiben: Der Berliner Senat wird die Verwendung der Zuwendungen der vergangenen Jahre mit Argusaugen kontrollieren. Sollten Fehler oder Ungereimtheiten an den Tag kommen, droht der Entzug öffentlicher Mittel. Am 26. April rückt dann das Finanzamt bei der Treberhilfe ein: Die Abschlüsse der Gesellschaft der letzten Jahre werden geprüft. Sozialsenatorin Carola Bluhm (Linke) schließlich hat eine Strafanzeige gegen Harald Ehlert gestellt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Schultz, Rechtsanwalt und Notar, gründete in den 90er Jahren eine auf Immobilienrecht spezialisierte Kanzlei. Sein Spezialgebiet sind knifflige Fälle, die nur Experten lösen im verzwickten Recht, das den Handel mit Haus und Hof reguliert. Einen Ruf hat er spätestens, seitdem er in einem spektakulären Prozess das Land Berlin in die Knie zwang – und das Verbot zur Umwandlung von Wohnungen in Gewerberäume kippte. Um seinen Ruf fürchtet er angesichts des ungelittenen Klienten nicht. „Es geht um 200 Arbeitsplätze und um die weitere Betreuung der Berliner Obdachlosen“, sagt er. Aber nichts zu Ehlerts Gartenpartys mit Hummer und Champagner, zu Maserati, Sauna, Bootssteg, mit Gärtner und Haushälterinnen, der Einliegerwohnung, zu den Hunderttausenden von Euro, die aus der Betreuung von Obdachlosen, Kindern und Frauen abgezweigt wurden. Zum Verbleib der „Selbstlosigkeit“, die Ehlert in seine eigene Satzung schrieb.

Unter Treberhelfern kursieren wilde Gerüchte über die Hiawatha und die neuen Leute. „Ehlert war immer schon der Auffassung, alles ist seins“, sagt einer. Mit der neuen Treuhänder-Firma erschaffe er eine Wirklichkeit nach seinem Willen. Sogar über eine Aussteuer für Ehlert wird spekuliert: Die beiden Villen in Caputh für Ehlerts Pensionsansprüche gegen die gemeinnützige Treberhilfe zum Beispiel. Dazu noch die Villa Lichtblick, idyllisch nahe Grunewald gelegen, als Kompensation für seine Haftung gegenüber den Banken in Millionenhöhe.

Eine solche Ausplünderung der Treberhilfe hält allerdings nicht einmal der Chef der Diakonie Thomas Dane für sehr wahrscheinlich. Er hat als Aufsichtsratsmitglied Ehlerts Winkelzüge aus nächster Nähe erlebt, bevor er von dessen Getreuen geschasst wurde: „Es geht wohl eher darum, die Gesellschaftsverhältnisse zu verschleiern“, sagt Dane. Einen Plan könne er indes nicht erkennen.

Während um die Führung des Unternehmens also eine Schlacht tobt, geht unten an der Basis die Arbeit weiter. Werden Obdachlose bewirtet, Jugendliche beraten, wird geprügelten Frauen eine helfende Hand gereicht. Aber es liegt ein Schatten auf dem Betrieb. Krankschreibungen häufen sich, manche auch altgediente Mitarbeiter suchen nach einer neuen Arbeitsstelle. Im täglichen Dienst herrsche eine Atmosphäre des Misstrauens. Kritische Mitarbeiter fühlen sich von Geschäftsführung, Gesellschaftern und Aufsichtsrat unter Druck gesetzt. Keine wichtige Sitzung vergehe, ohne dass einer von Ehlerts langjährigen Weggefährten in einer Ecke des Raumes sitze und stumm protokolliere, was gesagt wird. Mehrmals die Woche sollen sie hinaus nach Caputh fahren und Ehlert Bericht erstatten, der sie dann mit neuen Anweisungen wieder entlässt. Dabei soll er sich doch zurückziehen. Den Betrieb in Ruhe lassen.

Deshalb wurde er an der Betriebsspitze ersetzt durch einen neuen Chef: Dietrich Fenner, 66 Jahre, SPD-Mitglied wie Ehlert. Fenner war früher „Leitender Fachbeamter“ im Sozialbereich, vertrat die Bezirke in der Kostensatzkommission des Landes, sprach also mit bei der Vergabe von Mitteln für Träger im Jugendbereich. Ein Fachmann, der seit 1970 den sozialen Bereich bis in die feinsten Verästelungen hinein kennt. Und seit 15 Jahren bekannt ist mit Ehlert. Er wisse, dass „Herr Ehlert sich telefonisch immer noch in die Arbeit der Treberhilfe einmischt“, versuche aber, das abzustellen, sagt er. Und: „Herrn Ehlert fällt der Abschied schwer, es ist ein schmerzhafter Prozess, sich vom Lebenswerk zu trennen.“

Hiawatha ist übrigens der Name eines Indianerhäuptlings, der von seinem Volk verstoßen wird und Zuflucht bei einem Nachbarvolk findet. Er gründet einen neuen Stammesbund – und kehrt triumphal zurück. Eine Traumrolle für Harald Ehlert.

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