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Baumfällungen in der Kastanienallee: Gefällt hier niemandem

In der Kastanienallee werden überraschend zwei uralte Bäume zersägt. Sogar der Bauträger wundert sich über die Genehmigung. Nachbarn sind empört.

Hier läuft doch was schief, klagt der Mann auf dem Bürgersteig. Wieso wurden die Fällungen bloß genehmigt? Und dann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion! Das stinke doch gewaltig. Der Mann auf dem Bürgersteig ist kein engagierter Umweltschützer. Er ist einer der Baumfäller.

Am frühen Morgen sind sie angerückt, mit schwerem Gerät und zwei roten Lastwagen. Um sieben Uhr lärmte zum ersten Mal die Säge los, und jetzt geht das den ganzen Tag so, auf dem Grundstück Kastanienallee 63 in Mitte. Zwei uralte Bäume werden zersägt, Ast für Ast, dann die Stämme, sie müssen weichen, weil hier bald moderne Wohnungen entstehen sollen. Als „Verbrecher“ und „Dreckschweine“ wurden die Baumfäller vorhin beschimpft. Aber die meisten Menschen, die sich vor dem Absperrband auf dem Gehweg versammeln, wirken einfach geknickt.

Die Bäume sind ein Politikum. 110 Jahre ist die Kastanie alt, 125 Jahre die Platane dahinter. Für viele im Kiez ist ihre Beseitigung ein weiterer Beleg für Entwicklungen, die den wenigsten hier gefallen, egal ob man sie „Aufwertungs-“ oder „Verdrängungsprozesse“ nennt. Der Träger des Bauprojekts möchte laut Eigenwerbung 21 „exklusive Eigentumswohnungen“ mit „exklusiver Ausstattung“ errichten. Wieso soll dafür eine Platane aus dem 19. Jahrhundert weichen?

Auch der Bezirk wollte sie retten. Stadtrat Ephraim Gothe (SPD) machte sich gegen Fällungen stark, das Parlament beschloss im Dezember, eine Baugenehmigung nur zu erteilen, wenn „beide schützenswerten Bäume erhalten“ bleiben. „Seitdem dachten wir, die Sache wäre erledigt“, sagt Mathias Milstrey, einer der Anwohner am Straßenrand. Als er am Morgen die Säge hörte, schrieb er gleich eine Twitter-Botschaft, damit sich die Nachricht verbreitet.  Jetzt steht er vor den Ästen und Baumscheiben und macht Fotos, er will die Aktion wenigstens dokumentieren. Ausrichten kann er nichts. Auch die Polizei war schon da, gerufen von Anwohnern. Die Beamten zogen wieder ab, weil die Arbeiter eine Genehmigung vorlegen konnten. „Die Baumfällung ist leider rechtens“, sagt auch Baustadtrat Gothe. Die Senatsverwaltung habe als letzte Instanz den Bauantrag für das Haus für rechtmäßig erklärt, damit sei auch die Fällung notwendig geworden. „Es tut mir sehr leid, aber ich hatte damit keine rechtmäßigen Mittel mehr, die Fällung zu verhindern.“

Sogar der Bauträger „Diamona und Harnisch“ ist verwundert, dass die Genehmigung plötzlich doch erteilt wurde. Der Firma sei beim Grundstückskauf versichert worden, die Bäume könnten entfernt werden, sagt ein Mitarbeiter. Nach den BVV-Beschlüssen habe man aber selbst nicht mehr an eine Genehmigung geglaubt und dem Senat angeboten, das Grundstück gegen Erstattung des Kaufpreises zurückzugeben. „Das wollten die nicht. Keine Ahnung, wie die das jetzt doch hingebogen haben.“ Vermutlich habe der Senat Schadensersatzansprüche gefürchtet. Sebastian Leber

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